Kapitel 9 - Eine stille Erkenntnis

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Der grosse Saal hatte sich seinen Namen redlich verdient.

Die verglaste Seite öffnete den Blick auf die Laufbahn und den Sportplatz hinter der Schule, über dem sich die Wolken düster zusammenballten.

Die Fenster gingen bis zum Boden, so dass es aussah, als könnte man vom Parkett direkt hinaus auf den Rasen treten und das Vordach schirmte die Scheiben gegen das Unwetter ab, was die Weltuntergangsstimmung noch verstärkte.

Der Kontrast zum grellen Licht hier drinnen verlieh dem Raum etwas Heimeliges.

Ich warf einen sehnsüchtigen Blick über meine Schulter, als ich mich an den Rand des Halbkreises stellte und Frau Lautners Zusammenfassung des Stücks lauschte.

Ich war froh darüber, dass sie ihre Drohung nicht gleich in die Tat umgesetzt und mich mit Nia auf die Bühne beordert hatte.

Mein Magen fühlte sich noch immer an, wie aus Blei. Ich würde unser Gespräch noch eine Weile zu verdauen haben und hätte gerade alles für ein bisschen Privatsphäre gegeben.

Nia hingegen schien meine Anschuldigungen schon wieder abgeschüttelt zu haben und war in seine gewohnte Lässigkeit zurückverfallen.

Er hatte sich auf die andere Seite verzogen und ich hörte unterdrücktes Gelächter. So wie die Jungs ihn anstiessen blieb kein Zweifel daran, dass sie wissen wollten, wo er gewesen war und was er dort mit mir gemacht hatte.

Ich selbst versuchte die Blicke meiner Mitschülerinnen zu ignorieren und dabei nicht allzu deutlich zu zeigen, wie durcheinander ich war.

Ging es ihm nicht so? War es für ihn so leicht, sich nichts anmerken zu lassen? Oder war ihm alles egal?

Als mein Blick erneut in seine Richtung schweifte, mischte sich allerdings leise Überraschung in das Gefühlswirrwarr in meinem Inneren.

Nia hatte die Arme verschränkt und wehrte die Fragen der Jungs ab.

Ob er weiteren Ärger mit unserer Lehrerin vermeiden wollte? Oder war es ihm peinlich, dass er mit mir in Verbindung gebracht wurde? Vielleicht. Aber etwas in mir wollte daran glauben, dass er auch deshalb nichts über unsere Unterhaltung sagen wollte, weil es niemanden sonst etwas anging.

Und obwohl ich diesem Gedanken nur unwillig Raum gab, löste das den Knoten in meinem Magen ein wenig.

Frau Lautners Stimme schnitt durch den Raum und das laut gewordene Murmeln erstarb.

„Heute wollen wir das Theaterstück besser kennenlernen und sämtliche Rollen besetzen. Ich hoffe, dass ihr euch in der vergangenen Woche Gedanken darüber gemacht habt, welchen Part ihr spielen wollt."

Sie fuhr damit fort, über die Arbeiten zu sprechen, die vor der Hauptprobe noch auf uns zukämen und wie sie sich den Abend vorgestellt hatte, an dem wir das Stück aufführen würden.

Ich schaute mit einem mulmigen Gefühl zu den Stühlen, die im hinteren Bereich des Saals aufgestapelt waren.

Im vorderen Bereich gelangte man über eine schmale Treppe hinauf zur Bühne. Ihre Rückwand war mit hellem Holz vertäfelt und ich wusste, dass sich darin eine Tür verbarg, durch die man in den Raum für Requisiten gelangen konnte.

Es war schon ein paar Jahre her, aber ich erinnerte mich lebhaft an das letzte Mal, als ich hier gewesen war.

Ich hatte damals bei einem Frühlingsfest mitgeholfen die Dekorationen zu basteln und obwohl mich am Ende niemand in seiner Gruppe dabei haben wollte, war das eine meiner schönsten Erinnerungen in meiner bisherigen Schulzeit. Ich hatte Material angeschleppt und die Hälfte der Zeit damit verbracht zu träumen und darauf zu warten, dass jemand Nachschub brauchte.

Hinter der Bühne (AT)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt