# 32 Annie - Die Höhle des Löwen

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Die Stille in den Gängen ist mehr als Angsteinflößend. Leise bewegen wir uns auf Ebene null. Zwei mal müssen wir uns schnell verstecken, um nicht von einem Soulcatcher erwischt zu werden. Auf dem Weg in den Männertrakt, müssen wir direkt an dem Eingang zu den Kellergewölben vorbei. Die leisen Geräusche des Schlüssels die den Frauen- vom Männerbereich trennt, klingen geradezu ohrenbetäubend. Besorgt sehen wir uns nach Catchern und Wärtern um, die auf uns aufmerksam geworden sein könnten. Aber niemand rührt sich.Leise schieben wir uns durch einen kleinen Spalt und schließen das eiserne Tor hinter uns, ohne es zu verschließen. Wir lassen Ava vorgehen, die ihren Weg zielsicher einschlägt. Vor einer der vielen Türen bleibt sie stehen. „Das ist sie. Du solltest ihn vielleicht vorwarnen. Nicht dass er uns angreift, bevor wir erklären können was los ist.", bedeutet sie mit einem Blick auf Lucas schwarze Uniform.Ich schiebe mich an Ava vorbei und versuche Lucas besorgten Blick zu mildern, indem ich ihn beruhigt zublinzle.Leise klopfe ich an die Tür. Es hallt weit durch die leeren Flure. Ich stelle mich auf die Zehenspitzen und öffne die kleine Klappe, durch die ich fast nicht hindurchschauen kann.„Jarno, bist du da drin? Hier ist Annie."„Ah, die kleine Blonde! Was machst du denn hier? Wie bist du aus deiner Zelle gekommen?", sehe ich einen großen Schatten in der Zelle näher heran treten.„Ich hatte ein wenig Hilfe, aber darum geht es mir nicht. Ich brauche deine Unterstützung, um den Ordnungshütern ein wenig Feuer hinter dem Rücken zu machen!"Jarno lacht leise. „Genau auf so eine Art Einlösung des Gefallens habe ich gehofft. Was soll ich tun?"Ich winke Luca mit dem Schlüssel heran.„Wir schließen jetzt auf, bitte vertrau mir. Ich werde dir gleich alles erklären", bitte ich den bulligen Anführer der Phoenixtruppe.Ich versuche Luca ein wenig hinter mich zu schieben, um ihn erst einmal aus Jarnos Schusslinie zu ziehen. Aber Luca verschränkt nur die Arme und bleibt an Ort und Stelle stehen. Die Augen verdrehend über seine Starrköpfigkeit, nehme ich ihn zumindest den Schlüssel ab und führe ihn ins Schloss. Kaum ist der Riegel zurückgeglitten, öffnet Jarno die Tür von innen, sodass wir rasch zur Seite treten müssen.Sein erster Blick geht auf Luca, der wie ein Fels noch immer Mitten im Gang steht. Mit seiner Soulcatcheruniform ist er hier so fehl am Platz wie ein Elefant im Porzellanladen. Ich rechne es Jarno hoch an, sich nicht sofort auf Luca zu stürzen.„Was hat das zu bedeuten, Annie?", knurrt er und lässt deutlich sichtbar seine Muskeln spielen.„Er ist ein Freund, er hilft uns!", erkläre ich rasch. Ich flechte meine Finger in Lucas und blinzele zu ihm auf. „Genauer gesagt, ist er mein Freund. Ich wäre dir also sehr böse, wenn du ihm etwas tun würdest!"Liebevoll drückt Luca meine Hand, dann schaut er wieder auf den riesigen Kerl vor uns, der den Türrahmen beinahe komplett ausfüllt.„Du solltest ihm erklären was los ist, wir müssen uns beeilen. Wer weiß wie lang Kram noch unten in den Kellergewölben ist!"