Clint der Zirkusclown

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Egal wie schlimm ich es mir auf einem Motorrad immer vorgestellt hatte, die Realität war bedeutend schrecklicher.
Nun gut, vielleicht wäre es auf einer asphaltierten und ebenen Straße richtig schön gewesen, doch im Moment war das genaue Gegenteil der Fall.
Denn was in einem Wald Gang und Gebe war, waren eben Bäume, die der Agent in rasender Geschwindigkeit um schlängelte.
Und um nicht bei jedem der unseren Weg kreuzte erschrocken aufzuschreien, vergrub ich das Gesicht, trotz störender Sonnenbrille, in seiner Jacke.
Das einzige was ich also von dieser kleinen Spazierfahrt wahrnahm, war das rauschen des Windes, das Knacken von Ästen, die unter dem Gewicht der Maschine nachgaben und der tolle Geruch von frischer Wäsche.
Ja, ich gab es zu.
Clints Jacke roch echt toll und war so wunderbar weich.
>>Ich muss ihn dringend fragen welchen Weichspüler er verwendet.<<
Jedoch war der Spaß irgendwann zu Ende – nach gefühlten zwei Stunden -  und der Agent betätigte die Bremse, sodass das Höllengefährt stoppte.
>>Yeah wir sind gegen keinen Baum gefahren.<<
"Du kannst loslassen." meinte er amüsiert, weshalb ich meine verkrampften Finger aus dem Stoff seiner Jacke löste und auch meinen Kopf hob, um mich umzusehen und die Brille abzunehmen.
Welch Überraschung...
Wir befanden uns immer noch im Wald.
Mir entfloh ein frustriertes Seufzen.
Irgendwie hatte ich mit etwas... Spektakulärerem gerechnet, was ich dem Agenten auch gleich unter die Nase rieb.
"Ist das alles, oder hast du noch ein Ass im Ärmel?"
"Wenn du absteigst sag ich es dir."
>>Seufz...<<
Umständlich tat ich ihm den gefallen und sah Clint dann abwartend an, bis er dann mir gegenüber stand.
Er nahm den Rucksack wieder an sich und schaute sich dann um.
"Wir müssen noch einige Minuten laufen. Dann sind wir da."
Und anstatt weitere Erklärungen abzugeben und das Ziel preiszugeben, oder aber meinen verdatterten Gesichtsausdruck zur Kenntnis zu nehmen, stiefelte er einfach los.
"Diese vermaledeiten Agenten." murmelte ich und folgte ihm gezwungenermaßen.
Natürlich blieb der Weg nicht eben, sodass wir über Stock und Stein krauchen und öfters einen umgefallen Baum überqueren mussten.
Clint – der immer noch seine Sonnenbrille trug -  ging dabei immer ein bis zwei Meter voraus, da ich nicht wirklich hinter herkam.
Nicht lang dauerte es jedoch, bis mir das ganze gefiel.
Auch wenn ich als Stadtkind groß geworden war, konnte ich die Schönheit der Natur nie ignorieren und genoss jeden Moment in dieser.
Die Sonne schaffte es an manchen Stellen durch das Blätterdach und beschien den feuchten Boden, auf dem bereits einige Sprösslinge wuchsen.
Zwar waren die Bäume vom vorangegangenen Winter noch kahl, doch stahlen sich bereits manch junge Triebe an die Äste, während der Efeu die Stämme erklomm.
Hier und da zwitscherten ein paar Vögel, oder Insekten flogen durch die Luft.
Sogar ein Eichhörnchen wagte sich aus seinem Versteck und verfolgte uns mit seinem Blick.
Ich hatte nicht gemerkt das Clint sich zurückfallen lassen hatte, und erschrak deshalb ein wenig, als er das Wort an mich richtete.
"Immer noch so schlimm?"
"Nein. Es ist schön hier. Mal was anderes als das triste Grau der Großstadt." antwortete ich schulterzuckend.
"Dann habe ich ja mal ausnahmsweise etwas richtig gemacht."
"Bis auf das Motorrad, ja."
Er schüttelte grinsend den Kopf und blieb dann stehen.
Mit hochgezogenen Augenbrauen folgte ich seinem Blick zu einem Hügel, der gute zwanzig Meter, recht Steil in die Höhe ragte und links und rechts anscheinend endlos weiter ging.
Seufzend ließ ich den Kopf hängen, weshalb Clint auflachte und meine Hand nahm.
"Es ist gleich geschafft. Großes Indianerehrenwort."
>>Ob das bei einem Agenten viel zu sagen hat?<<
Dennoch ließ ich mich mitziehen und trat mit Clint zusammen den Aufstieg an, der durch seine Hilfe leichter ging als erwartet.
Die Wurzeln der Bäume und einige Steine erleichterten den Tritt auf dem Teils matschigen Boden und sorgten dafür, das wir trotz des steilen Anstieges recht schnell oben ankamen.
Dort bot sich mir ein fantastischer Ausblick auf einen glitzernden kleinen See, der in einer Erdmulde lag und durch den Hügel ringsherum eingegrenzt wurde.
Da blieb einem ja fast die Spucke weg.
Clint schmunzelte über meine Reaktion und zog mich dann wieder die Böschung hinunter.
Auf dieser Seite war es nicht ganz so steil, weshalb wir schnell auf einem Felsvorsprung, direkt über dem Wasser ankamen.
Hier konnte die Sonne ungehindert scheinen und somit die Wasseroberfläche zum funkeln bringen, da nur wenige große Bäume die Böschung rund herum säumten,
Als Clint den Rucksack abgestellt hatte, folgte er meinen Blick.
"Sei ehrlich... Wie findest du es?"
"Es ist wunderschön." gab ich zu und entlockte ihm damit ein zufriedenes Lächeln.
"Dann bin ich erleichtert. Weißt du, ich habe den Platz hier beim Training entdeckt und wahrscheinlich kennt ihn außer dir und mir sonst niemand. Er ist also etwas besonderes."
Er holte eine zusammengerollte, dünne Decke aus dem Rucksack und legte sie auf den steinigen Untergrund, nahe am Rand des Felsens.
Neugierig wie ich war, spähte ich in das Gepäckstück, kam aber nicht weit, da der Agent sich grinsend in mein Blickfeld stellte, um dann einige Sachen aus dem Rucksack auf die Decke zu packen.
>>Jetzt aber!<<
Nun konnte ich einen Blick auf die vielen Leckereien erhaschen, die er anscheinend für ein kleines Picknick zusammengepackt hatte.
Sandwiches, ein wenig Obst und Gemüse... Clint hatte wirklich an alles gedacht.
Doch das war noch nicht alles.
Er setzte sich und zog mich kurzerhand neben sich auf die Decke um dann erneut geheimnisvoll in den Rucksack zu greifen.
Mit einem amüsierten Blick zu mir, holte er zuletzt zwei weiße Plastikbecher und eine Flasche Sekt heraus.
Mein Mund stand weit offen, als ich erschrocken zwischen ihm und dem Getränk hin und her sah.
"Clint, du musst noch fahren!"
Aber er lachte nur und deutete auf das Etikett.
Alkoholfrei
Okay... JETZT hatte er an alles gedacht.
Ich konnte nur grinsend und ungläubig mit dem Kopf schütteln.
"Tja, eigentlich bin ich nicht so romantisch. Aber das ist unser erstes Date also..." sagte er, öffnete die Flasche mit einem Plopp und goss den Inhalt dann in die Becher.
"… Soll das hier etwas ganz besonderes werden."
Er reichte mit lächelnd einen Becher, den ich dankend entgegennahm, um mir dann zu zu prosten.
"Auf diesen wunderbaren, normalen Tag."
Oh ja, so einen Tag konnte ich mal gebrauchen.
Keine Götter deren Magie von Papi gemoppst wurde, kein Shield, sowie keine anderen Probleme, die mit all dem in Zusammenhang standen.
Nun gut, eine Ausnahme gab es.
Und die saß neben mir.
"Auf einen wunderbaren, normalen Tag." wiederholte ich feierlich und titschte mein Trinkgefäß gegen seines um dann einen großen Schluck zu nehmen.
Der Sekt war noch wunderbar kalt und leicht süßlich.
Das das vertraute Gefühl des Alkohols fehlte, machte gar nichts.
Nun war das Essen an der Reihe und musste einer ganz genauen Prüfung unterzogen werden.
Doch wie nicht anders zu erwarten – und es war bestimmt nicht so schwer ein Sandwich zu machen – schmeckte alles wunderbar.
Nach einem der belegten Brote und vielen, vielen Gurkensticks, legte ich mich mit einer Hand voll Weintrauben mit dem Rücken auf die Decke und starrte in den Himmel.
Clint hatte die ganze Zeit das Grinsen nicht aus dem Gesicht bekommen und tat es mir gleich.
Im Gegensatz zu mir hatte er sich aber seiner Jacke entledigt.
Zwar schien die Sonne, doch so warm war es nun doch nicht.
Aber so tickten Agenten eben.
Keine Ahnung wie lange wir einfach so dalagen ohne etwas zu sagen und einfach die Natur genossen.
Schon lange hatte ich mich nicht mehr so wohl Gefühl, vor allem nicht seit dem Angriff.
"Willst du mit mir reden?" fragte Clint plötzlich, woraufhin ich ihm leicht gegen den Arm schlug.
