10296 (mod 3429)

44 13 16
                                    

Manon war an diesem Abend in einer richtigen Aufbruchsstimmung. So machte es ihr auch nichts aus, als Finn auf Anns Vorschlag eines Spieleabends hin beschloss Till und seinen Vater ein zu laden. Alle Winters liebten Spieleabende. Sogar Al, obwohl er immer früher ins Bett musste. In München hatten sie immer mit Kates Familie gespielt. Nach dem Essen spülten Manon und Alin ab, was Manon nutzte um Al zu fragen warum er am Morgen so gegrinst hatte. "Ich dachte nicht, dass du sie wirklich anrufst.", gab Al zu. "Warum denn das?", fragte Manon ihn überrascht. "Nur so.", sagte Al und seine Ohren wurden etwas rot. "Aber jetzt weiß ich es ja besser.", fügte er hinzu. Manon wusste nicht, was sie davon halten sollte, doch sie fragte nicht weiter nach. Finn, Manon und Alin stellten Chips auf den Wohnzimmertisch und räumten ein paar Spiele aus dem Schrank um eine bessere Übersicht zu haben. Dann klingelte es auch schon. Alle Winters liefen zur Tür um ihren Besuch zu begrüßen. Manon war immer noch leicht nervös, doch ihr war klar, dass das hier erst der Anfang eines sozialen Lebens war. Wenn sie wirklich Freunde finden wollte, dann war ein Familienabend mit Besuch der Einstieg für Anfänger.

Till grinste den drei Geschwistern zu bevor er ihren Eltern höflich die Hände schüttelte. Die kannten ihn ja noch gar nicht, obwohl Till schon einen ganzen Nachmittag bei den Winters verbracht hatte. Ann und Achim dankten Till noch einmal, weil er so nett geholfen hatte Alins Bett mit aufzubauen. Till tat das mit einer Handbewegung ab. Es habe ihm großen Spaß gemacht und ihn vor einem einsamen Nachmittag bewahrt scherzte er.

Die sieben setzten sich fröhlich quatschend an den Wohnzimmertisch. Alin beschloss, dass er das erste Spiel aussuchen durfte, weil er als erster ins Bett musste. Er hatte eine ganze Weile mit Ann verhandelt, bis sie sich auf halb neun Uhr Bettgehzeit geeinigt hatten. Das war für Alins Verhältnisse spät in der Nacht. Er entschied sich für Activity. Schnell hatten sie Teams gebildet. Kinder gegen Erwachsene, obwohl sich Finn etwas über die Formulierung beschwerte. Er war ja schon neunzehn. "Ich bin auch schon achtzehn. Wir können es sonst auch Schüler gegen Erwachsene nennen. Ich finde nur, dass Kinder gegen Erwachsene besser klingt, oder?", argumentierte Till. Alin stimmte ihm sofort zu. "Im Durchschnitt seid ihr vier ja auch noch sechzehn Jahre alt.", unterstützte Tills Vater Jens die Bezeichnung. Oder er versuchte es zumindest. Manon ging reflexartig die Rechnung im Kopf durch und kam keineswegs auf sechzehn Jahre. Im Durchschnitt waren sie fünfzehn ein Viertel Jahre alt.Sie öffnete den Mund, doch gerade noch konnte sie sich zurückhalten Jens zu verbessern. Das war gerade nicht angebracht beschloss sie. Stattdessen schnappte sie sich für ihr Team die gelbe Spielfigur und rief, "Wir sind gelb!". Al nickte wild, Till lachte und auch Finn lächelte. Er kannte das schon. Normalerweise stritten sich Manon und Alin immer ein wenig um die gelbe Spielfigur, doch da sie in einem Team waren war es diesmal eine win-win Situation.

Es ging los. Die folgenden eineinhalb Stunden hörte das Lachen am Tisch gar nicht mehr auf, so kam es Manon vor. Achim zeichnete ein äußerst missglücktes Walross. Alin versuchte einen Pfadfinder pantomimisch dar zu stellen und scheiterte grandios, weil er dachte einen Pfandfinder darstellen zu müssen und die ganze Zeit versuchte ihnen zu vermitteln gerade im Müll nach Flaschen zu suchen. Ann liefen die Lachtränen über die Wangen und Manon bekam fast keine Luft mehr. Sie lief vor Lachen ganz rot an, was Till scheinbar ernsthaft Sorgen zu bereiten schien. Tills Versuche Manon zu beruhigen belustigten Finn so sehr, dass er vom Stuhl gefallen wäre, wenn Alin ihn nicht festgehalten hätte. Sie brauchten fünf Minuten um sich wieder so weit zu beruhigen, dass sie weiter machen konnten. Alin kicherte immer noch. Um halb neun dann schnappte Manon sich den protestierenden Alin und schleppte ihn zum Zähne putzen. Er jammerte so sehr, dass sie sich erweichen ließ ihm noch etwas vor zu lesen.