„Pass auf, es wird nicht mehr lang dauern, und dann gehen die Gefängnistüren alle auf. Das heißt, wenn nichts schief geht. Aber zu diesem Zeitpunkt solltest du und deine Männer bereits in der großen Halle sein. Wir müssen uns Zutritt zu den Räumen unterhalb der Ebene null verschaffen!" Schnell gebe ich Jarno die wichtigsten Fakten die er wissen muss. Mit jedem Satz, den ich ihm die derzeitige Situation schildere, desto mehr wächst der Muskelberg in die Höhe. „Es wird mir ein Vergnügen sein, Annie. Ich bin beinahe froh, dass meine Mutter das alles nicht miterleben muss."Ich schlucke hart die Trauer hinunter. „Es hätte dennoch ein anderes Ende nehmen können."Weitere Worte sparend, zeigt er uns die Zellen, die wir aufsperren sollen. Mit jeder Tür die wir öffnen, wird die Menge in unserem Rücken größer. Alle wollen wissen, was los ist, aber Jarno vertröstet sie auf später, um nicht zu viel Zeit zu verlieren. Ich hoffe jeden Moment das mechanische Klacken zu vernehmen, das uns zeigen würde, dass bei Robert, Elli, Tanja und Nico alles in Ordnung ist. Aber die Minuten vergehen und es tut sich nichts. Noch immer müssen wir jede Zelle per Hand aufsperren.Verblüfft starre ich auf die Menge der jungen und alten Männer, die sich hinter uns scharen und sich dennoch leise wie die Mäuse verhalten, um die Aktion nicht schon in ihren ersten Zügen im Keim zu ersticken. Es sind mehr Männer im Untergrund gegen die Wärter tätig, als ich zu hoffen gewagt habe.Kaum haben wir den letzten befreit, wiederholt Jarno leise mit meiner Hilfe das Ziel unserer Operation: Ablenkung. Luca murrt leise. „Ich kann euch nicht einmal Waffen gegen die Catcher geben. Es wird ein unfairer Kampf werden. Durch die Verbindung sind sie stärker als normale Menschen. Versucht was ihr könnt, aber sollten die Verluste zu groß werden, zieht ihr euch zurück und versucht sie anderweitig zu beschäftigen!"Jarno klopft mir gratulierend auf die Schulter. „Ich würde gern wissen wie du es geschafft hast, einen Hüter der Ordnung umzupolen." Dann erhebt er seine Stimme, sodass alle ihn hören können. „Jungs, der Soulcatcher hier macht sich Sorgen um unsere hübsche Haut. Lasst ihn mal sehen, dass wir nicht schutzlos sind!"Auf seinen Befehl hin, hebt jeder Phoenix eine selbst gebastelte Waffe hoch. Trotz der Tatsache, dass diese nur aus abgebrochenen Zahnbürsten, Glasscherben und sogar einem Tischbein bestehen, sehen diese nicht minder gefährlich aus. Luca nickt befriedigt. „Besser als ich gedacht habe!"Jarno brummt sichtlich stolz. „Mehr als er uns zugetraut hat Jungs! Jetzt folgt der kleinen Blonden. Sie zeigt euch das Angriffsziel!"Plötzlich die Augen sämtlicher Männer auf mich gerichtet, mache ich mich errötend schnell auf dem Weg zurück in die Haupthalle. --- Schwer atmend rennen wir die Stufen bis ganz nach oben. Zumindest Ava und ich stoßen laut hörbar den verbrauchten Sauerstoff aus, um neuen in unsere Lungenflügel einsaugen zu können. Luca zeigt keinerlei Anstrengungszeichen beim Erklimmen der großen Treppe. Die Zellentüren sind verschlossen, wie ich nach einigen Versuchen enttäuscht feststelle. Ich fluche erneut. Dieses Mal etwas lauter. Etwas muss schiefgegangen sein. Besorgt reibe ich mir die Stirn.Die Phoenixe haben sich bereits vor der Eingangstür versammelt und halten eine grobe Planung ab, wie sie die Catcher ablenken können.Auf den beiden parallel