"Hör auf damit."
"Was hab ich denn gemacht?"
"Du redest. Das stört den Moment."
Ich hörte wie er leise lachte.
"Dann soll ich nicht reden?"
Schmunzelnd drehte ich mich auf die Seite und sah das er amüsiert zu mir blickte.
"Darf ich wenigstens Atmen?"
Gespielt nachdenklich spielte ich mit einer Fluse auf der Decke herum, woraufhin mir der Agent grinsend gegen den Arm boxte.
"Hey, du bist ein Avenger also zeig ein wenig Sozialkompetenz."
"Das tu ich doch. Ich war kurz davor "ja" zu sagen." erwiderte ich empört und erntete noch einen nicht ernst gemeinten Schlag.
"Wir waren seit wir uns kennen noch nie so zusammen wie jetzt, ist dir das aufgefallen?" fragte er auf einmal, weshalb ich kurz eine Augenbraue hochzog.
"Du hast mich ja auch vorher noch nie nach einem Date gefragt."
Clint lachte auf und rollte sich auf den Rücken um wieder zum Himmel zu sehen.
"Das meinte ich nicht. Wir hatten bis jetzt nie Zeit richtig zu reden. Ständig gab es etwas zu tun und die Welt war beinahe vor dem untergehen, oder  es war einer der anderen dabei."
"Oder Loki." warf ich ein.
"Oder Loki." stellte er Augen rollend fest.
Ich dachte kurz nach und legte mich auch wieder auf den Rücken.
"Dann lass uns jetzt reden. Du fängst an."
Kurz war es still, bis er tatsächlich sprach.
"Okay... Du hast noch nicht immer in New York gewohnt, oder?"
Ich runzelte die Stirn.
"Du hast meine Akte gelesen, also müsstest du das doch wissen."
"Du wolltest reden." entgegnete er und lachte erneut.
Da hatte heute wohl jemand zu viel Lachgas geschnüffelt.
Um die Unterhaltung nicht sofort abbrechen zu lassen, antwortete ich.
"Meine Mum ist erst hergezogen, als ich drei war. Vorher haben wir in einem kleinen Kaff nahe Nashville gewohnt. Sie hatte ein gutes Jobangebot bekommen und gedacht, das es besser wäre, wenn ich in New York, oder eben Queens aufwachsen würde. Und dafür bin ich ihr mehr als dankbar. Tennessee ist öde und hat mir schon zum Hals raus gehangen, wenn ich dort in den Ferien zu Besuch war."
"Ein richtiges Großstadtkind. Du hast da also noch Familie?"
"Jap. Großeltern, eine Tante, einen Onkel und Cousins und Cousinen. Der Kontakt ist nur nicht mehr so gut."
Ich sah aus dem Augenwinkel wie er nickte und stupste ihn dann an.
"Jetzt du. Deine Akte hab ich nämlich nicht gelesen."
Nun ja, das war nicht ganz richtig, was er wohl wusste und mich kurz musterte, ehe er einen Arm hinter dem Kopf verschränkte.
Ich hatte aber wirklich nur einen Moment reingeschnuppert und nicht mehr gesehen, als ein paar seiner gemeisterten Missionen.
"Was willst du wissen?"
Nur klang er nicht mehr so begeistert wie noch vor einigen Sekunden.
Anscheinend redete er nicht besonders gerne über sich und seine Vergangenheit.
Aber ich war einfach zu neugierig um die Klappe zu halten.
"Na ja... Was hast du gemacht, bevor du zu Shield gekommen bist?"
"Ich war im Zirkus."
Aha...
WAS?
Ich stützte mich auf die Ellbogen und sah den Agenten verständnislos an.
"Willst du mich auf den Arm nehmen? Du im Zirkus?"
Als wäre genau diese Tatsache das natürlichste der Welt, nickte er locker.
"Mit meinem Bruder, ja."
"Du hast einen Bruder?!"
Nun saß ich vollends aufrecht, ihn verdattert ansehend, während Clint gelassen auf der Decke lag.
"Erklärungen Agent Barton! Du kannst nicht einfach so nebenbei erwähnen das du einen Bruder hast!"
Er verzog keine Miene bei seinen nächsten Worten.
"Hatte. Ich hatte einen Bruder."
Oh...
Prompt bereute ich meine Fragen, dir mir jetzt total ungehobelt vorkamen.
Clint merkte meinen Stimmungswechsel, was wohl daran lag das ich ihn betrübt anstarrte, und lächelte deshalb gleich, um die ganze Sache abzumildern.
"Sarah, nun schau nicht so. Er ist nicht tot wenn du das denkst."
Was hätte ich seiner Meinung denn sonst denken sollen?