Erst gegen halb zehn kam Manon wieder ins Wohnzimmer wo sie auf Till traf. Er saß alleine auf dem Sofa und sah sich die Familienfotos an der Wand dahinter an. "Wo ist denn der ganze Rest?", fragte sie ihn verwirrt. "Sie sind plötzlich alle in die Küche um sich etwas zu trinken zu holen.", erklärte Till. "Bringst du immer Alin ins Bett?", fragte er dann. "Ja. Alin will das so. Ich denke er weiß, dass ich mich eher zum Vorlesen erweichen lasse, als Mama." Till schmunzelte. "Gerissener Kerl.", sagte er dann. "Ich kann ihn aber verstehen. Ich habe es früher auch geliebt vorgelesen zu bekommen." , fügte er hinzu. "Ja, ich auch.", lachte Manon.

"Bist du das?", fragte Till und deutete auf eines der Bilder hinter ihm. Es zeigte zwei etwa elfjährige Mädchen, die lachend in einer Hollywoodschaukel saßen. Ihre Augen waren halb geschlossen, denn die Sonne schien ihnen direkt ins Gesicht. Das Foto war ganz leicht verwackelt, die Mädchen schienen sich in ständiger Bewegung zu befinden. Man konnte förmlich spüren, wie das Lachen der beiden in der Luft hing. Man sah die Freude dieses Moments, obwohl es doch nur ein Foto war. „Ja, das bin ich.", sagte Manon und lächelte. Sie erinnerte sich gerne an diesen Tag. Kate und sie hatten kalte Getränke gemixt und den ganzen Tag malend in der Sonne gesessen. Manon wusste leider nicht mehr genau, was in diesem Fotomoment das Lustige gewesen war, doch in diesem Alter hatten sie so wie so über alles lachen können. Es war eine ihrer schönsten Kindheitserinnerungen.

Till sah Manon an, als würde er auf eine Erklärung warten, die über ein ja hinausging. „Und?", fragte er. „Willst du jetzt wirklich die Geschichten aus meiner Kindheit hören?", fragte Manon zurück. „Ja, will ich.", behauptete Till. Na gut. Wenn er das hören wollte, dann würde sie es eben erzählen. „Das sind meine Freundin Kate und ich. Wir waren damals elf Jahre alt. Das Foto ist von einem Nachmittag in den Sommerferien nach der fünften Klasse. Wir haben gemalt und uns benommen, wie elfjährige Mädchen.", erklärte sie Till. Till lächelte und deutete auf ein anderes Bild. „Und hier?", fragte er. Manon sah sich die Szene auf dem nächsten Bild an. Dieses Foto war gestellt. Es war erst in diesem Sommer aufgenommen worden. „Das sind meine Brüder, Kate und ich.", erklärte sie und es begann ihr Spaß zu machen. Till hörte zu, als würde sie die spanendste Geschichte der Welt erzählen. Er konnte gut zuhören. „Im Hintergrund sieht man Alins alte Schule. Es war am letzten Schultag. Wir drei haben Al dort abgeholt und sind Eisessen gefahren. Wir waren immer Eisessen am letzten Schultag. Da war Al das erste mal dabei." Manon schluckte. Sie hatten damals noch nicht gewusst, dass Al nie wieder in diese Schule zurückkehren würde. Sie hatten nicht gewusst, dass sie in diesem Sommer umziehen würden. Erst am nächsten Tag hatten Ann und Achim es ihnen gesagt. Doch diese Erinnerung schob Manon schnell zur Seite.

„Dad und ich gehen auch immer Eisessen am letzten Schultag. Das gehört einfach dazu.", sagte Till. So ging es weiter. Till deutete auf Bilder, Manon erzählte. Irgendwann fragte Manon, „Wo bleiben eigentlich die anderen?" Till sah von den Bildern auf. „Keine Ahnung."

„Ich geh mal nachschauen.", mit diesen Worten verschwand Manon in Richtung Küche.

Die anderen hatten sich in der Küche verquatscht. Manon holte sie und es wurde weiter gespielt. Sie räumten Activity zurück in den Schrank und ersetzten es durch Azul. Finn spielte in einem Team mit Till und Achim bildete ein Team mit Jens. So konnten sie das Spiel beim Spielen lernen.Außerdem konnte man es nur zu viert spielen.

Erst als Manon gegen halb eins schon zum vierten Mal nach den falschen Steinen griff beschloss sie nach der Runde ins Bett zu gehen. Jens und Till folgten ihrem Beispiel und gingen nach Hause. Zum Abschied gaben die beiden Besucher Ann und Achim die Hand. Till und Finn machten so ein Jungs-Abschieds-Handschlag-Gedönds. Manon wollte gerade die Hand zum Winken heben, als Till sie einfach kurz umarmte. „Bis morgen!", sagte er. Manon verstand nicht ganz, was er damit meinte nickt jedoch einfach und lächelte. Tills Umarmung hatte sie zwar überrascht, doch sie hatte nichts dagegen. Es war ja nur so gewesen und unter Freunden war das so. Manon hatte nämlich beschlossen Till als Freund haben zu wollen. Er war wirklich nett und sie schienen sich ganz gut zu verstehen.

Die vier Winters warteten an der Haustür, bis die Kaspers im Nachbarhaus verschwunden waren. Dann verzog sich Manon so schnell wie möglich ins Bett. Sie schlief mit dem Gedanken an einen Brief von Noah am nächsten Tag ein. Obwohl es streng genommen schon der nächste Tag, Montag, war.

Damit wir lebenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt