Kapitel 58

59 3 0
                                    

Meine Mutter war in großer Aufregung, weil sie Angst hatte, den Truthahn nicht rechtzeitig fertig zu bekommen bis die Gäste da waren.
Es sollten Tante Lucy, Melanie und ihr neuer Freund Jack und seine Eltern kommen. Sie stresste schon den ganzen Tag herum und machte mich schon rasend vor Wut. Ich wollte am liebsten einfach nur abhauen und von mir aus alleine im Park Thanksgiving verbringen. Das würde immer noch besser sein als mit meiner überaus gestressten und herum kommandierenden Mutter.

Ich stand in meinem Zimmer vor meinem Spiegel und betrachtete mein Kleid. Es war genau dasselbe, das meine Mom mir damals herausgelegt hatte, als Sam das erste Mal zu uns kam. Ich musste schmunzeln, als ich darüber nachdachte, wie viel passiert war seitdem.
Ich hätte mir nie erträumen lassen, dass ich mich tatsächlich in den Freund meiner Schwester verlieben würde und heimlich eine Affäre mit ihm eingehen würde.
Mittlerweile trafen Sam und ich uns regelmäßig heimlich seit zwei Monaten. Ich war wirklich glücklich mit ihm, wenn da nicht ständig dieses schlechte Gewissen in meinem Hinterkopf lauern würde. Dies war auch der Grund, warum wir noch nicht offiziell ein Paar waren. Aber ich war heidenfroh, dass Melanie wenigstens endlich über Sam weg war.

Es klingelte unten an der Tür und ich schob meine Gedanken beiseite. Ich atmete einmal tief ein und wieder aus und schlüpfte in die Pumps, die meine Mutter mir ebenfalls bereitgestellt hatte. Ich versuchte, vorsichtig in den Pumps zu laufen, um ja nicht hinzufallen und ging vorsichtig die Treppe hinunter. Meine Tante Lucy stand im Flur und redete mit meiner Mutter. Als sie mein Gesicht erblickte, strahlte sich mich an und nahm mich in dem Arm.

„Ich hab dich so vermisst, Süße!", sagte sie und küsste meine Stirn.
„Ich habe dich auch unendlich vermisst.", erwiderte ich und drückte sie noch einmal ganz fest. Dann half ich ihr dabei, ihre Taschen nach oben ins Gästezimmer zu bringen. Sie würde für eine Woche hierbleiben, bevor sie wieder zurück nach Chicago fliegen würde.

Als wir im Gästezimmer waren, klingelte es erneut. Das mussten Melanie und Jack sein. Ich war etwas nervös, um ehrlich zu sein. Ich hoffte, ich würde mich nicht wieder in den Freund meiner Schwester verlieben. Dann musste ich über meine eigenen Gedanken lachen. Das war gar nicht möglich. Jack würde niemals so toll sein wie Sam. Keiner konnte Sam übertreffen. Vermutlich war Sam das Beste, was Melanie passieren konnte, aber leider hat sie ihn nicht gut genug behandelt und so kam es dazu, dass er sie verlassen hatte.

Ich hörte Stimmen im Flur und ging mit Tante Lucy nach unten, wo wir auf einen gutaussehenden, großen Kerl trafen. Er hatte schwarze, zurückgegelte Haare, ein Muttermal über der Lippe und trug eine Anzughose und ein weißes Hemd mit grauer Krawatte. Sehr förmlich. Das gefiel meinen Eltern.
Ich grüßte Jack und er lächelte mich an. Er stellte sich mir und Tante Lucy vor und wir gingen gemeinsam ins Wohnzimmer, wo wir einen riesigen Truthahn und weitere Leckereien vorfanden. Natürlich hatte meine Mutter alles rechtzeitig geschafft.

Jack begrüßte meine Eltern und wir setzten uns alle an einen Tisch. Wir begannen zu essen und uns zu unterhalten. Jack schien sehr nett zu sein, aber er erreichte nicht Sam. Zwischen den beiden lagen meiner Meinung nach Welten. Jedoch konnte ich feststellen, dass er für Melanie besser geeignet war als Sam. Sie passten besser zusammen. Er war eher wie sie als Sam und das freute mich. Ich wollte nicht, dass sie unglücklich war. Und es gab mir ein bessere Gefühl bei dem Wissen, dass ich erwas mit Sam am laufen hatte.

———

Nach etwa einer halben Stunde klingelte es erneut an der Tür. Wir schauten uns alle verwirrt an. Wer konnte das nur sein? Wir erwarteten niemanden mehr. Meine Mutter stand verwirrt auf und ging zur Tür. Ich hörte wie sie die Tür aufmachte und mit jemandem redete. Ich konnte, jedoch nicht verstehen, was sie sagte.
Wenige Sekunden später sah ich Sam hereinspazieren. Meine Augen weiteten sich sofort. Was hatte er denn hier verloren? Melanie schaute auf und verschluckte sich an ihrem Essen.
Sam hielt eine Flasche Wein in der Hand und grinste mich an. Er begrüßte uns alle und schaute Jack etwas verdutzt an. Er wirkte stark angetrunken.
„Da bist du ja schnell über mich hinweggekommen.", sagte er sarkastisch zu Melanie und zeigte mit dem Daumen auf Jack.
„Was willst du hier?", fragte sie sichtlich genervt.
„Ich wollte Thanksgiving mit der Familie meiner Freundin verbringen.", sagte er als wäre nichts.
Melanie lachte laut auf. „Pah! Ich bin nicht mehr deine Freundin. Dafür hast du gesorgt und um ehrlich zu sein, bin ich froh drum. Ich habe jetzt Jack."
Sam lachte ebenfalls. „Ich rede auch nicht von dir, Melanie. Ich rede von Ana."

