# 29 Annie - Fluchtplanung

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Wie von der Tarantel gestochen renne ich aus der Bibliothek. Meine Gedanken sind hektisch. Schießen unwillkürlich von der einen Idee zur nächsten, aber keine davon ist realistisch. Egal wie ich es drehe und wende, ich komme auf keinen klaren Gedanken. Ein Blick auf die Uhr in meinem Klunker, bringt mich in die Gegenwart zurück. Ganz egal welchen Plan ich mir ausdenken werde. Zuerst muss ich das Abendbrot zu mir nehmen. Auf dem Weg dorthin überlege ich mir meine ersten Schritte.Ich kann dies unmöglich allein schaffen. Geschweige denn will ich die Mädchen ihrem Schicksal überlassen. Ich kann es ihnen nicht verschweigen. Sie würden mich ebenfalls ins Vertrauen ziehen, sollten sie in meiner Lage sein. Rasch schaufele ich die dünne Suppe mit den wenigen Gemüse- und Kartoffelstücken hinunter. Das Brot esse ich im Gehen auf dem Weg zur Tablettrückgabe. Das bringt mir einen ungemütlichen Blick der Aufsichtsperson ein. Entschuldigend stopfe ich mir den Rest in den Mund und scheitere kläglich in dem Versuch zu lächeln. Die Mahlzeiten werden nur in den davor vorgesehenen Speiseräumen und nur an den ihnen zugewiesenen Plätzen eingenommen, erinnere ich mich dunkel an eine weitere Regel, die ich nebenbei von Ava erfahren habe. Zu meinem Glück hat der Wärter keine Lust darauf, mich zu bestrafen. Die Mädchen habe ich bereits auf mich aufmerksam gemacht. Sie haben sich extra Zeit bei der Abgabe des dreckigen Geschirrs gelassen. Aufgeregt nehmen sie mich in Empfang. Sie haben keine Ahnung worum es geht, ich konnte sie nur unauffällig bitten zu warten. Dennoch sehen sie aufgekratzt aus. Ahnen sie bereits etwas? Oder sieht man mir meine Fluchtpläne an?„Hallo, alle zusammen! Es ist schön, euch wieder zu sehen. Wir hatten lange keine Zeit mehr zum Quatschen! Habt ihr zufällig Zeit? Ich muss euch unbedingt etwas über den neuesten Klatsch und Tratsch berichten! Stellt euch vor, Peter hat Annalena mit Danielle betrogen!", schwafele ich gespielt zur Schau vor den Ordnungswächtern, die uns bereits neugierig wegen unserer Gruppenbildung beäugen. Zu meinem Glück springt Nico gleich drauf an. „Das kann nicht dein Ernst sein! Deswegen ist sie heute aufgelöst gewesen! Dieses Dreckschein!", schimpft sie wie ein Rohrspatz und schiebt die Mädchen mit mir zum Ausgang des Speiseraumes. „Moment wer ist Peter?", fragt Jana verwirrt und zunächst denke ich, sie hat den Wink nicht verstanden, doch dann redet sie weiter. „Ist das der mit den braunen Haaren und den grünen Augen oder der mit den blonden Haaren und den blauen Augen? Allerdings mag ich seinen Freund lieber. Die braunen Locken machen mich schwach", schwärmt sie wie ein Schulmädchen. Ich muss mich anstrengen nicht allzu überrascht über die Schauspielkünste der Mädchen zu sein. „Oh ja, mit dem würde ich in einer dunklen Zelle alles machen", schwärmt Nico weiter.„Hey, vergiss es! Er hat mir heute Morgen erst zugezwinkert! Wenn überhaupt, dann macht er nur mit mir diese Dinge von denen du nur träumst!", schaltet sich Tanja ein. Plötzlich streiten die vier über einen Jungen, den ich eben erfunden habe. Die Wärter werfen uns aufgrund der Lautstärke strafende Blicke zu. Das gibt uns einen plausiblen Grund schneller aus dem Saal zu laufen.In einer kleinen ruhigen Sitzecke weitab vom Schuss angekommen, sind sie noch immer dabei wie die Waschweiber über Peter zu fachsimpeln, bis ich sie unterbreche. „Leute! Ich muss euch etwas Wichtiges sagen!" Abrupt unterbrechen sie ihr eifriges Gegacker und hören zu.„Na endlich, was sollte das?", fragt Tanja neugierig wie immer. „Ich habe schlechte Neuigkeiten."Schnell bedeute ich ihnen, zur Sicherheit die Störsender zu aktivieren. Erst als Jana dies erledigt hat, fahre ich fort. „Bald soll ein Programm namens XY anlaufen. Sie wollen uns mit irgendeinem männlichen Gefangenen soulen. Den genauen Grund kenne ich nicht. Aber ich denke sie wollen, dass wir im Falle eines Angriffs bereit wären."„Bereit wofür?", hakt Jana nach.„Wenn die Rebellen angreifen, sollen wir das Strafgefangenenlager verteidigen."„Und wie wollen sie das bewerkstelligen? Nie im Leben würde ich diese Mauern mit meinem Leben beschützen.", schnaubt Tanja verächtlich.„Das kann ich ehrlich gesagt nicht genau sagen. Fakt ist, sie haben nicht genug um uns in Schach zu halten und gleichzeitig die Angreifer abzuwehren", erkläre ich weiter.„Wenigstens sind sie realistisch", wirft Nico ein. „Das sind sie, ja. In drei Tagen soll es beginnen. Deswegen sind die Soulcatcher hier. Sie bereiten es seit ihrer Ankunft vor, unten in den Kellerräumen. Ich habe es gesehen."Geschockt bringt keiner mehr ein Wort raus.„Das würde erklären, wie sie uns dazu bringen könnten das Lager zu verteidigen." Jana ist diejenige, die die Schreckensbotschaft als erste überwunden hat und sachlich weiter denkt.„Und das wäre?", frage ich nach. Auf die Lösung des Rätsels höchst gespannt. „Es gibt eine Kampfstrategie, sie nennt sich „einsamer Adler" Nur einer der Seelenpartner wird in den Kampf geschickt"„Und der andere bleibt im Nest und behütet die Küken", verbindet Elli die Zusammenhänge zum Namen der Kampftechnik.„Genau so ist es gedacht. In vergangenen Zeiten, als das soulen noch ganz neu war, mussten Kriege zum Aufbau des Systems geführt werden. Gefangene wurden ohne Rücksicht auf ihre individuellen Charaktere und Neigungen mit anderen Verhafteten verbunden. Die Soulmates wurden trainiert. Der stärkere Partner wurde aufs Schlachtfeld geschickt. Der Schwächere verblieb in relativer Sicherheit als Druckmittel."„Wären die Partner im Kampf nicht weitaus effektiver?", hinterfrage ich stirnrunzelnd die Strategie.„Doch, natürlich.", bestätigt Jana sofort meine Überlegung. „Aber dann hätten sie keine Kontrolle mehr über die Soulfighter. Sie könnten sich auf dem Schlachtfeld entschließen das Weite zu suchen"„Und sie könnten nichts dagegen tun!", denke ich weiter.„Das heißt, sollte jemand nicht gehorchen, töten sie einfach den Soulfighter in ihrer Reichweite?"Jana nickt düster. „Das oder verletzten ihn, weil es den Partner ebenfalls schwächen würde."„Das ist mir doch egal. Sollen sie den doch abschlachten, sicher mag ich den Typ nicht, den sie mir zujubeln.", gibt sich Nico furchtlos.„Doch, er wird dir wichtig sein! Dafür sorgt die Seelenverbindung! Wenn der Schmerz über den Verlust dich nicht sofort umbringt, tust du es mit hoher Wahrscheinlichkeit die nächsten 24 Stunden danach selbst.", erklärt Jana monoton weiter.„Woher weißt du das alles?", forsche ich verblüfft nach. „Ich habe im Gegensatz zu den meisten hier einen guten Grund eingebuchtet worden zu sein. In meiner Vergangenheit habe ich aktiv in Untergrundaktionen gegen das System gekämpft. Habe Informationen gesammelt über die Anfänge. Schwachstellen gesucht, kleiner Überfälle geleitet. Hätten sie gewusst, bei welchen Aktionen ich beteiligt gewesen war, hätten sie mich nicht nur eingesperrt." Sie lässt mir keine Zeit das erfahrene zu verarbeiten. „Woher weißt du von diesem Programm?"Ich druckse herum in dem Versuch nicht auf Leila zu sprechen zu kommen. Sie scheint nicht den besten Ruf zu haben, was mich nicht wundert. Informationen sind Macht und die ist an einem Ort wie dieser alles. „Zunächst waren es nur Gerüchte. Doch dann bin ich durch Zufall in die Kellerräume gestolpert, wo sich alle angefordeten Soulcatcher aufhielten. Ich habe ein bisschen was aufgeschnappt." Bemüht setze ich mein Pokerface auf und hoffe auf keinerlei Nachfragen. Das ist nicht ganz ehrlich, aber im Großen und Ganzen der Kern der Sache. Sie müssen nicht wissen, dass ich Kontakt zu einem Soulcatcher habe. „Und was tun wir jetzt?", fragt Elli entmutigt. „Wie können wir der Sache entgehen? Ich will kein Soulmate werden!"„Ich habe mir zwei Möglichkeiten überlegt. Aber euch würde weder die eine, noch die andere Variante gefallen.", überlege ich abwägend und schaue sie der Reihe nach an.„Was hast du? Wenn das stimmt was du sagst, dann bin ich dafür bereit fast alles zu tun", knurrt Jana und haut mit der Faust auf ihr Bein. „Ich wollte damals nicht gesoult werden und jetzt will ich es auch nicht!"„Ich stimme dir zu!", nickt Nico. „Ich will ich bleiben.", fügt Tanja hinzu.Tief luftholend erzähle ich ihnen von den Kategorie A Büchern in der Bibliothek. „Es gibt dort über alle wichtigen Vorgänge Abschriften. Doch sie sind decodiert. Wenn wir den Schlüssel hätten, hätten wir vielleicht alle Informationen die wir brauchen, um das Programm irgendwie zu kippen."„Und was wäre Plan B?", erkundigt sich Jana mit dem Oberkörper vorgelehnt.„Wir fliehen."Für einen weiteren Moment herrscht Stille. Alle versuchen zu verdauen, was ich vorgeschlagen habe.„Scheiße, ja. Wir hauen ab.", entscheidet Nico als erste.Tanja nickt eifrig. Ihr Gesicht wird vor Aufregung ganz rot. „Ich bin so was von dabei!"Elli ist wie vermutet still. Natürlich will sie nicht weg von hier. Das würde bedeuten, sie würde ihren Freund nicht mehr sehen können. Ich blicke zu Jana. Mit ihr steht und fällt alles. Sie ist nicht nur die Älteste, sondern hat die größten Erfahrungen auf dem Gebiet der Rebellion.„Du sagtest, es besteht nur die Möglichkeit, dass sich in dem Buch etwas gegen das Programm zur Verschmelzung finden lässt?"Ich zucke mit dem Schultern. „Zumindest weiß ich es im Moment nicht genauer. Ich könnte versuchen mehr herauszufinden. Das sollte für mich kein Problem sein. Immerhin arbeite ich in der Biblio-"„Nein!", würgt mich Jana ab. „Das brauchst du nicht. Tun wir es. Wir hauen ab. Besser als in die Höhle des Löwen zu schleichen und auf einen Weg zu hoffen, den es vielleicht nicht gibt." Erleichtert über die Entscheidung ihrer inoffiziellen Anführerin nicken die beiden anderen Mädchen die sich bereits entschieden haben.Nur Elli zittert wie Espenlaub. „Ich- ich weiß es nicht."„Egal was du tust, Elli. So oder so wirst du bald keine Beziehung mehr haben. Entweder entscheidest du dich selbst zu gehen oder du bleibst hier. In diesem Fall wird dir die Entscheidung abgenommen. Du würdest bald jemand ganz anderen lieben. Deinen Freund würdest du nicht mehr mit der Kneifzange anfassen. Was denkst du, wäre besser für ihn?", hält Jana ihr hart die wahren Fakten vor.Die angesprochene schluchzt laut auf. Tränen laufen ihr übers Gesicht. Man kann sehen, wie ihr Herz zerbricht.