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Taehyung

"Du siehst nicht wirklich aus wie ein Pizzalieferant", bemerkte der junge Mann, der mir die Tür geöffnet hatte, skeptisch. Ich betrachtete ihn eingehend. Blond gefärbte Haare, wache, dunkle Augen, eine markante Kieferpartie, volle, weich wirkende Lippen, eine zierliche Statur und dennoch eine äußerst dominante Ausstrahlung.

Ja, attraktiv war er definitiv. Und seine Stimme hatte einen wunderschönen Klang.

Es war Sonntagabend, kurz vor Mitternacht, und nach meinem Gespräch mit Seokjin, Namjoon und Hoseok war ich sofort nach Hause gefahren, hatte ein paar Sachen gepackt und war schließlich in den letzten Zug des Tages, der von Seoul nach Busan gefahren war, gestiegen. Wenige Stunden später war ich dann, vor Ungeduld nahezu platzend, in der Stadt angekommen, wo ich ein Taxi gerufen hatte und zu der Adresse, die Namjoon mir gegeben hatte, befördert worden war, in der Hoffnung, dass es sich bei seinem Taemin um den gleichen handelte, der Jungkook unter seine Fittiche genommen haben sollte.

Ich hatte Glück gehabt, als ich geklingelt hatte, denn dieser Mann war davon ausgegangen, dass ich der Pizzalieferant seiner bestellten Pizzen sein würde, und das hatte ich mir, ohne zu zögern, zugute gemacht, sodass ich nun im Flur des Mehrfamilienhauses dem Blonden gegenüber stand.

Ich war mir sicher, dass es Taemin sein musste. Ich war nicht wirklich zur Ruhe gekommen, dass ich mir eine eigene Vorstellung von Jungkooks Freund hatte machen können, aber wenn ich sie mir gemacht hätte, wäre sie der Person, die ich vor meinen Augen hatte, sehr nahe gekommen, dem wir ich mir gewiss.

Da ich dem jungen Mann aufgrund meiner Grübeleien nicht antwortete, hatte er Zeit, mich mindestens genauso intensiv zu mustern, wie ich es bei ihm tat. Dann öffnete er auf einmal den Mund, als wäre ihm etwas eingefallen.

"Verstehe", murmelte er. "Du musst also Taehyung sein."

Entgeistert weitete ich meine Augen. Dieser Mann kannte meinen Namen? Es bestanden keine Zweifel mehr. Es musste sich um Taemin handeln.

Und dass er meinen Namen kennt, bedeutet ...

"Ja, ich bin Taehyung", erwiderte ich ruhig. "Befindet sich Jungkook zurzeit bei dir?"

Taemin sah mich still an, ehe ein Schmunzeln seine weichen Lippen zierte und er sich durch seine Haarpracht fuhr und langsam nickte.

"Jungkook ist bei mir", sprach er dann die Worte aus, nach denen ich mich so lange gesehnt hatte.

Mit einem Mal schienen all die Sorgen und Ängste und Verzweiflungen, die in den letzten Tagen in mir aufgeblüht waren, zu verblassen, denn Erleichterung machte sich in mir breit und ich könnte weinen vor Freude über das Wissen, dass Jungkook in Sicherheit war, ganz in meiner Nähe.

Endlich.

Nur noch ein paar Schritte trennten uns voneinander, dann könnte ich ihn endlich wieder in meinen Armen halten und mit Küssen übersäen.

Taemin lächelte sanft, während sein Blick auf mir lag.

"Er ist dir echt verdammt wichtig", stellte er fest. Entschlossen sah ich ihm in die Augen.

"Natürlich."

Er schaute mich einen Moment lang noch stumm an, ehe er sich ein wenig zur Seite stellte und mit einem Kopfnicken in die Wohnung deutete.

"Jungkook ist im Wohnzimmer. Den Flur entlang und dann links."

Das ließ ich mir nicht zweimal sagen. Mit eiligen Schritten betrat ich die Wohnung und folgte Taemins Weganweisung mit klopfenden Herzen. Nach wenigen Sekunden erreichte ich dann das Wohnzimmer und entdeckte sogleich Jungkook, der mit dem Rücken zu mir auf dem Sofa saß und auf dem Fernseher irgendeine Soap guckte, den Hoodie, den ich ihm damals, als ich beim Libido aufgetaucht war, gegeben hatte, tragend.