verlaufenden Gängen im obersten Stockwerk bin ich seit dem Unfall mit Elise nicht mehr gewesen. Schwer schluckend verdränge ich die Erinnerungen die auf mich einstürmen. Mit einem Blick nach unten in die Tiefe, kann ich bis zur Eingangshalle schauen. Noch immer rührt sich nichts. Dann höre ich Jarnos Stimme hinauf hallen. „Hey, ihr Pussis! Wir haben ein Hühnchen mit euch zu rupfen!" Die Männer in seinem Rücken brüllen laut ihre Zustimmung heraus. Erleichtert, wenigstens eine Sache in Gang gebracht zu haben, straffe ich meine Schultern und richte meinen Blick auf das Ziel direkt vor mir. Entlang des Ganges, ganz oben in der Mitte der beiden riesigen Gefängnisflügel thront Krams Büro. Etwas stimmt nicht. Die Tür ist sperrangel weit offen und flackerndes, grelles Licht erhellt wie Blitze immer wieder die Umgebung. Ohne mein Ziel aus den Augen zu lassen, laufe ich geduckt den Gang entlang nach vorn. Auch hier teste ich einige der Zellentüren. Ava und Luca tun es mir nach. Sie sind verschlossen. Gerade als ich weiterlaufen will, höre ich eine Stimme flüstern. „Hey, was ist da draußen los?" Sie gehört zu einer weiblichen und eindeutig älteren Frau.Ich laufe zurück in die Richtung, aus der das Flüstern kam und öffne die kleine Luke am oberen Teil der Tür. Weiße, wild verwuschelte Haare sind das einzige was ich erkenne. Die Gefangene hinter der Tür ist zu klein, um durch den Spalt schauen zu können. „Was haben sie gehört?", flüstere ich zurück.„Einen Kampf. Ein junges Mädchen schrie. Auf wessen Seite bist du?"„Auf der des schreienden Mädchens.", wispere ich mit vor Sorge brechender Stimme.„Plant ihr einen Aufstand?"„Ja."„Gut", antwortet die Frau kurz und bündig. Sie klingt zufrieden. „Dann reißt den Bastarden ordentlich den Hintern auf!" Ihre zur Faust geballten Finger drohen in Richtung Krams Büro. Ein grimmiges Lächeln überzieht mein Gesicht. Könnte ich mich jetzt selbst im Spiegel sehen können, würde ich sicher vor mir selbst zurückschrecken. Aber schlimme Zeiten benötigen schlimme Maßnahmen. „Das hab ich vor."Einen der Schlagstöcke in der Hand haltend, überwinde ich die letzten Meter zu Krams Büro lautlos wie ein Schatten. Luca und Ava direkt hinter mir.Je näher ich komme, desto lauter pocht mein Herz. Kurz vor der Tür die die Aufschrift „Kram, Leiter der Strafgefangenenanstalt" trägt, halte ich inne und hole noch einmal tief Luft. Dann stürme ich mit vorgehaltenem Schlagstock in den Raum. Hier hat eindeutig ein Kampf stattgefunden. Im Raum liegen neben einigen Büroartikeln Papierfetzen auf dem ganzen Boden verteilt. Einige davon sind mit roten Flecken besprenkelt. Besorgt suche ich in dem Chaos aus umgestürzten Sesseln und einigen Porzellanscherben nach der Quelle des Blutes. Es dauert nicht lang, bis ich sie finde. Es ist ein Wärter.Ich will bereits erleichtert aufatmen, aber ein mulmiges Gefühl hält mich zurück. Irgendetwas ist hier faul. Als ich näher trete, erkenne ich auch wieso. Es ist nicht irgendein Wärter. Es ist Robert, Ellis Freund. Alle Vorsicht vergessend renne ich zu ihm. Luca dreht Robert vorsichtig um und untersucht ihn auf Wunden. Er hat eine Platzwunde am Kopf, die wahnsinnig blutet aber ansonsten kann ich keine Verletzungen erkennen. „Kannst du mich hören? Wo sind die anderen?"