II. 16||little leprechaun

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Drinnen streifte sie sich ihre abgelatschten Converse von den Füßen und warf den Haustürschlüssel auf das klapprige Tischchen das unter dem großen Spiegel stand, der noch genauso schmutzig war wie vor zwei Jahren und auch schon wie vor fünf.

Ihre Mutter war immer die einzige gewesen die sich um solche Kleinigkeiten wie Spiegel putzen gekümmert hatte.

„Ich bin wieder da!" rief Violett und kam dann ins Wohnzimmer.
Es lag im halbdunkel weil die Rollläden zur Hälfte hinuntergelassen worden waren und so nur spärliches Licht den Raum erhellte.

„J?" fragte sie jetzt etwas vorsichtiger mit gedämpfter Stimme, weil sie ihre Schwester auf dem breiten, abgenutzten Sofa sehen konnte.

Da sie sich wie eine Katze zusammengerollt hatte und ihr langes hellblondes Haar ihr Gesicht bedeckte, konnte Violett nicht sagen ob sie wach war oder schlief.

Nachdem sie sich immer noch nicht regte sondern nur ein leises seufzen von sich gab, lächelte Violett und wand sich zur Küchenecke. Im Kühlschrank lag noch die halbe Pizza die El gestern nicht aufgegessen hatte, ein angebrochenes sixpack budlight und ein gutes Dutzend Pfirsiche, die Jean so gerne aß.

Violett nahm sich die Pizza und legte sie in die Mikrowelle, welche beim benutzen immer besorgniserregende Geräusche von sich gab.

Während sie wartete schweifte ihr Blick über die vergilbte Wand an der sich an manchen stellen der Putz löste.

Als sich tapsige Schritte laut machten drehte sie sich verwundert um.
Ein Mädchen stand nun im Wohnzimmer, mit verzottelten roten Haaren und verwischtem makeup. Sie trug nur ein übergroßes Shirt welches Violett als eines von ihrem Bruder identifizierte.

„Guten Morgen." nuschelte sie und kam zu Violett, schaute etwas planlos drein.

„Wir haben viertel vor zwei." antwortete sie und die Mikrowelle gab ein lautes Ping! von sich.

„Wo ist denn eure Kaffeemaschine?" fragte die andere ohne auf Violetts Kommentar einzugehen.

„Hier." sie knallte der Fremden die Dose mit den Instant Kaffee Körnern hin.
Dann schnappte sie sich ihre pizza und setzte sich zu ihrer immer noch schlafenden Schwester aufs Sofa.

Gähnend kam nun auch endlich Eliot aus seinem Schlafzimmer, fuhr sich durch die pechschwarzen, erst frisch nachgefärbten Haare.

„Oh." kam es etwas dümmlich von ihm als er endlich mal die verklebten Augen richtig öffnete.
„Du bist ja noch da."
Eine unangenehme Stille entstand und das Mädchen lächelte unsicher.
„Ich... wollte gerade Kaffee machen."
„Ja also das Ding ist... ich hab noch Sau viel zu tun und naja ich glaub es wäre besser wenn du gehst."
Als sie weiterhin keine Anstalten machte zu gehen, mischte nun auch Violett sich ein.

„Du sollst dich verpissen." nuscheltet sie, den Mund voller Pizza aber dennoch laut und verständlich.

„Ich ruf dich an!" rief El ihr noch hinterher bevor die Hautür ins Schloss fiel.
Seufzend, aber ohne jegliche Schuldgefühle, schlurfte er, immer noch verschlafen, zur Küchenecke und nahm die Tasse Kaffee die dort stand.
Dann drehte er sich erwartungsvoll zu Violett um.

„Und?" fragte er.
„Und was?"
„Hast du alles verkauft bekommen?" hakte er ungeduldig nach und jetzt war es Violett die genervt seufzte.
„Fast. Noch vier Gramm weed und alle Pillen."
„Wie, alle Pillen."
„Ich geh auf ne scheiß Streber Highschool. Und ich bin kein cheerleader oder sonst so ein snop der alle am arsch kleben. Vor Pillen haben die Angst." meinte Violett, konzentrierte sich dabei auf die Käse Fäden der Pizza.
Es war ihr unangenehm darüber zu reden, besonders in Gegenwart von Jean, auch wenn diese schlief.