Ich stieß ein erleichtertes Seufzen aus. Meine Hand griff sich wie von selbst an meine Brust und krallte sich an dem Stoff meines Hoodies fest.

Er ist es wirklich. Er ist wirklich hier.

Der Rucksack, in dem ich das Nötigste für meine kurzfristige Reise gepackt hatte, rutschte mir von der Schulter und fiel mit einem lauten Knall auf den Boden. Jungkook zuckte zusammen und drehte sich dann langsam in meine Richtung.

"Taemin", sagte er dabei, "sind die Piz-"

Weiter kam er nicht, da trafen seine Augen meine und pure Fassungslosigkeit schmückte sein hübsches Gesicht. Er starrte mich regungslos an, als könnte er nicht glauben, dass ich gerade wirklich hier stünde, in Taemins Wohnzimmer, nur wenige Meter von ihm entfernt.

Aber ich war hier.

"Taehyung", hauchte er nach ein paar Sekunden der Stille mit brüchiger Stimme. Tränen sammelten sich in seinen Augen. Plötzlich sprang er auf und eilte zu mir, drückte sich fest an mich und versteckte sein Gesicht an meiner Schulter, während ich meine Arme um ihn schlang und seine Umarmung erwiderte. Ich ließ keine noch so kleine Lücke zwischen uns, denn ich wollte Jungkook, jetzt, wo ich ihn endlich wieder bei mir hatte, so nah wie möglich sein und am liebsten nie wieder loslassen.

"Jungkook, du Vollidiot", flüsterte ich.

Es war vollkommen ruhig, alles, was ich hörte, war das rasende Pochen meines Herzens, als Jungkook auf einmal zu weinen begann.

"Taehyung", wimmerte er. "Es tut mir so Leid. Es tut mir so unendlich Leid! Ich-"

"Pscht", unterbrach ich ihn sanft. Er hob den Kopf und blickte mich mit rot verquollenen Augen und Tränen durchnässten Wangen an, die ich ihm mit meinen Daumen vorsichtig wegwischte. Ein zartes Lächeln schlich sich auf meine Lippen, während ich Jungkook liebevoll anschaute.

"Es ist unwichtig", sprach ich anschließend. "Es ist unwichtig, warum du abgehauen bist und mir nichts erzählt hast. Hauptsache, ich bin wieder bei dir. Der Rest ist unwichtig, okay?"

Jungkook konnte ein leises Wimmern immer noch nicht unterdrücken, doch er erwiderte meinen Blick fest und nickte hastig. Danach wischte er sich schnell über sein Gesicht, um seine Tränen loszuwerden.

"Ich habe dich so vermisst", wisperte er. Ich strich ihm mit zarten Bewegungen durch seine dunklen Haare.

"Ich dich auch", raunte ich. "Aber jetzt bin ich hier. Und wie ich es dir schon einmal gesagt habe, mich wirst du nicht mehr los. Da magst du noch so oft abhauen und dich noch so oft vor mir verstecken. Ich werde dich immer finden und letzten Endes in meinen Armen halten. Hast du das verstanden?"

Jungkook nickte erneut, ehe er sich langsam vorbeugte und seine Lippen auf meine legte.

Ein Feuerwerk schien in mir zu explodieren, als der Jüngere mich küsste. Seine Lippen passten perfekt auf meine, bewegten sich sanft und gefühlvoll gegen diese und brachten mein Inneres zum Toben, sodass ich nicht anders konnte als in diesen wunderschönen Kuss hineinzulächeln.

Es war atemberaubend.

Eine Weile standen wir hier und tauschten zaghafte Küsse miteinander aus. Als ich jedoch Schritte hinter mir wahrnahm, löste ich mich von Jungkook und drehte mich um, ohne den Jungen in meinen Armen loszulassen. Dort entdeckte ich Taemin, zwei Pizzakartons in seinen Händen haltend und mit einem breiten Grinsen im Gesicht.

"Hey, ihr beiden", sprach er. "Wie wäre es, wenn wir uns hinsetzen und ein wenig miteinander reden, hm?"

𝐂𝐎𝐋𝐎𝐔𝐑𝐅𝐔𝐋 | TAEKOOKWhere stories live. Discover now