6 - Rose

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„Du weißt schon, dass wir beide sterben werden? Von diesem Stockwerk einen Absturz zu überleben ist so gut wie unmöglich."

Dean versuchte sein Gleichgewicht zu halten, als der Fahrstuhl ein kleines Stück zur Seite kippte. Höchstwahrscheinlich war durch die ruckartige Bewegung eines der Tragseile gerissen.

Mein Herz drohte aus meiner Brust zu springen, während es gleichzeitig versuchte, mich nicht an einem Herzinfarkt verenden zu lassen. Oder vor Angst. Vielleicht auch beides. Sicher war ich mir da nicht.

Ich presste mir eine Hand an meine verkrampfte Brust und versuchte irgendwo Halt zu finden.

„Ich hatte ganz vergessen, was für ein Sonnenschein du bist." Ich versuchte nicht mal den sarkastischen Unterton in meiner Stimme zu verbergen. Mich wunderte es, dass meine Stimme noch nicht komplett den Geist aufgegeben hatte.

Dean schnaubte verächtlich.

Ihm schien die ganze Situation, im Gegensatz zu mir, nicht an die Nieren zu gehen. Wieso hatte er keine Angst?

Er war mir so verdammt fremd geworden, weswegen die Erinnerung an unsere ehemalige Freundschaft nur noch dumpf in meinem Gedächtnis widerhallte. Wir hatten uns einmal nahegestanden, dass wusste ich, doch ich musste anfangen zu akzeptieren, dass diese Zeit längst vorbei war. Und das war ganz allein meine Schuld.

„Schon witzig", sagte er so leise, sodass ich erst dachte, ich hätte es mir nur eingebildet.

„Du findest das alles witzig?", fragte ich ihn fassungslos und hätte ihn am liebsten angeschrien. Ich war in meinem schlimmsten Alptraum gelandet und da war der abstürzende Aufzug eigentlich nicht vorgekommen.

Wir schwebten in Lebensgefahr und er fand das alles zum Totlachen!? Er hatte eindeutig den Verstand verloren.

„Wir werden sterben", murmelte ich unter Tränen. Ein weiteres Seil riss und nun hing der Aufzug so schräg, dass er an einer Wand des Schachtes entlangschrammte.

Am liebsten hätte ich mein Gesicht in meinen Armen vergraben, doch stattdessen klammerte ich mich an den glatten Wänden des Aufzugs fest und wünschte, mir würden wie Logan Krallen wachsen.

Ich betete zu all den längst verstorbenen Leuten im Himmel, doch was sollten die schon ausrichten?

Wie viel Zeit war schon vergangen? Wann würde es wieder Strom geben und wann würde jemand kommen, um uns zu retten?

Meine Hände zitterten unkontrolliert und ich versuchte ruhig weiter zu atmen. Doch selbst meine Lungen hatten schon den Glauben daran verloren, dass wir es noch schaffen konnten.

Wenn man genau darauf achtete, konnte man spüren, wie der Aufzug leicht hin und her schwang. Zwei Seile waren schon gerissen, aber es konnte auch noch mehr kaputt sein. Wer wusste schon, wie lange die Maschine noch das Gewicht von Dean und mir tragen konnte.

Ich versuchte etwas zu sagen, doch meine Lippen bebten und ich schmeckte Blut, da ich mir vorhin ausversehen die Lippe aufgebissen hatte. Doch dann schaffte ich es, mich für einen kurzen Moment zu sammeln.

„Was ist, wenn der Aufzug abstürzt?"

Die Antwort war klar und ich ahnte es schon, bevor er überhaupt antworten konnte.

„Dann sterben wir."

„Hast du denn gar keine Angst?"

Er zuckte mit den Schultern. In diesem Moment wirkte er so schwach und geschafft, als hätte er schon ein ganzes Leben hinter sich. „Wenigstens reiße ich dich dann mit in den Tod."

Einige Sekunden war es still. Doch schließlich konnte ich mein verzweifeltes Schluchzen nicht mehr zurückhalten. Es schmerzte so sehr, dass ich glaubte, bei lebendigem Leibe zu verbrennen.

Wie konnte er mir das antun?

„Rose, hör auf", sagte Dean leise, sodass ich ihn fast nicht verstand. Die Tränen verschleierten mir die Sicht, doch trotzdem erkannte ich, wie sich seine Haltung veränderte.

„Hör auf zu weinen, Rose", flüsterte er erneut und ich hörte selbst über meine Schluchzer hinweg, dass seine Stimme brach. „Du weißt selbst, was du ..."

„Du weißt nichts!", schrie ich und er zuckte zurück. „Du. Hast. Keine. Ahnung. Ich weiß, dass du mich hasst und das habe ich auch verdient! Aber ich weiß gerade nicht mehr wo oben und unten ist oder ob ich je wieder die Sonne sehen werde, also lass es einfach gut sein."

Nach diesen Worten fiel ich in mich zusammen. Ich schlang die Arme um meine Beine und mir war dabei egal, ob ich nun keinen Halt mehr fand. Denn den hatte ich schon längst verloren.

DeadrosesWo Geschichten leben. Entdecke jetzt