„Al- also gut" Durch das Weinen hat Elli einen Schluckauf bekommen. „Wir ziehen es durch" Dann schluchzt sie noch lauter und verbirgt ihr Gesicht in den Händen. Beruhigend tätschelt Nico ihr den Rücken. „Ist schon gut, Elli. Das heißt nicht, dass du ihn nie wieder siehst! Vielleicht, wenn alles vorbei ist!"„Hast du einen Plan? Wie entkommen wir?", steht Jana auf und geht auf mich zu. Nico tröstet derweilen immer noch die aufgelöste Elli.„Ich weiß es noch nicht. Aber ich kenne jemanden, der es geschafft hat. Er hat mir versprochen zu helfen."„Wird er auch uns hier raus holen?", versichert sie sich.„Das wird er!" Entschlossen balle ich die Fäuste. „Er muss. Ich werde euch hier nicht allein lassen."Extraschulden: -79Geldeinheiten zurückzuzahlen gegenüber dem System: -1.000.000Der nächste Tag beginnt wie der Morgen zuvor. Ich wache erst von dem Krachen der Tür auf, nicht gut auf mich zu sprechen. Seufzend packe ich meine Sachen zusammen, um den Tag beginnen zu können.Das einzige was mich vorwärts treibt, ist der Gedanke an Danni. Ich hoffe, er kann mir heute mehr zur Flucht sagen. Der Countdown läuft, in zwei Tagen beginnt Programm XY. Spätestens dann will ich mehrere Kilometer zwischen mich und der Strafgefangenanstalt gebracht haben. Zu meinem Unglück werden wir heute bereits nach der Ankunft in den Bauernhof gescheucht. Krachend schließen sich die Tore hinter uns. Kaum ist der Spalt zur Außenwelt verschlossen, ertönen krachend die ersten Schüsse. Erschreckend nah. Als wäre mein Adrenalinspiegel nicht schon hoch genug, wird er weiter in ungeahnte Höhen getrieben. Die Zeit bis zum Mittag vergeht nur langsam. Die Kämpfe verlagern sich vom Bauernhof weg, aber meine Nervosität steigt. Alle paar Stunden schleiche ich auf die Toilette, in der Hoffnung Danni zu erwischen. Die Gefahr erwischt zu werden, ist durch die erhöhte Anzahl der Häftlinge deutlich gestiegen. Kurz vor halb zwölf begebe ich mich unter dem misstrauischen Blick des blonden Wärters erneut in Richtung Toilette. Zu meiner großen Erleichterung entdecke ich ihn endlich. „Danni", seufze ich glücklich und stürme auf ihn zu. Von einem Ohr zum anderen grinsend empfängt er mich.„Hallo, Annie. Ich freue mich auch, dich zu sehen!"„Hast du Neuigkeiten für mich? In zwei Tagen startet das Programm. Ich kann einfach nicht dort sein, wenn es passiert." Danni nimmt meine zitternde Hand in seine. Bis zu dem Zeitpunkt in der er den Körperkontakt hergestellt hat, ist mir nicht aufgefallen wie kalt mir ist. Wie sehr mir der Gedanke der nahenden Verbindung zusetzt.„Bitte, hilf mir da raus!", hauche ich ihm zu. Meine Stimme bricht. „Lass nicht zu, dass sie mich töten!"Danni hebt meine Hände an seine Lippen und haucht einen Kuss darauf. „Das kann ich nicht zulassen, Annie. Werde ich niemals zulassen. Wir fliehen heute Nacht. Ich habe einen Plan"Erleichtert falle ich ihm um den Hals. Aufgeregt löse ich mich schnell wieder aus der Umarmung. „Wann geht es los? Was hast du geplant? Kann ich noch etwas tun?"Seine Hände nun beruhigend auf meine Schultern legend, erdet er mich. Ich kann regelrecht spüren, wie die Nervosität aus meinem Körper weicht.„Es ist alles vorbereitet. Ich habe jemanden bestochen, um dich heraus zu schmuggeln."„Wann geht es los?" Atemlos hänge ich an seinen Lippen.„Sei halb zehn am Eingang."„Das werde ich!"Vollkommen aufgedreht küsse ich ihn. Danni erwidert die Berührung meiner Lippen inniger, als ich es vorgehabt habe. Erschrocken über seine heftige Reaktion löse ich mich schnell von ihm.