„Bibliothek.", ist das einzige Wort, das ich aus seinem unverständlichen schwachen Gemurmel herausfiltern kann.Seine Lider flackern, als er langsam zu Bewusstsein kommt. „Vorsicht", wispert er beinahe unverständlich.„Vorsicht, vor wem? Ist Kram in der Nähe?", frage ich mit einem kalten Schauer über meinen Rücken nach und sehe mich noch einmal im Büro um.In diesem Moment tritt aus dem Schatten eines Bücherregals eine Gestalt hervor. Besser gesagt zwei.„Brenner!", fauche ich wie eine Katze.„Vater, lass sie sofort los!", befiehlt Luca aber der ignoriert seinen Sohn vollständig. Als würde er sich nicht einmal im Raum befinden.„Frau Ahler, ich würde ja sagen ich würde mich freuen Sie wieder zu sehen aber das stimmt nicht. Obwohl ich zugeben muss, die Gefängniskluft steht Ihnen. Zumindest besser als ihr!" Mit seinem Kopf nickt er zu Nico, die er vor sich hält. Seine Hand drückt ein scharfes Messer an ihren Hals. Sie kann sich kaum bewegen, wenn sie sich durch die Klinge nicht selbst verletzen will. Ihr Brustkorb hebt und senkt sich schwer. Das Grau des Jumpsuits sieht an einigen Stellen dunkler aus. Verzweifelt erkenne ich, dass es Blut sein muss. Aber ob ihr eigenes oder das von Robert, kann ich nicht sagen.„Was machen Sie hier?" Vorsichtig erhebe ich mich vom Boden, um mich besser gegen Lucas Vater wehren zu können, sollte er sich dazu entscheiden anzugreifen.„Ich habe eine anonyme Nachricht erhalten, mich in die Strafgefangenenanstalt zu begeben. Ich solle mich auf eine Überraschung und eine bessere Zukunft freuen. Stattdessen treffe ich auf meinen verlorenen Sohn, der mir viel zu berichten hat. Vor allem von dir, Luca. Ich wusste, ja das du zu nichts nütze bist. Aber wie sehr, das habe ich erst gestern Abend erfahren. Du wolltest deinen Stand, alles was wir uns mühselig seit dem Exil aufgebaut haben wieder zunichte machen. Also musste ich wie immer retten, was noch zu retten ist. Habe die Nacht hier verbracht und um eine Audienz bei Kram gebeten. Er ist bisher nicht aufgetaucht. Stattdessen finde ich die beiden hier, wie sie sich Zutritt zu seinem Büro verschafft haben. Ich dachte das kann nicht richtig sein und habe mich der Sache angenommen. Sollte mein Sohn wieder den barmherzigen Ritter spielen und seine Pflichten vernachlässigen, kann ich wenigstens etwas tun um die Familienehre zu retten."„Du hast nichts gerettet! Nur zerstört, so wie du es immer schon tust! Hast mit deinen Werten und Pflichten über das System deine Söhne vergessen. Hast das Leben von Annie und ihrer Familie zerstört, nur zu deinem eigenen Vorteil!", schreit Luca seinen Vater an. „Du hast mich eingesperrt um nicht beim Prozess dabei sein zu können! Damit ich nichts tun kann, um deinen Aufstieg zu gefährden!"„Einer muss es ja tun! Du hättest dieses Mädchen irgendwie da wieder heraus gebracht. Wäre deine Soulmate nicht um einiges schlauer als du, hättest du vielleicht einen noch viel schlimmeren Fehler gemacht. Sie ist eine Strafgefangene! Schlag sie dir endlich aus dem Kopf! Aber nein, alles muss man selber machen!" Wütend fuchtelt Brenner mit dem Messer herum, nur um es wieder schnell an Nicos Hals zu pressen.