Warum Männer keine Frauen sind

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Amenadiel fasste Linda mit großen Augen an die Arme und stellte die dümmste Frage, die ein Mann in dieser Situation stellen konnte: "Bist du dir ganz sicher?"

"Natürlich bin ich mir sicher! Es läuft gerade an meinen Beinen herunter." Es war wohl keine gute Idee gewesen, heute einen Rock anzuziehen, Linda.

"Verdammt! Der Boden!", rief mein Vater entsetzt und sprang auf. Mit großen Schritten lief er zu Linda, um dann nur hilflos vor der sich bildenden Pfütze aus Fruchtwasser stehen zu bleiben. "Kannst du das nicht..." Er fuchtelte wild mit den Armen in der Luft herum. "... irgendwie zurückhalten?" Ich schlug mir mit der flachen Hand gegen die Stirn. Das war das erste Mal in meiner ganzen Existenz, dass ich mich wegen Dad schämte.

Linda starrte ihn an, als hätte er den Verstand verloren, was ich sehr gut nachvollziehen konnte. "Nein!" Langsam klang sie hysterisch. "Nein, kann ich nicht! Würde jetzt bitte jemand so freundlich sein und mich ins Krankenhaus fahren?"

Amenadiel löste sich aus seiner Starre. "Natürlich! Natürlich!", sagte er hektisch, während mein Vater sich weiterhin über die Sauerei auf dem Boden aufregte: "Und wer soll das jetzt wieder wegmachen? Mann, ist das abartig!" Unbeholfen versuchte er dem Fruchtwasser auszuweichen, das sich immer weiter auf dem Boden ausbreitete.

Ich sprang auf, nicht etwa weil ich Dad zu Hilfe kommen wollte - er hatte bestimmt eine Putzfrau, die das für ihn wegmachen konnte - sondern weil ich Linda unbedingt mit ins Krankenhaus begleiten wollte. Einerseits um sie vor Amenadel und seiner puren Überforderung zu beschützen, andererseits weil ich unbedingt eine der ersten sein wollte, die meinen kleinen Cousin in den Armen halten durfte.

"Linda?", rief ich quer durch den Raum und lief auf sie und meinen Onkel zu. "Ich komm mit!"

Die Therapeutin sah ziemlich erleichtert darüber aus und nickte mir lächelnd zu. "Danke!", formte sie mit ihren Lippen und wies auf Amenadiel.

"Gern geschehen", murmelte ich zurück, während wir ihr in Richtung Fahrstuhl halfen.

Hektisch drückte mein Onkel immer wieder auf den Knopf für den Aufzug und murmelte vor sich hin: "Komm schon! Komm schon!" Nach fünf Sekunden wirbelte er zu uns herum. In seinem Gesicht konnte man neben der Panik und Überforderung auch Sorge erkennen. Als Linda neben mir unterdrückt aufstöhnte, verstärkte sich dieser Ausdruck nochmal um ein Vielfaches.

"Das war eine Wehe", erklärte sie nüchtern und drückte mit den Händen auf ihren Unterleib.

"Vielleicht sollte ich dich hinfliegen", meinte Amenadiel. "Das dauert hier doch viel zu lange." Er sah wieder zum Fahrstuhl, dessen Türen immer noch geschlossen waren und warf hilflos die Arme in die Luft.

Ich verdrehte die Augen und versuchte, beruhigend auf ihn einzureden: "Dass Linda Wehen hat, bedeutet nicht unbedingt, dass das Baby in der nächsten Stunde kommt. Es reicht voll und ganz aus, wenn wir sie ins Krankenhaus fahren."

"Find ich auch", bekräftigte die Schwangere. "Zwischen den einzelnen Wehen ist noch ein großer Abstand, also..." Sie verzog vor Schmerzen das Gesicht und krümmte sich.

"Verdammt", murmelte ich, weil mein Onkel sofort auf sie zu stürzte. Ich hatte keine Ahnung, was er damit bezwecken wollte, denn kurz vor ihr blieb er mit ausgestreckten Armen stehen. Vielleicht hatte er sie beruhigend umarmen wollen oder er hatte sie hochheben und mit ihr ins Krankenhaus fliegen wollen. Zum Glück hatte der Aufzug in daran hindern können, indem er seine Türen für uns endlich öffnete. Ich trat neben den anderen beiden hinein und warf einen kurzen Blick zurück auf meine Partygäste. Ein paar von ihnen hatten Linda, Amenadiel und mich beobachtet. Ella fragte sich bestimmt gerade, warum mein Onkel meinte, er könne die Schwangere ins Krankenhaus fliegen, während Maze amüsiert Dad beobachtete, wie er versuchte jemanden zu finden, der seinen teuren Boden putzte. Chloe versuchte genervt, ihn zu beruhigen und Trixie betrachtete erst interessiert die Flüssigkeit, dann grinste sie mir zu. Ich erwiderte es mit einem Lächeln, bevor mein Blick hinüber zu Asmo huschte, der mit Dan auf einem der Sofas saß und mir mit den Fingern symbolisierte, ich sollte ihn anrufen, wenn es etwas Neues gab. Ich zeigte ihm einen Daumen hoch, als sich auch schon die Aufzugtüren schlossen. Eine angespannte Ruhe breitete sich in dem kleinen Raum aus, die hauptsächlich von meinem Onkel ausging und nur von der beruhigenden Fahrstuhlmusik durchbrochen wurde.
"Kannst du mal damit aufhören", blaffte ich ihn an, weil er die ganze Zeit nervös mit seinen Beinen auf und ab wippte.

Er warf mir einen bösen Blick zu, hörte aber wirklich mit dem Gezappel auf. Stattdessen warf er Linda jetzt immer wieder besorgte Blicke zu, die die Frau versuchte zu ignorieren. Sie schien mir erstaunlich ruhig und entspannt. Im Gegensatz zu manch anderer Frau, die ich vom Himmel aus beobachtet hatte, als mir langweilig war. Sie hatten mehr dem Zustand von Amenadiel geähnelt.

Die Fahrstuhltüren öffneten sich erneut und wir traten zusammen in die Parkgarage.

"Wo steht euer Auto?", fragte ich.

"Ich hab keins", erklärte mein Onkel.

"Ich fahr doch nicht hochschwanger Auto!", meinte Linda und verzog das Gesicht, als eine neue Wehe sich ankündigte.

"Euer Ernst?!" Ich stöhnte. Warum waren wir dann überhaupt in die Parkgarage runter gefahren?

"Ich war ja von Anfang an fürs Fliegen." Amenadiel hob unschuldig die Hände.

"Wir können doch dein Auto nehmen", schlug Linda vor, ohne auf den Kommentar meines Onkels zu achten.

Ich sah sie an, als hätte sie den Verstand verloren. "Nein, können wir nicht! Erstens ist das ein Cabrio..."

"Was hat denn das damit zu tun?"

"...zweitens ist das Auto teuer gewesen..."

"Als ob dein Vater dir kein neues kaufen könnte."

"...und ich will nicht, dass dein Fruchtwasser meine Ledersitze verschmutzt."

Linda verdrehte die Augen. "Und wie sollen wir sonst ins Krankenhaus kommen?"

"Jetzt komm schon, Lilith!", drängte mein Onkel. "Ich bezahle dir auch die Reinigung."

"Du hast kein Geld", murmelte ich, gab aber trotzdem nach. "Na schön! Kommt mit!"

Tochter des Teufels (Lucifer ff)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt