LA - die Stadt der Engel

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Ich sah verträumt an den Hochhäusern hoch und beobachtete, wie sich die Lichter um mich herum in ihren Fenstern spiegelten. Es war schon nach Mitternacht, doch die Stadt war hell erleuchtet. Ich sah eine Gruppe junger Frauen aus dem Gebäude vor mir kommen und hob leicht verwundert eine Augenbraue. Kamen die etwa aus seinem Apartment? Warum sollte er mehrere Frauen gleichzeitig zu sich einladen?

Ich beobachtete die Gruppe, wie sie lachend die Straße hinunter ging. Sie hatten enge, kurze Kleider an. Wenn man den Kopf geschickt schräg legte, konnte man ihnen unter die Röcke schauen. Ich verdrehte die Augen. Dass er so oberflächlich geworden war, nervte mich ein bisschen. Ich selbst hatte mich etwas bedeckter gekleidet. Ein rotes Kleid mit kurzen Ärmeln und nicht zu tiefem Ausschnitt betonte genau die richtigen Stellen meines Körpers. Bei mir konnte man nicht so leicht unter den Rock gucken. Dunkle Haare fielen mir auf die Schulter, von dem einzelne Strähnen in den leichten Windzügen mir vor die Augen geweht wurden.

"Hey, Süße", lallte plötzlich eine männliche Stimme rechts von mir und ich drehte mich in die Richtung. "Komm mal her!" Er grinste mich dümmlich an, doch ich verdrehte nur abermals die Augen und ignorierte ihn. Diese Erde war schon komisch, dachte ich bei mir. Was hatte sich mein Großvater nur dabei gedacht?

Ich schüttelte bei mir den Kopf und ging in meinen flachen Schuhen auf den Eingang zu. Einige Männer drehten sich zu mir um, aber ich ignorierte sie geflissentlich. Mir war bewusst, dass ich - sagen wir es mal so - nicht die Hässlichste war, allerdings hatte ich nicht vor, diese dummen Menschen für mein Vergnügen zu benutzen, wie er es anscheinend tat.

Ich betrat das Gebäude, fand den Aufzug und drückte auf einen der Knöpfe, neben dem der Name LUX geschrieben stand. Aufregung stieg in mir auf, während der Fahrstuhl sich in Bewegung setzte. Wie lange hatte ich ihn nicht mehr gesehen, fragte ich mich. Jahrhunderte? Jahrtausende? Ich war ein bisschen unsicher, ob er mich wieder aufnehmen würde oder ob wir uns bereits zu sehr auseinandergelebt hatten. Würde es genauso sein wie damals? Würde er mich überhaupt wiedererkennen? Vielleicht hatte ich sogar ein bisschen Angst, dass ich umsonst hier hinunter gekommen war. Doch jetzt war ich hier und würde nicht wieder umkehren. Wenn ich nun kalte Füße bekäme, würde ich mir das nie verzeihen. Ich musste ihn einfach wiedersehen.

Als die Fahrstuhltüren sich öffneten, wurden meine Augen ein Stück größer. Ich hatte keinen blassen Schimmer, was ich erwartet hatte, aber das, was ich vorfand, auf alle Fälle nicht. Ein Nachtclub tat sich vor mir auf, laute Musik dröhnte in meinen Ohren; Gelächter und Gejohle mischte sich mitunter. Auf einer erhöhten Bühne mitten im Raum tanzten mehrere, fast nackte Frauen und warfen dabei erotische Blicke den Männern zu ihren Füßen zu. Ich konnte bei diesem Anblick nur angewidert das Gesicht verziehen und wandte mich schnell ab. Eine Gruppe Frauen lief an mir vorbei und musterte mich von oben bis unten.

"Ich glaube, du bist im falschen Gebäude, Schätzchen", sagte die eine und die anderen lachten. "Hier sind keine Spießer erwünscht."

Bevor ich etwas darauf erwidern konnte, waren sie schon wieder in der Menge verschwunden. Kopfschüttelnd setzte ich meinen Weg ins Innere des Nachtclubs fort. Ich wusste, dass ich mich im richtigen Gebäude befand. Ich hatte ihn von oben beobachtet und wusste, dass er hier wohnte.

Ich entdeckte die Bar und quetschte mich in ihre Richtung. Um mich herum floss der Alkohol in Massen. Grölende Grüppchen aus Menschen standen an Tischen oder mitten im Weg herum und kippten ein Glas nach dem anderen mit den unterschiedlichsten Flüssigkeiten in sich hinein. Ich musste ihn so schnell wie möglich finden. Das hier war alles andere als meine Szene. Wie hielt er das nur Tag für Tag aus? Die laute Musik, die Rauschmittel… dumme Menschen. Die Frauengruppe von eben hatte Recht, ich gehörte hier nicht hin.

An der Bar angekommen, machte ich es mir auf einem freien Hocker gemütlich und ließ meinen Blick suchend durch den Raum schweifen. Er musste hier irgendwo sein, ich wusste es, ich spürte es. Plötzlich stellte sich eine Frau hinter der Bar vor mich und blickte abwartend zu mir hinunter. Sie hatte braune, lange Haare, dunkle Haut und enge, schwarze Lederklamotten an.

"Was willst du?", fragte sie mich mürrisch und ich zog die Augenbrauen zusammen. Irgendwie kam sie mir bekannt vor.

"Ich will zu Lucifer", antwortete ich bestimmt.

Sie sah mich belustigt an und musterte mich von oben bis unten. "So wird er dich ganz sicher nicht empfangen." Sie lachte kurz auf und schüttelte den Kopf über mich. Ich verengte die Augen zu Schlitzen und bedachte sie mit einem bösen Blick.

"Ich glaube, dass wird er doch", meinte ich selbstsicher, doch die Barkeeperin hatte sich schon einem anderen Mann zugewandt. Wahrscheinlich war er interessanter als ich. 

Ich stöhnte genervt auf. Scheiß Drecksloch hier!

Plötzlich wurde meine Aufmerksamkeit auf eine andere Stelle im Raum gezogen. Mehrere Menschen hatten sich um ein Klavier versammelt, die Musik wurde leiser gedreht und beinahe alle Augenpaare richteten sich auf den Pianisten. Man konnte eine aufgeregte Anspannung in der Luft spüren.
Ich kniff die Augen zusammen, konnte aber wegen dem schlechten Licht, nicht erkennen, wer der Musiker war. Dann fiel ein Scheinwerfer auf ihn und mir stockte der Atem. Ich hatte ihn gefunden! Obwohl er sich äußerlich verändert hatte, würde ich ihn immer und überall wiedererkennen. Er war der Pianist und ich musste so schnell wie möglich zu ihm.

Geschickt schlängelte ich mich durch die Menge, während er ein Lied anspielte und anfing zu singen. Ein Schauer fuhr mir den Rücken hinunter. Ich hatte ihn schon lange nicht mehr singen hören, doch jetzt weckte es die alten Erinnerungen in mir wieder auf. Es schmerzte mir im Herzen und ich konnte nur mit Mühe die aufkommenden Tränen unterdrücken. Es war schon zu viel Zeit vergangen, seit wir uns das letzte Mal gesehen hatten.

Ich war vorne an der Bühne angekommen und konnte ihn jetzt von vorne betrachten. Sein Gesicht war voller Emotionen, während er das Lied sang. Er hatte die Augen geschlossen, sodass er mich nicht sehen konnte. Seine schwarzen Haare lagen perfekt auf seinem Kopf und auf dem Anzug war weder eine Falte noch ein Fussel zu sehen. Äußerlich hatte er sich kaum verändert, doch ich spürte seine Trauer und Wut. Seine Finger glitten geschickt über die Klaviertasten, als er die Augen öffnete und direkt in meine blickte. Sein Gesichtsausdruck entglitt ihm, er verspielte sich und hörte schließlich auf zu singen. Die Leute um mich herum tuschelten aufgeregt.

Er erhob sich langsam von der Bank und ging um das Klavier auf mich zu. Alle Augen waren auf uns gerichtet, doch es schien ihn nicht zu stören. Er streckte die Hand zitternd nach mir aus. Zögernd legte er sie an meine Wange und ich seufzte ungewollt unter der Wärme, die sich in mir ausbreitete. Ich konnte es nicht mehr zurückhalten und eine Träne kullerte meine Wange herunter.

Auch seine Augen sprühten vor Emotionen.

"Lilith?", fragte er kaum hörbar. "Bist du es wirklich?"

Ich nickte nur und ein glückliches Lächeln breitete sich auf meinem Gesicht aus. "Ja, Dad. Ich bin es wirklich."

Tochter des Teufels (Lucifer ff)Where stories live. Discover now