Kapitel 6 - Unerhört Egal

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Der Montagmorgen kam in einer ruhigen Stille daher, die völlig im Gegensatz zu meinem aufgewühlten Inneren stand.

Der Schulhof lag wie ausgestorben vor mir, als ich durch das breite Schultor trat. Ich straffte die Schultern, während ich mich selbst zu überzeugen versuchte, dass dieser Morgen nicht in einem Desaster enden würde. Aber wen wollte ich eigentlich täuschen?

Die Sonne hatte sich noch nicht über das Gebäude erhoben, aber auch heute würde wieder ein heisser Tag werden. Das gleissende Licht kroch bereits über die entfernte Fussballwiese und das helle Grün stand in starkem Kontrast zum nähergelegenen Rasen, der noch im Schatten lag und in den betonierten Platz überging.

Normalerweise hätte der Anblick mir ein Lächeln entlockt, aber im Moment konnte ich mich nur darauf konzentrieren, wie unangenehm der Träger meiner Tasche in meine Schulter schnitt.

Das Manuskript wog so viel schwerer, als das Papier allein es gekonnt hätte. Gerade so, als würden die Worte, die darauf abgedruckt waren mit ins Gewicht fallen und mich nach unten ziehen.

Ich wollte mich nicht bei Nia einschmeicheln. Alleine der Gedanke war mir mehr als zuwider und es half überhaupt nicht, dass die kleine Stimme in meinem Kopf sich gigantische künstliche Wimpern auf die Augen geklebt hatte und nun mit kokett übereinandergeschlagenen Beinen auf der Kante ihres Sessels sass, um dort damit zu klimpern, die Hände artig im Schoss.

„Oh, Nia! Eure königliche Hoheit. Welch reizvoller Jüngling Ihr doch seid!" klimper klimper „Gewährt mir die Gunst Eurer Aufmerksamkeit."

Halt die Klappe, dachte ich und beschleunigte meine Schritte.

Ich konnte bereits von weitem die Stimmen von anderen ankommenden Schülern hören, die ihre Fahrräder in den Unterstand stellten und ich schaute hoch zu den Fenstern im zweiten Stock, wo ich meine Ruhe haben würde.

Ich verzog den Mund als ich daran dachte, dass Nia heute in der ersten Stunde ausgerechnet neben mir sass und stiess die Tür zur Haupthalle sehr viel ruppiger auf, als geplant.

Sofort umfing mich die wohltuende Kühle des alten Gebäudes und ich steuerte auf eine der beiden Treppen zu, die links und rechts abgingen und in den zweiten Stock führten. Sie endeten oben in gewaltigen steinernen Bögen, die sich rund um die Halle zu einer Balustrade fortsetzten, so dass man hinunter in die Eingangshalle schauen konnte.

Ich hastete die Treppe hinauf und liess meinen Blick über den grossen Aufenthaltsbereich wandern, der sich hinter der Balustrade ausbreitete. Normalerweise verbrachten die Schüler ihre Pausen hier. Wenn sie nicht gerade in den Gängen vor den Schulzimmern herumlungerten oder hinunter auf den Hof gingen, sassen die meisten von ihnen in Gruppen an den Tischen, die sich bis zu den Fenstern auf der Rückseite des Gebäudes fortsetzten.

Der Lärm und das Gedränge, das dann herrschte, waren unbeschreiblich.

So früh am Morgen hingegen fühlte sich der Raum richtiggehend surreal an. Wie wenn man in einem leeren Stadion steht oder mitten in der Nacht auf einer grossen Piazza, wo sonst den ganzen Tag über Trubel herrscht und man sich plötzlich so alleine auf der Welt vorkommt, wenn man über das Kopfsteinpflaster blickt, das im warmen Licht der Laternen da liegt und auf das Licht der Morgensonne wartet.

Ich seufzte und schüttelte den Kopf. Meine lächerlichen Gedanken waren wahrscheinlich genau der Grund dafür, weshalb ich alleine auf dem Platz stand. Ausserdem musste ich gerade weder auf das Licht der Morgensonne warten, noch auf den Trubel.

Den trug ich nämlich in mir.

Die unterschiedlichsten Emotionen stritten sich in meinem Inneren miteinander und als ich die nächste Treppe erklomm, da fragte ich mich unwillkürlich, wie ich eigentlich jemals in eine solche Zwickmühle der Gefühlslagen hatte geraten können.

Hinter der Bühne (AT)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt