5 I Ein Nachspiel

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Die Schreibfeder war zart, dünn und zerbrechlich. Seine Hand war groß, rau und an einigen Stellen von einer Hornhaut überzogen, grob wie ein unbearbeiteter Granitblock. Er hätte sich gleich denken können, dass das nicht zusammenpasste. Sein Leben lang hatte er kaum je etwas anderes als Schwerter, Speere und Mistgabeln in ihr gehalten. Für solche Dinge war sie geeignet, nicht für Schreibfedern, die viel Feingefühl erforderten.

Trotzdem saß er bereits seit Stunden auf einem Strohballen in Hektors Box, ein Holzbrett auf den Knien, auf dem ein Stück Papyrus lag, das er aus Dropides' Arbeitszimmer gestohlen hatte. Er mühte sich damit ab, das Geschriebene mit der Feder nachzufahren. Buchstabe um Buchstabe zeichnete er nach, doch er konnte kaum Erfolge vermelden. Die Schreibfeder fühlte sich wie ein Fremdkörper in seiner Pranke an. Völlig verkrampft klemmte der schmale Kiel zwischen seinen Fingern und weigerte sich, das zu tun, was er wollte. Seine Schreibversuche sahen aus wie das Gekritzel eines Kleinkindes. Er hatte schon so oft über die eigentlichen Linien hinausgemalt, dass man den ursprünglichen Text kaum noch erkennen konnte.

Weil er geahnt hatte, dass etwas Derartiges passieren würde, hatte er zuvor versucht, ihn zu entziffern. Es war ihm nicht gelungen. Wie auch? Buchstaben waren für ihn nur irgendwelche seltsamen Striche. Ihr Sinn blieb ihm verborgen, sie offenbarten sich ihm nicht. Er hatte sie solange angestarrt, bis sie vor seinen Augen verschwommen waren und beschlossen, dass es nichts bringen würde. Er konnte sich das Lesen nicht selbst beibringen. Gut, hatte er gedacht, vielleicht funktioniert es mit dem Schreiben besser.

Nun hatte  ihn die nüchterne Erkenntnis getroffen. Er war ein hoffnungsloser Fall. Frustriert knüllte er das Stück Papyrus zusammen und warf es in die Ecke. Hektor sah kauend von seinem Heu auf. Gedankenverloren strich Adad ihm über die Stirn. Er war voller Sorge um Aspasia. Ihre zunehmende Verbitterung ängstigte ihn. Wo war seine sanfte, lebensfrohe Ziehmutter, die dafür gesorgt hatte, dass er wenigstens eine vernünftige militärische Ausbildung erhielt, wenn schon keine geistige?

Bekümmert stand er auf, vergewisserte sich, dass Hektor noch genügend Wasser hatte und verließ die Box. Gerade, als er die Tür schließen wollte, landete eine schwere Pranke auf seiner Schulter. Es war einfach zu erraten, wer dort hinter ihm stand. Er spürte seinen nach Wein riechenden Atem im Nacken, der ihm eine Gänsehaut verursachte. Entnervt drehte er sich um und blickte seinen Ziehbruder an.

„Was willst du denn nun schon wieder?"

Dieses Mal lag kein falsches Grinsen auf Pausanias' Gesicht. Er wirkte wütend. Seine Augen waren verengt, seine Lippen zu einem schmalen Strich zusammengepresst. Plötzlich fühlte er sich wieder wie der kleine Junge, der sich gleich irgendeine Gemeinheit von seinem Ziehbruder gefallen lassen musste. Er begann zu frösteln.

„Du hast eine große Dummheit begangen, Bruder."

„Das weiß ich selbst. Komm zum Wesentlichen."

„Dann folge mir. Im Haus wartet eine Überraschung für dich."

Nun zeigte er doch sein widerliches Grinsen. Entschieden schüttelte Adad den Kopf. „Nein."

„Nein?"

„Nein. Ich bin kein Sklave, den man herumkommandieren kann."

Pausanias seufzte, als hätte er ein uneinsichtiges Kind vor sich. „Ich wusste, dass es nicht anders geht. Du bist störrischer als ein Esel."

Störrisch, womöglich, aber ohne jedes Durchsetzungsvermögen. Egal wie stur er sich gab, es hatte noch nie zum gewünschten Erfolg geführt, sondern das Unvermeidliche höchstens aufgeschoben. Er mochte mit dem Schwert umgehen können, doch was nützte ihm das, wenn die Personen, die über ihn bestimmten, in der Überzahl waren und über die nötige Macht verfügten? Er konnte sie  schlecht alle abstechen. Pausanias drehte sich zur Tür um. „Kommt herein."

Verschleierter Verrat [Leseprobe]Where stories live. Discover now