Eigentlich wollte sie diese scheiße nicht verticken.

„Aber das ist super Stoff, die bringen am meisten Gewinn ein. Du musst die loswerden."
„Dann sag mir mal wie." ihre Stimme wurde hitziger und als keine Antwort folgte schnaubte sie verächtlich.
„Ganz genau, also führ dich nicht auf wie scheiß Pablo Escobar."
„Ich erwarte doch nur das du mehr Engagement zeigst!" nun wurde auch Eliot aufgebrachter und hob die Stimme.
„Oh tut mir leid das ich nicht in deine Dealer scheiße mit reingezogen werden will!"
„Diese Dealer scheiße bezahlt unsere Wohnung, unser Essen und dein beschissenes Leben, Violett."
Seine eisblauen Augen, das selbe blau das auch ihr linkes Auge hatte, funkelten nun und um sich nicht kleiner zu fühlen als sie war, sprang Violett vom Sofa.
„Ist es denn zu viel verlangt das ich will dass du wenigstens ein klein wenig zu unserem Unterhalt beisteuerst? Schließlich ging all das Geld von mums Konto in deine verfickte Bildung also sei mal nicht so undankbar."
„Immerhin werd ich ne Zukunft haben, im Gegensatz zu dir. Willst du in zehn Jahren immer noch Drogen dealen, Leute zusammenschlagen und erpressen, Häuser anzünden und besprayen und-„
„Na so wichtig kann dir ein Abschluss ja nicht sein bei der scheiße die Du in der Schule baust!"
„Für das Meiste davon bist du verantwortlich!"

Mittlerweile brüllten sie sich an, so laut das vermutlich bereits die gesamte Etage davon mitbekommen hatte. Die Wände waren dünn.
„Wag es nicht-!"

„Hört auf."
Eine leise, kaum wahrzunehmende bitte. Ein Windhauch im wütenden Sturm.
So zart und leicht zu überhören, doch schlagartig hörten Violett und Eliot an sich mit ihren Blicken zu zerfetzen, die angespannte Stimmung löste sich schlagartig auf, alle Aggression wich so schnell wie sie gekommen war.

Von beiden lag die Aufmerksamkeit nun auf Jean, die durch den lauten Streit aufgewacht war und nun zusammengekauert auf dem Sofa saß, die dünnen Arme um die ebenso dünnen, an die Brust herangezogenen Beine geschlungen.
Sie hatte ihren Kopf zwischen ihren Knien vergraben und ihre langen hellblonden welligen Haare machten ihr Erscheinungsbild noch zerbrechlicher als es ohnehin schon war.

„Alles gut süße. Alles gut." Eliots Stimme war wie ausgewechselt, ruhig und sanft. Sie setzten sich beide neben ihre Schwester, strichen ihr beruhigend über den Rücken und redeten ihr gut zu.

„Habt ihr euch nicht mehr lieb?" murmelte sie irgendwann, hatte sich mittlerweile aus ihrer Position gelöst und starrte nun mit ihren glasig hellblauen Augen ins leere.

Das selbe blau wie das von Eliots Augen, das selbe blau wie das von Violetts linkem Auge.

„Doch, doch natürlich haben wir uns noch lieb." versicherte sie ihrer großen Schwester, welche jetzt schniefte und sich dann etwas aufrichtete, plötzlich wieder selig lächelnd.

„Das ist gut. Sonst wären die kleinen Kobolde sauer."
Von den kleinen Kobolden redete Jean immer viel.
Sie waren überall, schliefen in den Schubladen des Kleiderschranks, badeten im Wasserkocher, frühstückten auf Fensterbänken, schauten von dem alten Deckenventilator auf sie herunter und schwammen in der Badewanne auch wenn sie nicht mit Wasser gefüllt war.

Die kleinen Kobolde waren traurig wenn Jean es war und wenn Jean traurig war wurden es auch die kleinen Kobolde.

Princess ||girlxgirlWo Geschichten leben. Entdecke jetzt