„Es tut mir leid, Danni. Die Aufregung, das Adrenalin. Ich habe überreagiert."Ein wenig geknickt lächelt er tapfer zurück. „Wenn es wieder mal so weit ist, lass es mich wissen!"Verlegen verabschiede ich mich von ihm und gehe zu den anderen zurück. Ich kann spüren, wie Dannis Blick mich verfolgt, bis ich um die Ecke biege.Kaum habe ich mein Abendbrot in mich hinein geschlungen, mache ich mich auf den Weg zu den Mädchen. Ich muss sie nicht lang suchen. Sie warten am Fuße der großen Treppe auf mich.„Es steigt heute Nacht! Seid kurz vor halb zehn bereit. Wir treffen uns genau hier!"Ich will mich bereits abwenden, da zieht Jana mich wieder zurück. „Bist du dir ganz sicher, Annie? Wenn das nicht klappt, landen wir alle auf dem Scheiterhaufen"„Ich kann nichts garantieren. Aber es ist alles vorbereitet. Es gibt nur drei Möglichkeiten. Entweder kommen wir hier raus, oder sterben bei dem Versuch. Oder wir lassen die Gelegenheit verstreichen und segnen das Zeitliche in zwei Tagen. Für mich ist klar, was ich tue. Wie steht es mit euch?" Gestärkt in meinem Vorhaben halte ich die geöffnete Hand in die Mitte. Es dauert nicht lang, bis die Mädchen es mir gleich tun.„Lieber heute als in zwei Tagen", stimmt mir Nico rau zu.„Wir schaffen das!", packt Tanja unsere Hände und schüttelt sie leicht.„Du hast Recht, Annie. Lieber hauche ich heute Abend meinen letzten Atem aus. Ich vertraue dir."Mit feuchten Augen nickt Elli zittrig. Nicht fähig etwas zu sagen. Mit einem Kloß im Hals drücke ich ihre Hand. Wir alle können nicht ahnen, was es sie kostet dies zu entscheiden.„Du hast noch ein paar Stunden Zeit, dich von ihm zu verabschieden", versuche ich kläglich ihr Leid zu lindern.„Nein, das kann ich nicht. Wenn ich ihn sehe, entscheide ich mich vielleicht doch noch um. Ich darf ihn nicht wieder sehen" Um nicht laut ihre Verzweiflung kund zu tun, beißt sie sich heftig auf die Lippe. Nico zieht sie sanft in die Arme. „Ist schon gut, Elli. Wir werden es schaffen. Komm, wir gehen noch einmal zurück in die Zelle." „Das sollten wir alle tun. Ruht euch noch etwas aus, bevor es los geht", empfiehlt uns Jana eindringlich. „Wir werden heute Abend alle Kräfte brauchen"Ich tue es ihnen nach und laufe das letzte Mal in den Raum zurück, der mir die letzten Tage die meiste Sicherheit versprochen hat. Bevor ich jedoch dort ankommen kann, werde ich plötzlich am Arm gepackt. Mit einem kräftigen Ruck stolpere ich in einen der ruhigeren Nebenflure. „Hey, was soll das!", beschwere ich mich über die rüde Behandlung.„Pst, sei leise. Ich bin es, Luca!", wispert er leise in mein Ohr.„Was, wieso? Lass mich gefälligst los!", wehre ich mich gegen seinen Griff. „Okay, okay! Aber sei leise!" Widerstrebend entlässt er meine Arme aus seinem Schraubstockgriff.„Was ist denn los?" Verwirrt über seine Heimlichtuerei richte ich mich auf und ziehe meine Kleidung wieder an Ort und Stelle.„Du hast mir vorgeworfen, ich würde dir mehr Schaden als gut tun."„Ja, das war mein voller Ernst!", gifte ich ihn an.Verletzt verzieht Luca den Mund. „Ich will es wieder gut machen!"Ungläubig schüttele ich den Kopf. „Wie willst du das anstellen?"„Ich werde dich hier raus holen. Heute Abend. Wenn alle bereits in ihren Zellen sind. Ich werde meinen Catcher mit deinem Klunker verbinden und dann hole ich dich hier raus."„Ist das dein Ernst?", frage ich skeptisch.„Ja, wirklich, Annie. Ich schaffe dich hier weg, bevor..." Luca bricht ab und kneift die Lippen zusammen. Ich weiß, was er sagen will. Bevor ich gesoult werde. „Bevor was?", dränge ich ihn weiter zu sprechen. Ich will es aus seinem Mund hören. Mit Worten, die direkt an mich gerichtet sind.