3 - Dean

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Manchmal sind die Tage endlos und manchmal scheint es, als würden nur zwei Sekunden vergehen. Früher war die Zeit wie ein lauerndes Tier, welches in der Dunkelheit des Schattens auf dich wartete und nur den richtigen Moment abzupassen schien, um dir die Kehle durchzureißen.

Die wirklich schlimmen Tage waren allerdings die, wo du dachtest, alles wäre perfekt und die Dinge hätten sich geändert. Für ein paar Momente hatte ich wirklich geglaubt, dass sich meine Eltern geändert hätten. Und der scheinbar perfekte Tag endete in einem Desaster und damit meinte ich nicht nur die zertrümmerten Bierflaschen, deren Scherben mich nicht immer nur äußerlich verletzten.

Ich lernte jedoch nie mit den Fetzen, aus denen nur noch mein Herz und meine Würde bestanden, zu leben und wusste auch gar nicht, wie ich das hätte schaffen sollen.

Es war wie ein fehlendes Teil eines Mosaiks. Ohne dieses Teil würde das Bild nie ein Ganzes ergeben und vielleicht würde ich nie ganz sein.

Zur Zeit der Aufklärung gab es mal einen französischen Philosophen mit dem Namen Rousseau. Er ging davon aus, dass der Mensch von Natur aus gut sei und, dass jedes Kind einen guten Kern besäße. Dieser durfte jedoch nicht durch die Erziehung beschädigt werden.

Rousseau meinte außerdem, dass der Schutz vor diesen Beschädigungen und das Lernen durch Vernunft und Erfahrung die Grundsätze der Entwicklung von Kindern seien.

Um ehrlich zu sein, stimme ich diesem wirklich intelligenten, aber leider mausetoten, Typen zu.

Niemand schert sich wirklich einen Dreck darum, was manche Dinge mit den Kindern anrichten. Keiner denkt über seine Wut hinaus. Keiner wagt es in die ängstlichen Kindergesichter zu sehen, weil sie wissen, wie viel sie da eigentlich gerade kaputt machen.

Rose hat mich immer gesehen. Selbst wenn ich versucht habe für die anderen aus meiner Klasse der witzige Dean zu sein. Der Dean, der immer für alle da war. Doch wenn ich selbst Probleme hatte, war niemand da, der mir auf die Füße half.

Und eines Tages trat dieses dunkelhaarige Mädchen, mit ihrer viel zu großen Brille und der türkisen Jacke, in das Klassenzimmer.

Von da an hatte ich die Quasselstrippe, mit dem viel zu reichen Vater, an der Backe. Und auch, wenn sie mich regelmäßig auf die Palme brachte, war es doch ein Wunder, dass sie mich in den folgenden Jahren so lange lebendig hielt.

„Dean!?"

Erschrocken zuckte ich zusammen. Rose starrte mit weit aufgerissenen Augen auf etwas neben mir. Ich folgte ihrem Blick und bemerkte, dass sie auf meinen linken Arm schaute.

Ich hatte gar nicht bemerkt, dass ich mich mit einem Arm über mir am Geländer festklammerte. Dabei war der Ärmel meines, viel zu locker sitzenden, Jacketts ein Stück weit heruntergerutscht.

„Du hast mir versprochen, dass es aufgehört hätte", flüsterte sie atemlos, als hätte sie nicht genügend Luft in den Lungen.

Fast schon spöttisch hustete ich, da das nur allzu vertraute Stechen meinen Brustkorb durchzuckte. „Es hätte nie aufgehört. Lustig, dass das die einzige Lüge war, die du mir je abgekauft hast."

Ich sah, wie hart sie meine Worte trafen, doch trotzdem schaute ich nicht weg. Ich hatte es nicht verdient wegzuschauen. Ich hatte es verdient, ihren Schmerz zu sehen und zu leiden.

Tränen lösten sich aus ihren Augenwinkeln und bahnten sich den Weg über ihre Wange und ich erkannte, dass es für uns beide keine Rettung gab.

Und auch, wenn sie das vielleicht anders sah, wusste ich dennoch, dass auch sie viele Wunden hatte, an denen nicht nur ihr Monster von Vater schuld war.

„Ist es immer noch so ...", sie schluckte, „wie früher?"

„Ich wüsste nicht, was das dich anginge."

„Dean..."

"Was Dean?", fuhr ich sie wütend an.

Ich wusste, wenn ich sie so behandelte, dass sie dann nichts mehr sagen würde. Sie konnte das, was sie getan hatte, nicht wieder mit sinnlosen Entschuldigungen gerade bügeln. Vor allem nicht in einer Situation, wie dieser.

Das wofür ich sie hasste, war nicht, weil sie mich verletzt hatte, oh nein, das war ich schon ohnehin, sondern, da sie dachte, es wäre besser zu gehen, den Kontakt abzubrechen und mich einfach zu vergessen. Weil es für sie verdammt noch mal einfacher war, nicht noch eine kaputte Seele mit sich herum zu tragen.

„Ich kann nicht aufhören! All die Jahre habe ich mir verboten deinen Namen in den Mund zu nehmen", schluchzte sie und ich konnte nicht anders, als Rose verwirrt anzustarren.

Und plötzlich ging alles schnell. Die Wände neben und unter unseren Füßen begannen zu wackeln und irgendein ohrenbetäubendes Piepen verwirrte für ein paar Sekunden meine Sinne.

Und auf einmal sackte der Fahrstuhl nach unten ab.

DeadrosesWo Geschichten leben. Entdecke jetzt