Alle Augen richteten sich in diesem Moment auf mich. Ich war geschockt. Wie konnte er so etwas tun? Musste er das ausgerechnet heute, an Thanksgiving, machen? Konnte er mir nicht einfach vertrauen, wenn ich ihm sagte, dass ich schon eine Lösung finden würde, um es Melanie und auch meinen Eltern schonend beizubringen. Liebte er mich so wenig, um mich nicht einfach machen zu lassen, was ich für richtig hielt?

„Was redest du da?", fragte Melanie mit ihrer nasalen, arroganten Stimme.
„Sam, können wir bitte kurz reden?", wendete ich ein, aber er beachtete mich gar nicht.
„Hast du dich eigentlich schonmal gefragt, warum ich mit dir Schluss gemacht habe? Naja abgesehen davon, dass es vielleicht so etwa drei Millionen Gründe gibt?", fragte Sam rhetorisch und fuhr dann fort, „Ich habe mich in jemand anderes verliebt. Jemand, der mich für das anerkennt und das in mir sieht, was ich bin. Jemand, der mich bedingungslos liebt und der mich nicht herumkommandiert. Jemand, der mir Liebe zurückgibt. Und ganz zufälliger- und ironischerweise hast du mich zu dieser Person geführt. Ohne dich hätte ich diese Person vermutlich nie kennengelernt. Also möchte ich dir dafür danken, dass du mir deine Schwester Ana vorgestellt hast. Ich bereue also nicht, mit dir zusammengekommen zu sein."

Melanies Kinnlade fiel herunter. Sie konnte kaum glauben, was sie da gerade gehört hatte. Meine Eltern schauten zunächst Sam und danach mich schockiert an. Mir liefen Tränen in die Augen. Ich konnte nicht fassen, dass Sam das gerade getan hatte. Wie konnte er nur?

„Willst du mich verarschen?", brüllte Melanie mich an. Sie stand auf, kam auf mich zu und zog an meinen Haaren, sodass ich mit dem Gesicht ins Essen reinfiel. Ich verbrühte mir leicht die Wange an der Truthahnsauce und schrie auf. Alle stürzten sich sofort dazwischen und rissen Melanie von mir weg. Sie wollte aber einfach nicht meine Haare loslassen und zog und zog immer weiter daran, bis sie mir ein ganzes Büschel Haare ausriss. Es tat unendlich weh.

"Lass sie los, du Schlampe!", zischte Sam Melanie an.
„Woah, woah, woah, nenn sie nicht so, du Arsch!", mischte sich Jack ein.
„Ach, halt doch dein dämliches Maul!", entgegnete Sam und schlug ihm voller Wucht mit seiner Faust ins Gesicht. Jack tapste leicht nach hinten und sah etwas benommen aus. Meine Mutter schrie auf. „Raus hier! Mach, dass du wegkommst!" Sie versuchte, Sam am Arm zu packen, aber er riss sich los und kam auf mich zu, fasste meinen Kopf mit seinen Händen und fragte mich, ob alles in Ordnung sei. Ich nickte und versuchte, mich von ihm loszumachen, aber sein Griff um meinen Kopf lockerte sich nicht. Dann küsste er mich.
„Du Hure!", schrie Melanie laut auf. Ich konnte aus dem Augenwinkel sehen, wie sie wieder auf mich losgehen wollte, aber von meinem Vater und Tante Lucy zurückgehalten wurde.
Sam küsste mich noch immer und ich versuchte, ihn wegzudrücken, schaffte es aber nicht. Er roch und schmeckte stark nach Alkohol. Er hatte eindeutig getrunken.

Endlich ließ er von mir ab und wendete sich Melanie zu. „Du bist einfach ein widerlicher Mensch. Das wollte ich dir nur sagen. Und du, Louise, du solltest mal deine Augen öffnen. Deine Tochter Ana ist der Wahnsinn. Ich liebe sie über alles. So wie ich deine Tochter Melanie nie geliebt habe und niemals lieben könnte. Ana ist ein wundervoller Mensch. So liebevoll, lustig, verrückt und talentiert und Melanie? Melanie ist einfach eine kleine, hochnäsige Göre, die sich an ihren teuren Klamotten aufgeilt. Einfach widerwärtig, was du aus deiner großen Tochter gemacht hast."
Meine Mutter wäre fast in Ohnmacht gefallen, als Sams Worte aus seinem Mund kamen. Sie umfasste die Stuhllehne, um nicht umzukippen. Plötzlich ging mein Vater auf Sam zu, packte ihn bei den Armen und zerrte ihn aus dem Haus. Sam schrie noch „Happy Thanksgiving!" und dann hörte ich nur, wie die Tür zuknallte und schrak auf.

Dad kam wieder ins Wohnzimmer. „Wie konntest du nur, Ana?" Er sah wirklich enttäuscht aus. Alle sahen enttäuscht aus. Ich blickte in ihre Gesichter und sah Tränen, Wut und Hass. Ich senkte meinen Blick. War das gerade wirklich alles passiert?
„Wenn ihr mich entschuldigt.", sagte ich und flitzte schnell mit heruntergesenktem Kopf in mein Zimmer.

Love Triangle-Verliebt in den Freund meiner SchwesterOnde histórias criam vida. Descubra agora