„Das ist nicht wichtig. Du bist dann hier raus und brauchst dir keine Gedanken darum zu machen."Enttäuscht senke ich den Kopf. Nicht einmal jetzt will er es mir verraten. „Nein, Luca. Es ist zu spät. Ich vertraue dir nicht mehr."„Bitte, Annie ich will alles wieder gut machen! Ich schleuse dich raus und dann bist du in Sicherheit" „Vor was?", dränge ich ihn weiter.„Das willst du nicht wissen." Verlegen sieht Luca in Richtung des Ganges. „Erst einmal ist nur wichtig, dass du nicht mehr hier bist." Er atmet tief durch und sieht mich eindringlich an. Seine Augen verankern sich fest in meine. Mein kaputtes Herz fängt holpernd wieder an zu hüpfen. „Heute Abend. Nachdem die Nachtruhe begonnen hat. Sei bereit! Ich werde alles wieder gut machen, Annie! Ich verspreche es dir!" Flehentlich bittet er mich um die Zustimmung, die ich ihm nicht gebe. Dann verschwindet er mit großen Schritten und lässt mich ratlos zurück.Statt wie ich es vorgehabt habe, in die Zelle zurück zu gehen, bleibe ich stocksteif stehen. Der Geruch von Luca wabert noch immer betörend vor meiner Nase herum. Was soll ich tun? Kann ich ihm dieses Mal vertrauen? Als ich eintrete, steht Ava abrupt von ihrem Sitzplatz auf. Mit einem wütenden Blick auf mich, schlägt sie lautstark das Buch zu in dem sie bis eben gelesen hat. „Ich muss ins Bad", brummt sie und greift sich ihre Waschtasche samt Schlafsachen.„Du kannst gehen und dich waschen aber deine Sachen behältst du besser an." Mich breitbeinig vor die Tür stellend, verwehre ich Ava den Ausgang und stelle damit sicher, dass sie mir zuhört.„Wieso sollte ich gegen die Regeln verstoßen?", zischt sie mich feindselig an.„Weil wir heute Abend hier raus geholt werden" Das ich im Moment nicht einmal weiß von wem, ist vollkommen egal. Diese Entscheidung liegt noch vor mir.„Du willst fliehen? Und ziehst mich mit in die Sache hinein?", haucht sie vollkommen fassungslos.„Ganz genau. Wir verlassen diesen Ort heute gemeinsam, ob du willst oder nicht. Und wenn ich dich heraus schleifen muss, ich werde dich hier nicht zurück lassen!", schwöre ich ihr feierlich und greife nach ihren Armen.Zischend wie eine Schlange weicht Ava zurück. „Du hast keine Ahnung was du da tust! Keine! Wir kommen hier nicht raus!"„Doch das werden wir!", widerspreche ich vehement.„Annie, ich werde nicht mit gehen. Egal was Leila sagt, was bald auf uns zu kommt, ich werde nicht wieder versuchen zu fliehen. Ich werde nicht noch einmal kurz davor sein und meine Freundin in dem Versuch sterben sehen. Und wenn ich den Rest meines Lebens hier verbringe. Das klappt niemals!"„Auch dann nicht, wenn sie vor haben dich zu soulen? Wenn sie vor haben, dich mit einem x-beliebigen Gefangenen zu verbinden, damit sie euch ausbilden und dann zwingen können alles zu tun, was sie wollen? Willst du das? Möchtest du angefangen in zwei Tagen den Rest deines Lebens an einen Menschen gekettet sein, zu dem du nicht einmal passt? Um dich für den Rest deines Lebens mit der erzwungenen Verbindung erpressen zu lassen?", piekse ich meinen Finger bei der Wiederholung ihrer eigenen Worte in ihren Brustkorb. Erleichtert sehe ich die Abwehr gegen diese mögliche Zukunft in ihrer Mimik. „Das möchte ich nicht.", wispert sie. „Aber ich kann- ich kann nicht Annie. Genau so hat es schon einmal begonnen. Wir wurden erwischt und meine Freundin wurde zu Tode geprügelt. Ich konnte mich noch verstecken. Stocksteif und unfähig mich zu bewegen habe ich zugesehen, wie sie das Leben aus ihr heraus geschlagen haben. Heimlich schlich ich mich zurück in meine Zelle und legte mich in mein Bett. Gerade als ich mich zugedeckt hatte, schleppten sie Sarah wieder rein. Blutüberströmt. Ihr Gesicht nur noch eine fleischige Masse. Sie starb kaum eine halbe Stunde später. Die ganze Nacht lag ich mit ihr hier drin. Zwei Körper, aber nur einer der atmet! Das kann ich nicht noch einmal!"