8 I Abschied von Athen

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Adad erwachte, als ihm jemand unsanft gegen die Wange klatschte. „He, aufwachen, du hast nur bis Sonnenaufgang bezahlt."

Adad gab ein unwilliges Brummen von sich, bis er sich daran erinnerte, was geschehen war und warum er hier genächtigt hatte. Seufzend setzte er sich auf und rieb sich mit der Rechten über das Gesicht. Verflucht, ihm erschien alles so unwirklich, als sei das, was sich gestern ereignet hatte, lediglich ein Hirngespinst. Erst nach und nach kämpfte sich seine ungeheure Tat in sein Bewusstsein vor.

Er hatte seinen Ziehbruder getötet. Pausanias lebte nicht mehr. Ermordet, von ihm, Adad. Abermals fuhr er sich mit den Händen über das Gesicht und krallte sie in die Haare. Er war ein Mörder. Bei den Göttern, er hatte ihn doch nicht umbringen wollen! Pausanias war ein Scheusal gewesen, aber irgendwie waren sie trotzdem zusammen aufgewachsen. Der Moment, in dem sein Ziehbruder ihm das Leben gerettet hatte, kam ihm wieder in den Sinn, überdeutlich, mahnend und beschuldigend. Seine Fingernägel gruben sich in seine Kopfhaut, in der Hoffnung, den ungeheuren Schmerz, der ihn zu lähmen drohte, zu verdrängen. Er sah sich außerstande, das Zittern zu unterdrücken, das seinen ganzen Körper schüttelte.

„Weißt du, dass du der seltsamste Kunde bist, den ich je hatte?"

Die Hure hatte die Hände in die Hüften gestemmt und betrachtete ihn mit hochgezogenen Augenbrauen. Sie klang nicht verärgert, eher belustigt. Mit Mühe brachte er die äußerlichen Anzeichen seines Schocks unter Kontrolle und zwang sich zu einem möglichst unbekümmerten Tonfall.

„Wirklich? Ich dachte, es sei normal, dass man zum Schlafen ins Freudenhaus geht."

„Ganz sicher nich'."

„Das war ironisch gemeint."

„Was?"

Er winkte ab. „Nicht so wichtig."

„Jedenfalls hat's mich noch mehr verwundert, dass dein Gesicht voller Blut war. War von jemand anderem, was? Selber warst ja unverletzt."

Adad stand auf und begann, sich anzuziehen. Er war nicht sicher, ob und wie viel er ihr verraten konnte, ohne sich in Gefahr zu bringen.

„Warum hast' dir eigentlich keine gewöhnliche Unterkunft gesucht, wenn du nur übernachten wolltest?"

„In einer gewöhnlichen Unterkunft hätte man nach mir gesucht."

„Und im Hurenhaus nich'?"

"Nein."

„Warum? Bist' für die Reize einer Frau nich' empfänglich?"

Erneut wusste er nicht, was er darauf antworten sollte. Er fühlte sich durchaus zu Frauen hingezogen, aber er war ihnen gegenüber sehr schüchtern. Außerdem hatte sich noch nie eine für ihn interessiert. Kein Wunder. Er mochte sich manchmal selbst nicht.

Die Hure grinste. „Keine Antwort ist auch 'ne Antwort. Versteh' schon."

„Nein, tust du nicht."

Wortlos schnallte er sich den Schwertgürtel um und befestigte seine Chlamys.

„Komm, sei nich' gleich beleidigt."

Adad stieß ein freudloses Lachen aus. „Um mich zu beleidigen gehört schon ein wenig mehr dazu."

„Na schön, dann verschwinde."

Adad musterte die junge Frau eingehend. „Gestern warst du freundlicher zu mir."

„Gestern musste ich dich ja auch noch ins Bett bekommen – auf die ein oder andere Weise."

Ihre Lippen verzogen sich zu einem frechen Grinsen, das ihm signalisierte, dass sie es nicht böse gemeint hatte.

Verschleierter Verrat [Leseprobe]Where stories live. Discover now