Verflucht

1.9K 105 5
                                    

„Hey, Mia. Wir sind da.“ Im Halbschlaf schüttelte ich den Kopf. Ich wollte meine Augen nicht öffnen und schon gar nicht aufstehen. „Du kannst gleich im Hotel weiterschlafen.“, murmelte Liam leise. Kurz darauf spürte ich seine kühlen Lippen an meiner Schläfe. Widerstrebend öffnete ich mein eines Auge. Wir waren die letzten im Flugzeug. Seufzend stand ich auf, musste mich jedoch an Liams Pullover festhalten, um nicht direkt wieder umzukippen. Sofort schlang er einen Arm um meine Taille und führte mich in Richtung Ausgang. Seinen Pullover ließ ich trotzdem nicht los.

Von der Fahrt zum Hotel kam ich nicht wirklich etwas mit. Auch die anderen schienen noch halb zu schlafen, weshalb es angenehm ruhig im Wagen war. Ohne von Liam gestützt zu werden, hätte ich es vermutlich nicht ins Hotelzimmer geschafft. Ich konnte mich nicht daran erinnern, wann ich das letzte Mal derart müde gewesen war. Mit geschlossenen Augen ließ ich mich auf das Bett fallen, ohne die Absicht jemals wieder aufzustehen. Liams leises Lachen hörte ich natürlich trotzdem. Ich hatte gerade noch die Kraft dazu, meinen Arm zu heben und meinen Zeigefinger an meine Lippen zu halten. Doch daraufhin lachte Liam bloß erneut. Dann spürte ich, wie er vorsichtig meine Schuhe öffnete und sie mir von den Füßen zog. „Ehm, Mia? Möchtest du in der Kleidung schlafen? Das könnte eventuell etwas ungemütlich werden.“ In Zeitlupentempo schüttelte ich den Kopf. „Okay… heißt das jetzt nein, du möchtest nicht in der Kleidung schlafen? Oder nein, es ist nicht ungemütlich?“, fragte Liam, seinem Tonfall nach zu urteilen, äußert verwirrt. „Kleidung… weg.“, war alles was ich hervorbrachte. Wieder lachte er. Ein Geräusch, das die Schmetterlinge in meinem Bauch zum Tanzen brachte. „Dann mal los, Schlafmütze.“, murmelte er und half mir aus meiner Jacke und Hose. „Kann ich dein T-Shirt haben?“, fragte ich, noch immer ohne die Augen zu öffnen. Wenige Sekunden später war ich umhüllt von weichem Stoff und dem wohl schönsten Duft überhaupt. Liam breitete die Bettdecke über mir aus, anschließend entfernten sich seine Schritte. Eine Tür ging leise zu und kurz darauf hörte ich Wasser rauschen. Seine Rückkehr ins Zimmer bekam ich nicht mehr mit.

Vermutlich war es das helle Sonnenlicht, das mich aufweckte, denn als ich die Augen aufschlug, lag Liam noch immer schlafend neben mir. Aus irgendeinem, mir unbekannten, Grund befanden wir uns beide auf seiner Seite des Bettes. Einer der Gründe für unsere Nähe könnte die Tatsache sein, dass er mich mit einem Arm fest umschlungen hielt. Ich beschloss, die Zeit während Liam noch schlief zu nutzen und zu duschen, doch sobald ich Anstalten machte mich zu bewegen, grummelte er etwas unverständliches und verstärkte die Umarmung. Vorsichtig versuchte ich, seinen Arm von mir zu lösen. Offenbar nicht vorsichtig genug.

„Wohin gehst du?“ Liams Stimme war leise und rau, seine Augen blieben geschlossen. „Ich wollte schon mal duschen.“, entgegnete ich, machte jedoch keine Anstalten mich zu bewegen. Liam schüttelte den Kopf und ließ mich nicht los. „Später. Bleib bitte hier.“ Lächelnd rückte ich wieder näher an ihn heran. „Okay.“ Sofort öffnete er sein rechtes Auge. Als er sah, dass ich tatsächlich noch immer neben ihm lag, erwiderte er mein Lächeln. Dann schloss er sein Auge wieder, das Lächeln blieb jedoch. „Liam?“, fragte ich nach einer Weile leise, unsicher ob er wieder eingeschlafen war. „Ja?“ Nervös biss ich mir auf die Unterlippe. „Hast du… eventuell noch mein Armband?“ Er runzelte die Stirn, nickte dann aber. „Und meinst du ich könnte es wiederhaben?“ Dieses Mal dauerte es etwas länger, bis er reagierte. Und zu meiner Überraschung schüttelte er den Kopf. „Oh… okay.“, murmelte ich und versuchte, vermutlich vergeblich, meine Enttäuschung zu verbergen. „Ich glaube so langsam, das Armband ist verflucht.“, erklärte Liam, nachdem wir eine Zeit lang beide geschwiegen hatten. „Verflucht?“ – „Ja… du hast es mir jetzt schon zweimal zurück gegeben. Und ich habe Angst, dass das nochmal passiert. Und ein drittes Mal wirst du mir vermutlich nicht verzeihen.“ In gewisser Weise konnte ich ihn verstehen. Trotzdem war ich noch immer etwas enttäuscht. „Ich mochte das Armband.“ Liam zog mich noch ein wenig enger an sich heran. „Wenn du dich… für mich entscheidest, kriegst du ein neues.“ Etwas ungehalten hob ich die Augenbrauen. „Versuchst du mich zu erpressen?“ Sofort öffnete er die Augen und sah mich erschrocken an. „Was? Nein! Nein, so war das nicht gemeint. Nur… ehrlich gesagt rechne ich immer noch damit, dass du nach dieser Reise zurück nach Deutschland fliegst und ich dich nie wieder sehe.“ In seinem Gesicht war aufrichtige Sorge zu erkennen. Schnell schüttelte ich den Kopf. „Das wird nicht passieren. Versprochen.“

LIAMS SICHT:

„Das wird nicht passieren. Versprochen.“, versicherte Mia mir. Ich wusste, dass sie die Wahrheit sagte. Doch ich wusste auch, dass Dinge passiert waren, von denen sie nichts wusste. Und wenn sie von diesen Dingen erfuhr, würde sie ihre Meinung ganz schnell wieder ändern, da war ich mir sicher. Aber ich konnte es ihr nicht sagen. Es würde alles zerstören.

Und ich würde Mia für immer verlieren. 

Nicht das Armband war verflucht, sondern diese Beziehung. Immer wieder fand ich einen Weg, um Mia zu verletzen. Immer wieder machte ich Fehler, die nicht nachzuvollziehen und schon gar nicht verzeihbar waren. 

____________

Heute nur ein etwas kürzerer Teil, weil ich gleich noch zurück nach Bremen fahren muss, aaaber ich wünsche euch einen wunderschönen ersten Advent!! :)

Don't let me go..Where stories live. Discover now