„Sie waren das alles?" Mein Mund wird auf einen Schlag staubtrocken. Das Thema Verhaftung ist seitdem Luca und ich uns wieder vertragen haben, noch nicht aufgekommen. Besser gesagt, haben wir es beide bewusst ignoriert, um unsere neu gefundenen Gefühle nicht wieder zu verlieren. „Irgendjemand straft mich nicht nur mit einem, sondern gleich mit zwei vermaledeiten Söhnen! Luca wollte niemandem Schaden, um dadurch Vorteile zu gewinnen.", seinen Sohn nachäffend, wird er immer zorniger. „Aber wenigstens ist einer meiner beiden Kinder wieder zur Vernunft gekommen."„Danni?", fragt Luca verstört. „Was haben Sie ihm angedroht? Nie würde er bei ihren kranken Spielchen mitmachen, Brenner! Er ist nicht ein solches selbstverliebtes Arschloch!", schimpfe ich wütend. Die Verzweiflung darüber, was er Danni angetan haben könnte, frisst mich beinahe auf.Brenner lacht laut auf. „Wenn du wüsstest, dummes Gör! Er war derjenige, der uns den Hinweis gegeben hat, das ein Mädchen im Zeremonienkleid herum läuft und gegen die Nachtruhe verstößt. Er war im Maisfeld und versuchte, dich wieder zurückzutreiben, damit wir dich auflesen konnten. Als dies alles Fehlschlug, brachte er dir sogar das Kleid zurück, das bei der Verurteilung ein wichtiges Indiz gegen dich darstellte. Aber du warst klug genug dein Verschulden einzusehen. Das alles wusste ich nicht. Bis gestern Abend, als er mir in die Arme lief."„Nein, das glaube ich nicht!" Mein Magen fühlt sich an, als wäre eine Packung voll mit Eiswürfeln hinein gerutscht.„Ich habe es zunächst auch nicht geglaubt.", triumphiert Brenner weiter. „Dass einer meiner Söhne sich doch noch zum Positiven entwickelt, hätte ich nicht gedacht!"„Was ist nur aus dir geworden, Vater? Sieh dich nur an! Wenn Mutter das wüsste!", unterbricht ihn Luca. „Ich tue das Richtige!", giftet dieser in Abwehrhaltung zurück.Luca zieht verächtlich die Augenbrauen nach oben. „Bedeutet das Richtige Unschuldige verhaften zu lassen? Bedeutet es, anderen zu Schaden, um selbst besser dazustehen? Sie sind unschuldig, Vater! Lass sie gehen!"„Deine Mutter war genauso unschuldig und dennoch musste sie sterben! Ich will nur alles wieder gerade rücken, was ihr verdorben habt! Deswegen bin ich kein schlechter Mensch!" Speichel spritzt bei seiner heftigen Gegenwehr heraus.Nico zischt. Brenners Erzählungen haben ihre Lebensgeister geweckt. Den Nacken weit nach hinten gebeugt, um der scharfen Klinge zu entkommen, die auf ihre Kehle zeigt. „Sie werden niemals ein guter Mensch sein. Sie sind Abschaum."„Halt die Klappe, dich hat keiner gefragt." Drohend drückt er ihr die Klinge an ihren Kehlkopf. Doch Nico lässt sich davon nicht beirren.„Annie, ich habe bereits alles nötige programmiert. Du musst nur noch bestätigen, dann sind wir unserer Befreiung einen Schritt näher!"Ruckartig schnellt mein Kopf in Richtung des Schreibtisches. Auf dem der Computerbildschirm zwar schief, aber dennoch intakt steht. „Tu es nicht! Ansonsten töte ich deine Freundin!", warnt mich Brenner schnell, bevor ich losstürzen kann. „Doch tu es!", erwidert Nico kurzatmig hinter dem Messer und erntet dafür einen Schnitt in die Haut. Mehrere Blutstropfen rollen über das scharfe Metall und landen auf der dunkelgrauen Strafgefangenenkleidung. Aus den Augenwinkeln schätze ich die Entfernung zur Tastatur ein. Ich könnte es schaffen, da ich mich näher am Computer befinde als Brenner. Jedoch würde ich mich mit dem Sprung zur Seite gleichzeitig von Nico entfernen und ich könnte ihr nicht mehr helfen. Als hätten seine Worte jemanden hervorgerufen, tritt eine weitere Person in Hüteruniform ins Zimmer. Er trägt die Mütze tief ins Gesicht gezogen, sodass man ihn nicht erkennen kann. Das erste was ich sehen kann, ist ein verschmitztes Lächeln.„Danni?", hauche ich ungläubig. Ich dachte er ist eingesperrt!Luca verändert seine Position und richtet seinen elektrischen Schlagstock nun auf seinen Bruder. „Stimmt das, was Vater gesagt hat?"„Du meinst, die anonymen Hinweise an unseren Vater, damit ihr wieder besser leben könnt als Tiere? Ja das war ich. Aber von meinem zweiten Plan weiß bisher nur Vater. Er wäre sogar perfekt gelungen, wenn deine Soulmate sich nicht eingemischt hätte!", zischt Danni wütend. „Was meinst du damit?", verlangt er von seinem älteren Bruder zu wissen.„Mein erster Plan, dieses Mädchen euch in die Hände zu spielen, ging zwar gut aber hat mir nicht in meiner Situation geholfen. Die Fakten sind zu schleierhaft, um mir glauben zu können. Deswegen musste ich mir einen zweiten Plan überlegen, wie ich meinen Stand endlich wieder herstellen konnte. Und ich wusste: dieses Mädchen ist der Schlüssel dafür! Nach endlosen, ermüdenden Flirtereien spielte sie mir tatsächlich die Lösung meines Problems selbst in die Hand. Sie wollte fliehen! Aber wie sollte ich das anstellen? Ich erfuhr durch meine Kontaktperson, dass du hier bist! Als Soulcatcher! Also habe ich Verbindung zu dir aufgenommen. Du hast mir den Zutritt hinein verschafft und du solltest meine Fahrkarte nach oben sein. Ein Ausgestoßener verhindert den Ausbruch mehrerer Sträflinge aus ihrer Haft? Eine Lappalie! Ein Ausgestoßener verhindert die Flucht und liefert den Drahtzieher, der auch noch aus den Reihen der Soulcatcher stammt! Jackpot! Zudem würde mir dein Fall in mehr als einer Weise nützen. Ich könnte wieder zu einem Genträger ernannt werden. Wäre wieder der ehrbare Sohn eines Ordnungshüters, so wie ich es immer gewesen wäre."„Ich verstehe nicht. Du hast geschworen, du hasst das System!", frage ich noch immer nicht verstehend.„Das stimmt, ich mag es nach wie vor nicht? Aber in den Jahren als Genbrecher wollte ich nur noch eines. Und das war die Anerkennung meines Vaters!"Fassungslos starre ich den jungen Mann an, der da vollkommen verändert vor mir steht. Da war keinerlei Freundlichkeit mehr zu sehen. Nur noch Hass und das Bedürfnis nach Anerkennung.Brenner, sichtlich beeindruckt, entfernt die Klinge von Nicos Hals, um die Hände frei zu haben. Mit Anerkennung klatscht er applaudierend seinem älteren Sohn zu. „Das ist wirklich eine herausragende Leistung. Aber eine Sache musst du mir beweisen."Aufgeregt geht Danni einen Schritt auf seinen Vater zu. „Und welchen? Ich werde alles tun!"Mit einem kräftigen Stoß schubst er Nico seinem Sohn entgegen. „Töte sie! Vor meinen Augen! Ich muss wissen, wie stark du bist. Ob ich dir wirklich vertrauen kann und das tust, was man dir befiehlt! Nicht wie damals als du wie ein feiger Hund mit eingekniffenen Schwanz abgehauen bist!" Das mordlustige Funkeln in Brenners Augen beschert mir eine Welle der Übelkeit.

SoulmateWhere stories live. Discover now