„Du wurdest nicht erwischt?", frage ich ungläubig nach.„Nein, ich hatte riesen Glück. Natürlich vermuteten sie etwas, aber sie konnten es mir nicht nachweisen. Sie beschuldigten mich offiziell dafür, dass ich von dem Fluchtversuch etwas mitbekommen haben muss, es aber nicht gemeldet habe." „Wie wurdest du bestraft?"Ava winkt ab. „Ich habe 1000 Minuspunkte erhalten und muss für den Rest meines Lebens jeden Sonntag mit der Person arbeiten, die mir versichert hat, dass die Flucht gelingen wird."„Leila?"„Ja, sie hat die Wärter bestochen und uns einen geheimen Weg raus gezeigt."„Das hat sie getan? Welche Informationen hast du ihr dafür geliefert?", stochere ich weiter nach, froh endlich von ihr zu erfahren, was passiert ist.„Ich hätte mich im Umland aufhalten müssen. Wäre ihr Kontaktmann geworden. Sollte ihr Informationen über Dinge und Leute beschaffen, die außerhalb der Siedlung leben." Ich sehe die Gänsehaut auf Avas Arm und fühle mit ihr. Ich kann ihre Angst vor einer weiteren Flucht verstehen.„Hat sie dich verraten?"„Ich weiß es nicht. Aber es ging alles schief. Am Ende war Sarah tot und ich war zu feige gewesen, ihr zu helfen."„Nein, Ava. Du konntest nichts mehr tun. Dein Körper hat auf Überleben umgeschaltet, das ist vollkommen normal. Dich in die Schlägerei werfen, hätte nur ebenfalls dein Ende bedeutet."„Aber tut man das nicht für seine Freunde?", schnieft Ava leise. Mit ihrem Arm wischt sie sich die Feuchtigkeit von ihren Wangen.„Doch, tut man. Aber nicht unter diesen Umständen."Geräuschvoll zieht Ava die Nase hoch.Tröstend streiche ich ihr über die Arme. „Ich kann dich nicht zwingen, Ava. Es war blöd von mir es zu verlangen. Ich kann nur einfach den Gedanken nicht ertragen, vielleicht hier raus zu kommen und du wärst noch eingesperrt. Bald mit einer anderen Nervensäge im Zimmer."Ava lacht leise auf, was mich ermuntert weiter zu sprechen.„Ich für meinen Teil sterbe lieber heute Abend als in 48 Stunden auf eine Art und Weise, gegen die ich mich noch als Genträger gewehrt habe. Sie können mein Leben haben, wenn sie mich heute erwischen. Aber nicht so, wie sie es sich wünschen. Sie haben schon zu viel über mein Leben bestimmt. Mein weiteres Leben oder mein baldiger Tod sind meine Entscheidung. Nicht die des Systems!"Ava gibt zunächst keine Antwort. Dann, ganz langsam hebt sie den Kopf, sodass ihre langen schwarzen Haare sich wie ein Vorhang teilen. „Ich werde es mir überlegen"Traurig nickend lasse ich sie an mir vorbei in den Gang laufen.Als sich die Tür hinter mir schließt, lasse ich mich kraftlos auf das Bett fallen. Zu meinem Verblüffen höre ich nicht das altbekannte Quietschen der alten Federn. Testweise hüpfe ich sitzend auf und ab. Nichts. Verwirrt hebe ich die dünne Matratze hoch, um einen Blick auf die vorher laut quietschenden Schlafräuber zu erhaschen. Darunter finde ich einen kleinen Zettel.

Damit du dich vor der Flucht noch einmal ausruhen kannst. Ich komme dich holen, kurz nach dem Beginn der Nachtruhe! Luca

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