Der Bogenschütze nahm meine Hand und spielte mit meinen Fingern herum.
"Wir waren damals noch Teenager und haben uns... ein wenig gestritten. Ich bin abgehauen, ein paar Jahre allein durch die Staaten gezogen und am Ende bei Shield gelandet."
Bevor ich etwas sagen konnte, fügte er noch etwas hinzu.
"Und nein, ich war im Zirkus kein Clown. Dort habe ich das Bogenschießen erlernt und später perfektioniert."
"Ich hätte doch niemals gedacht das du als Clown dort gearbeitet hättest." sagte ich abwinkend.
Eigentlich hatte ich das sehr wohl.
>>Er kann zwar alles Essen, aber nicht alles wissen.<<
Jetzt wo das Gespräch wieder in lockere Gefilde glitt, wagte ich es, mich wieder hinzulegen.

Die nächsten Stunden genossen wir das reichhaltige Essen und das schöne Wetter, während wir über Gott und die Welt redeten.
Nein, nicht über Loki.
Dieses Gesprächsthema und auch andere unerfreuliche ließen wir aus.
Manchmal blieb es aber auch einfach nur still, was aber keineswegs unangenehm war.
Es war toll, einfach nur herumzuliegen und nicht über das nachzudenken, was außerhalb dieses Waldes geschah.
Die ganze Zeit über hielt er meine Hand weiter in seiner.

Pünktlich hatte ich den Agenten dann überreden können, wieder aufzubrechen, ehe die Sonne unterging.
Auf dem Motorrad fahren war im Hellen schon nervenaufreibend, doch wenn es erst dunkel und war, würde ich mich niemals darauf trauen.
Egal wie oft Clint sagte, das er ein guter Fahrer war und ich ihm vertraute.
Das Mini-Trauma vom Flug damals hatte ich noch nicht überwunden.
Der Himmel färbte sich rot als wir mit dem Wagen wieder auf die Asphaltierte Straße bogen und die  
Einsamkeit des Waldes hinter uns ließen.

Zwei Stunden später – der Mond schien bereits am New Yorker Nachthimmel – traten wir in mein heimischen Stockwerk.
Obwohl wir den Tag über eigentlich nichts gemacht hatten, außer Faul auf einem Stein herumzuliegen, war ich todmüde.
Clint merkte das wohl und grinste amüsiert.
"Du solltest gleich ins Bett gehen. Ansonsten schläfst du noch im stehen ein."
Ich lächelte müde und nickte.
"Das hatte ich sowieso vor. Also nicht das im stehen einschlafen. Das schlafen im Bett."
Nun trat die peinliche Verabschiedungs-Stille ein.
"Okay... ich hoffe du hattest Spaß und ich hab es nicht komplett versaut." meinte er nach wenigen ruhigen Sekunden.
"Es war wirklich toll. Das ganze hätte ich von dir eigentlich nicht erwartet."
"Ich bin eben immer für eine Überraschung gut. Mir hat der Tag auch gefallen. Es toll mal etwas mit dir zu unternehmen. Ich weiß ja nicht wie du es siehst, aber es besteht Wiederholungsbedarf, oder?"
Ohhh.
Wiederholungsbedarf gleich zweites Date.
Merkwürdigerweise war ich nicht abgeneigt.
Wahrscheinlich weil die Müdigkeit mir in den Knochen steckte und mein Denken beeinflusste.
Deshalb merkte ich das Nicken das von mir ausging auch nicht wirklich.
Er lächelte sofort begeistert und zog mich kurzerhand in eine Umarmung.
"In nächster Zeit kann ich damit aber nicht dienen. Arbeit und so. Du kennst das ja." murmelte er nahe meines Ohres und lachte leicht.
Ich nickte und kratzte all meinen vorhandenen Mut – der sicher durch den alkoholfreien Sekt zustande gekommen war – zusammen und gab ihm einen Kuss auf die Wange.
Sofort war mein Mut dann aber auch schon im letzten Loch verschwunden und ich lief hochrot an.
"Okay. Wir sehen uns."
Ehe er antworten konnte, war ich auch schon im Flur und gleich darauf im Zimmer verschwunden.
>>Was zum Teufel...! Argh... Sarah, ruhig! Er ist dein bester Freund. Bester. Freund.<<
Warum verspürte ich dann aber nach meiner Aktion so ein blödes kribbeln in der Bauchgegend?
Die Müdigkeit war schuld!
Und der Sekt!
Der alkoholfreie Sekt!
Seufzend wischte ich mir über das Gesicht, schlüpfte aus meinen Sachen und genoss eine kurze heiße Dusche, um dann ins Bett zu fallen.

Der Spaß geht in die neue Runde!Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt