Nur wenige Minuten nachdem sie aufgebrochen waren, kam die Boje in Sicht, bei der die Crucis angebunden war. Der Wind, der sich anscheinend nicht entscheiden wollte, ob gerade ein Sturm oder nur eine Brise über den Strand fegen sollte, hatte wieder abgeflaut und so nahmen sie auf der Hercules Platz, die immer noch sicher in den Dünen versteckt lag.
Keine Menschenseele war in dieser Küstenregion zu finden, nicht einmal Tiere verliefen sich bei diesem Wetter in diesen eher abgelegenen Teil. Nur eine kleine Lachmöwe schwamm auf den Wogen des Ozeans, einsam reckte sie ihr Köpfchen nach hinten, um sich das Gefieder zu putzen.
Alea fröstelte und schlang ihre Arme um ihre Beine. Sie trug ihre üblichen Klamotten – Männerhemd, altrosafarbene Seidenjacke, mehrere lange Ketten, schwarze Handschuhe, schwere Boots und ihre geliebte meerblaue Schirmmütze – und nichts, was sie langfristig vor der Kälte hätte schützen können. Der Sommer war in diesem Jahr recht schnell verflogen, jetzt Ende August brachen schon die ersten Anzeichen des kommenden Herbsts herein. Im regnerischen und stürmischen Herbst würde es weniger spaßig sein, die Zeit auf der Crucis zu verbringen, auch wenn sie wegen dem Wind wahrscheinlich nicht so oft eine Flaute erleben würden, wie sie diesen Sommer regungslos auf dem Meer verharren mussten, da der Wind zu flau gewesen war.
Doch die Vorstellung, das Segelschiff und die Cru zu verlassen, war ebenso abstrakt, wie der Gedanke am Anfang ihres Abenteuers, erst eins zu betreten und mit völlig Fremden über das Meer zu schippern. Letzteres war aber das kleinere Übel gewesen, immerhin hatte sie zu der Alpha Cru sofort Vertrauen gefasst.Nachdenklich ließ Nelani ihre Finger über die abgenutzten Sitzbänke des Schlauchboots gleiten. Alea deutete auf die kleine Kerbe, die sich in der einen Holzlatte befand.
„Die ist von einem Pfeil, den Cassaras hier hineingeschossen hat", erklärte sie.
„Wie ist es denn dazu gekommen?", fragte ihre Mutter mit einem Anflug von Wut in der Stimme.
„Orion hat ihm befohlen, ein Loch in das Boot zu schießen, damit wir untergehen und nicht fliehen können", erläuterte sie. „Doch wenn wir in den Katakomben der Villa Konungur verrotten, dann nützen wir dem Nixenprinzen nichts und der Silberumhang würde nie in seine Hände gelangen. Um den Deal aufrechtzuerhalten und mich zu schützen, hat er absichtlich danebengeschossen, genau zwischen Tess und Sammy..."Nelani biss sich auf die Lippe. „Dann hat dieser Pakt mit dem Teufel wenigstens noch irgendwas gebracht", meinte sie und murmelte einen Fluch. „Aber gleichzeitig war es auch eine Warnung an euch", überlegte sie weiter. „Genauso gut hätte er auch ins Wasser schießen können."
Alea schluckte, als sie an den Deal mit dem Nixenprinzen dachte. Durch seine Lebensrettung und Jisu war er ihnen etwas wohlgesinnter, allerdings bezweifelte sie stark, dass er jemals auf den Umhang verzichten würde. Für ihn war die ganze Rettungsaktion für die Meere genauso sinnlos, wie Orion versuchte, es ihnen weiszumachen. Ihm war es egal, ob die Meere starben, denn sie würden es sowieso – seiner Meinung nach.
Oder vielmehr nach dem, was Alea sich durch seine Verachtung und Missbilligung ihr und ihren Träumen gegenüber zusammengereimt hatte.„Ich vermisse Keblarr so sehr", wisperte Nelani kaum hörbar in den Wind.
„Ich auch", musste Alea zugeben. Sie hatte ihren Vater gar nicht richtig kennenlernen können, aber trotzdem vermisste sie ihn so sehr, dass es ein dumpfes Loch in ihre Brust brannte. Keblarr war ihr Vater – ihre Familie, etwas, das Alea in ihrem Leben noch nie in dem Ausmaß von Eltern, Großeltern und Verwandten erlebt hatte. Es hatte immer nur sie und Marianne gegeben. Sie gegen den Rest der Welt.Müde lächelte Alea. Wie es ihrer Pflegemutter wohl ging? Warum sie wohl nicht auf ihre Anrufe geantwortet hatte? War sie immer noch im Krankenhaus oder schon in einer Pflegeanstalt? Aber nein, in der Silberfadenvision hatte Marianne in einem Krankenhausbett gelegen, sie musste also die ganzen letzten zwei Monate dort gewesen sein. Das musste doch schrecklich sein! In ganzen zwei Monaten die Sonne nur durch Fensterscheiben zu sehen. Keine frische Luft, nur abgestandene, nach Desinfektionsmittel riechende Krankenhausluft. Marianne tat ihr furchtbar leid und dieses Gefühl versetzte ihr einen tiefen Stich. Einerseits hatte sie ihre leibliche Mutter wiedergefunden, andererseits wollte sie auch einfach nur zu Marianne zurückkehren und alles, was in den Sommerferien geschehen war, vergessen. Vor allem Orion.
Es wäre schön gewesen, wenn sie einfach nur die Augen schließen musste und dann alles vorbei war. Sie in ihrem vertrauten Bett aufwachte, in Mariannes Wohnung, sie sich überlegte, was sie an ihrem ersten Ferientag machen sollte und ihre Pflegemutter gemütlich mit ihr frühstückte. Nichts Besonderes geschah, kein Herzinfarkt und keine Unruhe, Angst und Furcht vor Allem.

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Alea Aquarius - Die Magie der Schwestern
Fanfiction- Sie sind Schwestern. Sie können sowohl die besten Freunde als auch die größten Rivalen werden - Nachdem die Alpha Cru ein weiteres Mal vor Doktor Orion geflohen ist, geht ihre Reise nach Frankreich weiter, denn dort wartet Aleas Mutter Nelani auf...