Kapitel 24

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Ich will nicht aufstehen. Will nicht aufstehen. Nicht aufstehen!
Dieses Mantra wiederholte Cassandra immer und immer wieder, was aber leider nicht lange genug anhielt, bis ihr eine raue Hundezunge übers Gesicht leckte.

"Fen!", rief sie aufgebracht.

Das verspielte Tier, gänzlich unbeeindruckt von ihrem Wutausbruch, stand vor ihrem Bett und wedelte freudig mit dem Schwanz und bellte einmal laut.

"Ja, ja, ich hab schon verstanden. Ich steh ja auf."

Cassandra steckte sich noch kurz genüsslich im Bett, bevor sie die Beine über die Bettkante schwang und aufstand. Das schöne Kleid, welches sie von Hilda bekommen hatte, war vollkommen zerknittert. Sie hatte sich letzte Nacht keine Mühe gemacht, um das Kleid auszuziehen und sorgfältig wegzulegen. Genauso wenig für ihr Make Up. Cassandra schaute ihr entsetztes Spiegelbild an, mit den schwarzen Rußspuren überall im Gesicht. Schnell zog sie das Kleid aus und warf es auf ihr Bett. Nur im Unterhemd goss sie Wasser in die Waschschüssel und schrubbte sich die ganze Maskerade aus dem Gesicht. Das Wasser war eiskalt, aber anders hätte es sich Cassandra auch nicht wünschen können. Die letzte Nacht kam ihr vor wie ein Traum, oder hätte sie es eher einen Albtraum nennen sollen?

Wieder einmal ärgerte sie sich über sich selbst. Sie hätte einfach nicht zu diesem verdammten Fest gehen sollen, egal wie sehr Enid und Hilda darauf bestanden haben. Und auch danach wäre ihr nichts lieber gewesen, als den restlichen Abend allein zu verbringen. Aber nein! Dieser idiotische, masochistische und unglaublich anziehende Vollpfosten von einem Jarl musste ihr folgen. Und dann hatte er auch noch den Verband abgenommen, obwohl sie ihm mit Nachdruck gesagt hatte dass er gefälligst dran bleiben solle.

"So ein Sche*ß!", schrie sie und knallte mit den Fäusten heftig auf den Waschtisch, so sehr, dass das Wasser heraus spritzte und auf den Boden fiel. Selbst Fenris hatte sie damit verschreckt. Der Wolf jaulte traurig auf und zog den Schwanz zwischen den Beinen ein und legte die Ohren an.

Traurig schaute Cassandra in den Spiegel. Ihr Gesicht war von dem heftigen Schrubben ganz rot und die restlichen schwarzen Spuren unter ihren Augen gaben ihr etwas geisterhaftes. Sie rieb die restliche Schwärze weg und legte das Handtuch beiseite.

"Komm her, Fen. Ich hab's nicht so gemeint"

Sie kniete sich auf den Boden und streckte ihre Hand aus. Fenris kam nur langsam näher und schnupperte an ihrer Hand. Aber anscheinend hatte das Tier ihr ihren Wutausbruch schon verziehen, als er zärtlich über ihre Handfläche leckte. Cassandra zog Fenris vorsichtig an sich heran und vergrub ihre Nase in seinem weichen Pelz.

"Tut mir leid, mein Hübscher."

Es war ja nicht seine Schuld, dass ihre Gefühlswelt dauerhaft Karussell fuhr. Wenn es so weiter ging, würde sie bestimmt bald einen Herzkasper bekommen. Und das nicht nur, weil dieser engstirnige und gutaussehende Jarl dauernd ihr Herz zum Überschlagen bringt. Außerdem müsste sie lügen, wenn man behauptete, dass sie es nicht genossen hätte, gestern Abend seine Blick auf sich zu spüren. Dafür hatte sie vielleicht etwas zu übertrieben mit Borak geflirtet. Nicht, dass ihr die männliche Aufmerksamkeit unangenehm war. Sie war schließlich auch nur eine Frau und ein klein wenig Bewunderung tat ihrem Ego auch gut.

Aber die Frage, was sie jetzt tun müsse oder besser gesagt sollte, war immer noch nicht geklärt. Cassandra hatte dieses Knistern gestern so intensiv gespürt, dass sie geglaubt habe in Flamme zu stehen. Hraereks Nähe war so berauschend und heiß gewesen. Und in seiner edlen Kleidung hatte er blendend ausgesehen. Aber diesmal war es nicht das intensive Silber seiner Augen, sondern sein männlicher Duft, der sie hat schlucken lassen. Konnte dieser Kerl nicht mal einen Moment nicht damit aufhören, so unwiderstehlich zu sein?!

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