[Mixtape Side B] - Lost Stars

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Jeon Jungkook hört seit einer Woche ununterbrochen Eminems The Marshell Mathers 2. Zunächst ist er etwas abgeschreckt von der aggressiven Stimmlage, den wütend ausgespuckten Worten, dem dröhnenden Bass und den harten Beats. Eminems Musik hat nicht viel mit dem gemein, was Jungkook ansonsten hört. Verspielte Klänge, sanfte Melodien, berauschende Worte und sinnliche Stimmen. Daraus bestand das Gebiet, in dem sich der Neunzehnjährige bislang auskannte. Lieder, die von Liebe singen, die hat er am liebsten.
Und dann kommt ein amerikanischer, weißer Rapper daher, betitelt sich als Rap God, weil why be a king when you can be a god? und zerstört mit ein paar groben Vocals das romantisierte Bild, welches sich Jungkook bisher von Musik gemacht hat. Klar, war ihm vorher bewusst, dass er sich mit Hip-Hop auf einem ganz neuen musikalischen Kontinent bewegt und dass ihm eine härtere Ausdrucksweise bevorsteht, als er sie bislang gewöhnt ist, aber musste es gleich so derb sein?
Nun gut, er wäre nicht Jeon Jungkook, wenn er schnell aufgeben würde. Seine Hartnäckigkeit ist schließlich eine seiner prominentesten Eigenschaften. Und da ihm das Album von der Liebe seines Lebens empfohlen wurde, muss mehr dahinterstecken, als vulgäre Reime und diffamierende Beleidigungen.
Also hört er das Album so oft, bis er auswendig aufsagen kann, in welcher Reihenfolge sich die einzelnen Tracks darauf befinden.
Er hört das Album so oft, bis er den Refrain und einzelne Teile der Strophen auswendig kennt.

Und schließlich hat er das Album so oft gehört, dass er die Poesie hinter den provokanten Raplines entdeckt. Und als er sie findet, verliert er sich genauso darin, wie in den sanften Klängen seiner Liebeslieder. Denn im Endeffekt sind Eminems Tracks nicht anderes – eine Hymne an die Liebe, nur anders ausgedrückt, denn vielleicht sind es Hymnen an die Selbstliebe, den Glauben in die eigenen Fähigkeiten und der persistente Widerstand gegen alles, was einen auf dem Boden liegend sehen will.
Die aggressive Stimmlage enttarnt sich als Leidenschaft, die wütend ausgespuckten Worte tropfen kraftvolle Intensität in jede Zelle seines Gehörgangs. Natürlich ist da immer noch Wut, aber eben auch Kampfwille, Entschlossenheit, Durchsetzungskraft und Selbstbewusstsein.
Und genau das braucht Jeon Jungkook in diesen Tagen, denn er hat eine Mission: Er muss Min Yoongi nach einem Date fragen.

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Mit hämmernden Beats und Herzen betritt Jungkook am darauffolgenden Tag erneut das kleine Musikgeschäft. Der Nachmittagsunterricht ist seit zwei Stunden vorbei und er hat die Zwischenzeit damit verbracht, seine Aufgaben für den morgigen Tag zu erledigen. Außerdem hat er noch eine Kleinigkeit gegessen, denn er hat vor, den gesamten restlichen Abend im Laden auf den Mann in schwarz zu warten. Seinen Eltern hat er gesagt, dass er später nach Hause kommen wird, weil er den Tag mit Hoseok verbringt. Jungkook ist zuversichtlich, dass er Yoongi heute noch antreffen wird. Schließlich ist es Schicksal.

Er begrüßt Bang, den Besitzer des Musikgeschäfts, mit einem knappen Knopfnicken. Für mehr fühlt er sich gerade nicht in der Lage, denn er ist aufgeregt und muss fokussiert bleiben. Stattdessen nimmt er seine Kopfhörer ab und beendet damit die Dauerbeschallung durch Bad Guy. Das tut ihm ein wenig leid, denn schließlich verlieht ihm der Song Selbstbewusstsein. Seine Füße tragen ihn automatisch in Richtung der angestrebten Abteilung: Hip-Hop. Denn hier ist die Wahrscheinlichkeit am höchsten, dass er Yoongi nicht verpassen wird.
Diesmal hat sich Jungkook einen Plan überlegt, um nicht wieder so unvorbereitet und wortlos dazustehen, wie beim letzten Mal. Wenn sein Traummann den Laden betritt, wird sich der Jüngere wie selbstverständlich zu ihm umdrehen und ihn begrüßen (schließlich sind sie ja bereits so etwas wie Bekannte). Daraufhin wird er sich für die gute Empfehlung bedanken (höflich und mit einer tiefen Verbeugung, denn er hat schließlich eine anständige Erziehung genossen) und Yoongi wird sich dafür entschuldigen, dass er das letzte Mal so einen genervten Eindruck gemacht hat, er hat es gar nicht so gemeint und nur einen stressigen Tag gehabt oder so ähnlich wird er sein Verhalten begründen. Und Jungkook wird erklären, dass das wirklich gar kein Problem war und das er ihn ja als kleine Entschädigung auf einen Kaffee einladen könnte, in dem Café gegenüber. Wahlweise würde er seinen Kaffee natürlich auch selbst bezahlen. Es ist im Endeffekt nur wichtig, dass sie gemeinsam diesen Laden wieder verlassen.
Zusammenfassend kann man sagen, dass sein Plan aus drei einfachen Schritten besteht (und ja, er hatte diesen Plan eventuell mit Hoseok entwickelt, der an solche Dinge immer etwas strategischer rangeht als Jungkook selbst):

ZwischentonOpowieści tętniące życiem. Odkryj je teraz