𝕂𝕒𝕡𝕚𝕥𝕖𝕝 𝟛 - 𝕃𝕪𝕣𝕒

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Verdammt, verdammt, verdammt, wie sehr ich diesen verdammten Tag doch verdammte. Ich rückte das edle Kleid mit zitternden Fingern zurecht. Es war blau. Fröhlich hellblau. Und das, obwohl heute wieder zwei Kinder oder Jugendliche zum Tode verurteilt werden würden.
Vielleicht meine Schwester.
Vielleicht ich.

Ich atmete einmal tief durch, straffte den Rücken, stählte meinen Blick. Als Tochter des Bürgermeisters würde ich nicht unbemerkt bleiben. Ich durfte keine Schwäche zeigen.
Dad betrat die Bühne, ich begab mich zu den anderen Fünfzehnjährigen. Noch waren Schritte, war ängstliches Raunen zu hören, aber das würde gleich Totenstille weichen. Der Ruhe vor dem Sturm.

»Hallo meine lieben Leute!« Das Mikrofon quietschte fast in der gleichen Tonlage wie Effies Stimme, als sie uns begrüßte. Ihr Akzent jagte mir einen Schauer über den Rücken. Ich hörte ihn nur einmal im Jahr. Am Tag der Ernte.
»Willkommen zu den 75. Hungerspielen und damit dem dritten Jubeljubiläum
Willkommen im Tod, freut euch. Verächtlich verziehe ich die Lippen.
»Wir haben uns wieder etwas Besonderes für euch ausgedacht.« Sie lacht viel zu schrill. »Ich übergebe an unseren lieben Bürgermeister. Hallo, Mr Undersee!«

»Herzlich willkommen. Ich, der Bürgermeister, freue mich, Ihnen die Besonderheiten unseres 3. Jubeljubiläums verkünden zu dürfen.«, las Dad emotionslos von dem Zettel in seiner Hand ab. Das Kapitol gab wie immer alles vor, auch die Rede des Bürgermeisters.
Mein Magen fühlte sich an, als würde er sich vor Spannung selbst verdauen, als mein Vater begann, die Überraschung vorzulesen.
»Dieses Jahr werden statt zwei Tributen vier Tribute in die Arena geschickt.« Er stockte in seiner eigentlich so flüssigen Rede, als er den nächsten Satz vorlas. »Um daran zu erinnern, dass die Rebellen im Krieg sogar ihre eigenen Familien hintergangen haben, müssen männliche sowie weibliche Tribute Geschwister sein.« Kurz herrschte Totenstille. Dann begann das Raunen wieder.  Vier Tribute in die Arena zu schicken war schon grausam genug, aber Geschwisterpaare? Die betroffenen Familien würden nicht nur ein Kind verlieren, sondern gleich zwei, und das ganze Land musste zusehen, wie Tribute um ihre getöteten Geschwister trauerten, manche würden sich auch füreinander opfern oder sich gar gegenseitig töten müssen.

Ich wurde aus meinen düsteren Gedanken gerissen, als ich Jasmins kupferfarbenen Haarschopf in der Sonne aufblitzen sah. Sie steuerte eindeutig auf mich zu. Das Letzte, was ich nach dieser Nachricht brauchen konnte, war ein Gespräch über Jasmins Angst und ihre Gefühle zu der Hiobsbotschaft, schon gar nicht , wenn sie dabei so schnell und viel redete, dass ich Kopfschmerzen bekam.

Ich war außerdem kein Mensch, der gerne über seine Gefühle sprach, schon gar nicht, wenn ich mich davor schon schlecht fühlte und das Gespräch dies ziemlich sicher noch verschlechtern würde.
Rasch tauchte ich in der Menge unter, was allerdings auch nicht viel besser war. Überall waren entsetzte, traurige Blicke zu sehen. Das Mädchen neben mir brach jetzt schon in Tränen aus und dummerweise spürte ich meine Augen ebenfalls verdächtig prickeln, aus frühem Mitleid und Angst.

Ich musste mich ablenken.

Weil mir nichts Besseres einfiel, begann ich, Formen in den Wolken zu suchen. Wie Madge und ich es früher immer gemacht hatten, als die Welt noch bunt und fröhlich und das Paradigma von Einhörnern nicht unrealistisch war.

Rechts oben war eine Katze. Weiter links eine Blume. »Ladies first«, hörte ich Effie sagen. War das dort eine Ziege? Ja, aber eine hässliche. Das hätte selbst ich mit dem künstlerischen Talent einer...naja, Ziege zeichnen können.
Effies Stimme drang dumpf an mein Ohr. Sie zog den ersten Namen, las ihn vor. Ich starrte angestrengt in den Himmel. Ich spürte die Blicke vieler Menschen auf mir, doch ich senkte meinen nicht, um das Mitleid in ihren Augen zu sehen. Kalte Angst durchströmte mich und mein Atem beschleunigte,während mein Herz zu rasen begann. »Lyra!« Jasmins Stimme riss mich aus meiner Starre. Ich drehte mich langsam zu ihr um. Natürlich hatte ich alles verstanden, alles mitbekommen , ich hatte es nur nicht wahrhaben wollen. Während ich Jasmin ausdruckslos anstarrte, hallten Effies Worte in meinen Ohren nach, als sie den Namen auf dem ersten Los ein weiteres Mal vorlas.
»Madge Undersee.«

Die Tribute von Panem-Der Gesang der NachtigallWhere stories live. Discover now