2 - Rose

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Scheiße. Scheiße. Scheiße.

Meine Schulter schmerzte höllisch. Wieso musste ich auch ausgerechnet auf dieselbe Stelle fallen, die ohnehin schon geprellt war?

Es war zwar schon ein paar Tage her, aber sie tat immer noch weh. Es war, wie jedes Mal, wenn ich in den Augen meines Vaters nicht gut genug war. Wenn ich nicht die Leistungen hervorbrachte, die er von mir erwartete. Wenn er vergaß, dass ich aus Fleisch und Blut bestand und sich in mir keine Maschine befand.

Ich hatte es immer noch vor Augen, wie sich seine große Hand in meine Schulter krallte und er seiner Wut freien Lauf ließ. Ihm war egal, dass die letzten Striemen noch immer nicht ganz verheilt waren.

„Doch er war doch immer noch mein Vater. Niemals würde er mir ernsthaft wehtun!" Doch leider hatte ich das viel zu oft gedacht und wurde jedes Mal wieder aufs Neue belehrt.

Ich versuchte mich bequemer hinzusetzen und zuckte unter dem Schmerz zusammen, der augenblicklich durch meine Schulter schoss. Mein Bein berührte fast seines und ich zwang mich aufzuschauen.

Es schien fast, als würde er nicht mehr atmen - so still saß er da. Seine Wirbelsäule war deutlich an seinem Nacken zu erkennen, da er den Kopf auf seine angewinkelten Knie gelegt hatte.

Dean war dünner geworden. Sein dunkelblondes Haar war kürzer als damals, was sein markantes Gesicht noch mehr hervorhob. Diese Härte in seinem Gesicht passte nicht zu ihm.

Früher war er einer dieser Menschen gewesen, die auf ihre eigene Art und Weise perfekt waren. Und damit meinte ich nicht, dass er besonders gute Noten hatte oder besonders attraktiv gewesen war. Er war ehrlich und selbstlos und alles, was ich nicht war.

Wenn ich jetzt noch einmal die Möglichkeit hätte, die Dinge anders zu machen, dann würde ich nicht wegschauen.

Ich konnte das, was ich getan hatte oder besser gesagt, nicht getan hatte, nicht wieder rückgängig machen. Den Preis dafür bezahlte ich jeden einzelnen Tag.

„Dean." Die Worte flossen wie ein unaufhaltsamer Wasserfall aus meinem Mund. Natürlich hatte ich seinen kurzen Blick bemerkt, als er dachte, ich würde nicht hinschauen.

Was er sich wohl gerade dachte? Viel hatte ich mich nicht verändert. Nur die Brille von damals war ich losgeworden. Sie war knallorange gewesen und ich hatte sie geliebt, doch Dean hatte sich immer über sie lustig gemacht. Er meinte die Farbe sehe aus, wie eine einmal durchgekaute Apfelsine.

Meine schwarzen Locken hatte ich von meiner Mutter, die sich nach der Trennung von Dad irgendwann aufhörte zu melden.

Ich hatte nicht viele Erinnerungen an sie. Dad redete nie über sie und ich traute mich nie mit dem Thema anzufangen.

Sie hatte damals diese Entscheidung getroffen, ohne ihre Tochter leben zu wollen. Vielleicht hatte sie schon wieder eine neue Familie und vielleicht hatte sie mich nun einfach vergessen und aus ihrem neuen Leben ausradiert.

Das einzige, was mir wirklich leid tat, war die Zeit, die ich mit Warten und Unwissenheit verbracht hatte. Was mir leid tat, waren die endlosen Fragen meiner Freunde nach meiner Mutter. Ich konnte ihre mitleidigen Blicke nicht mehr ertragen, mit denen sie ich begafften, als wäre ich ein Tier im Zoo.

Dean war damals meine Familie gewesen. Mein Vater war fast nie zuhause gewesen, doch Dean war immer da. Dean hätte mich nicht so einfach im Stich gelassen.

Natürlich glaubte ich irgendwann nichts mehr von seinen ganzen Lügen. Ich fragte mich, wie unsere Mitschüler und Lehrer nicht seine verkrampfte Haltung und das aufgesetzte Lächeln mitbekommen hatten?

„Geht's dir gut", hatte ich gefragt.

Und er nickte immer zur Antwort. Die Zähne zusammengekniffen, sodass es leichter war die Mundwinkel hochzuziehen.

Ich sah den Schmerz in seinen Augen und das Flehen, was er einzig und allein auf mich richtete. Ich wollte ihm ja helfen.

Ich war dumm und naiv und dachte wir könnten uns gegenseitig helfen, doch am Ende haben wir uns nur noch mehr kaputt gemacht, als wir ohnehin schon waren.

DeadrosesWo Geschichten leben. Entdecke jetzt