Wicked Little Town

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Es war vorbei. Das Böse der Stonewall Prep war besiegt und das Leben in Riverdale ging da weiter, wo es aufgehört hatte. Aber im Grunde ihres Herzens war und ist Riverdale eine böse kleine Stadt. Und so überraschte es niemanden, als eine dritte Runde düsterer Videobänder auf unseren Türschwellen abgelegt wurde. Niemand machte in dieser Nacht ein Auge zu. Alle warteten auf den Anbruch des neuen Tages. "Gut, du bist da.", sagte ich und betrat das FBI Büro, um mit Charles zu sprechen. Dieser drehte sich zu mir um und blickte mich überrascht an. "Sierra. Womit kann ich helfen?"
Aus meiner Tasche zog ich das Videoband heraus, das ich letzte Nacht vor meiner Haustür fand und legte es auf den Tisch.
"Das hier macht mich wahnsinnig. Ich konnte die ganze Nacht nicht schlafen, weil ich Angst hatte beobachtet zu werden. Ich werde paranoid, genau wie der Rest der Stadt. Das muss aufhören.", meinte ich frustriert und legte meine Tasche ab. Charles blickte zu der Kassette und dann zu mir, um mich prüfend zu mustern.
"Geht es dir gut?"
"Ob es mir gut -" Ich wollte gerade mit einer sarkastischen Antwort kommen, doch als ich Charles Gesicht sah, bemerkte ich, dass er sich tatsächlich Sorgen machte, weshalb ich den Mund wieder schloss und kurz durchatmete. "Mir geht es gut. Aber diese Voyeur muss endlich gestoppt werden. Ich dachte, ich schau mir die Videobänder mal an."
"Aber gern. Ich könnte etwas Hilfe bei der Durchsicht brauchen.", entgegnete Charles. "Der Voyeur legt noch 'ne Schippe drauf. Er oder sie filmt immer mehr Häuser. Ich möchte nicht wissen, was passiert, wenn er den Weg in ein Haus findet."
"Ich auch nicht.", murmelte ich und blickte in die Kiste mit den Kassetten.
"Oh und könntest du meinen kleinen Nebenjob vor meiner Mutter geheim halten?", fragte ich noch und sah ihn flehend an.
"Was hälst du davon? Ich sprech es nicht an, wenn sie nicht direkt danach fragt."
"Danke." Seufzend griff ich nach der Kiste, um sie hochzuhieven.
"Aber nur unter einer Bedingung." Charles kam auf mich zu und griff selbst nach der Kiste. "Du schaust sie dir nicht allein an." Gerade wollte ich Protest erheben, doch als er mich mit seinen blauen Augen ansah, erschauderte ich und verstummte augenblicklich. "Ich meine..." Charles räusperte sich kurz. "Nicht, dass du wieder eine Panikattacke bekommst."
"Keine Sorge.", begann ich lächelnd. "Irgendwie scheint es mir in letzter Zeit besser zu gehen."
"Wirklich?", fragte er mich. "Woran liegt das?"
Charles hörte nicht auf mir in die Augen zu schauen. Mein Herz begann wie wild zu schlagen. Sein Gesicht war meinem so nahe, dass ich beinahe vergaß zu atmen. Doch als die Tür aufging, zuckte ich zusammen und wir fuhren augenblicklich auseinander. "Sag einfach bescheid, wenn du Zeit hast die Bänder anzusehen.", sagte Charles und steckte seine Hände in die Taschen seiner Stoffhose. Schnell nickte ich und verzog mich aus dem Büro.

~

Archie betrat den Aufenthaltsraum mit Kaffee für jeden seiner Freunde. "Oh, er kommt mit Geschenken.", begann Veronica lächelnd und setzte sich auf. Freudig nahm ich einen der Becher entgegen. "Ja, und mit ein paar Neuigkeiten. Ich weiß, es ist etwas kurzfristig, aber ich hab uns für die Talentshow angemeldet. Zum Performen als Band.", verkündete Archie lächelnd. Beinahe verschluckte ich mich an meinem Kaffee, als er das sagte.
"Also, natürlich bin ich dabei.", kam es von Veronica, was ich mit einem Augenrollen kommentierte. Das überraschte mich gar nicht.
"Ihr wisst, ich unterstütze euch und euren Rock 'n' Roll, aber ich muss diese Essays fertig kriegen, sonst sperrt meine Freundin mich für 'ne Weile weg.", warf Jughead entschuldigend ein.
"Ja, richtig. Jughead hat eine Menge Arbeit vor sich. Aber ich denke, du kannst dir etwas Zeit freischaufeln dafür.", entgegnete Betty ihm und lächelte ihn dann sanft an. "Das ist unser Abschlussjahr. Und wir haben versprochen, es voll auszukosten."
"Da ist was dran.", murmelte ich nachdenklich. "Hat die Band schon einen Namen?"
"Also naja, sie heißt die Archies."
Die anderen und ich prusteten los.
"Was? War Ich Mir Meiner Mich schon vergeben?", zog Jughead seinen besten Freund auf.
"Ändern wir den Namen.", meinte Archie und machte eine Handbewegung.
"Nein.", widersprach Veronica. "Die Archies. Find ich gut."
Das konnte nicht ihr ernst sein.
"Was geht ab, Riverdale? Wollt ihr mich zu Fall bringen?", ertönte eine Stimme über die Lautsprecher. Eigenartig, sie kam mir ziemlich bekannt vor.
"Warte, das ist doch nicht...", begann ich, doch es konnte nur Kevin sein.
"Tut mir leid, ich bin eure neue Berliner Mauer, Baby. Und jetzt schwingt eure Ärsche zum Musikraum!"
Als auch noch Musik ertönte, war ich einfach zu neugierig. Sofort sprang ich vom Sofa auf und begab mich Richtung Musikraum, wo Kevin als Drag Queen einen Song aus dem Musical Wicked performte. Entsetzt öffnete ich den Mund. "Du meine Güte..." Archie neben mir klatschte begeistert in die Hände.
"Von Ostberlin bis Junction City. Hallo, Mr Honey. Hallo, Riverdale. Wollen Sie mich zu Fall bringen?", sprach Kevin ins Mikrofon, während Mr Honey eher so aussah, als würde ihm jeden Moment der Kragen platzen.
"Das war's, Mr Keller! Sie sind raus aus der Talentshow!", rief Mr Honey aufgebracht und lief los, um den Stecker zu ziehen, während die Menge fröhlich applaudierte.

~

Kevin saß bedrückt auf der Fensterbank in meinem Zimmer, während ich auf meinem Bett saß und die Pizzakarte studiert. Mein Hunger war so unfassbar groß. "Keine Pyjamaparty ohne fettige Pizza. Richtig, Kev?", fragte ich lachend. Kevin nahm seinen Blick vom Fenster und nickte langsam. Sein merkwürdiges Verhalten war mir schon seit seinem Auftritt aufgefallen, doch ich konnte mir nicht erklären, was ihn so unfassbar traurig machte. "Kevin...", begann ich und ließ die Pizzakarte langsam sinken.
"Entschuldige, es ist nur, die Arbeit an der Talentshow hat mir das Gefühl gegeben wieder ein bisschen der alte Kevin vor der Farmzeit zu sein. Mr Honey hat mir das genommen und mir das Gefühl gegeben, ich wäre nichts wert. Als wäre ich unwichtig.", beichtete er mir.
Mitfühlend stand ich auf und setzte mich zu ihm.
"Weißt du, wodurch ich mich immer besser fühle?", fragte ich ihn. "Ich schau mir einen meiner Lieblingsfilme an und esse bis mir der Bauch platzt."
Kevin lachte leicht auf. "Ich glaube nicht, dass mir das helfen wird."
"Du bist mehr wert als Mr Honey sagt. Du bist ein großartiger Mensch, Kevin. Scheiß auf Mr Honey und seine Prinzipien."
Kevin nickte langsam. "Ja, du hast ja recht."
"Du Kevin?" Nachdenklich runzelte ich die Stirn.
"Ja?"
"Was wenn wir alle bei der Talentshow Songs aus Hedwig singen? Als Zeichen der Solidarität.", schlug ich vor. Kevin sah mich lächelnd an. Die anderen dazu zu überreden war sicher nicht so schwer.

~

Am nächsten Morgen standen wir verkleidet im Schulflur, um Mr Honey zu zeigen, dass wir nicht seine Marionetten waren, mit denen er spielen konnte, wie er wollte. Natürlich war er alles andere als begeistert, als er sah, dass wir genau dieselben Kostüme trugen, wie Kevin es getragen hatte, bevor er ihn aus der Talentshow geworfen hatte. "Betrachten Sie das als friedlichen Protest, Mr Honey.", sprach Kevin selbstbewusst. Seine Hände waren in seine Hüfte gestemmt.
"Aber ich setze diese Babys als Waffen ein, wenn es sein muss.", gab Reggie mit seinen Muskeln an. Mr Honey blickte prüfend um sich herum. Sämtliche Schüler hatten sich versammelt, um uns beizustehen.
"Wie es aussieht scheinen Sie alle brennen für Ihre Gefühle. Aber Hitzköpfigkeit führt zu Unberechenbarkeit, zu Wut und Gewalt. Tja, ich fürchte, es ist wohl das Gescheiteste im Moment, die Talentshow zu streichen."
Ein Wirwarr aus Gemurmel machte sich im Schulflur breit. Mr Honey ging, ohne eine Miene zu verziehen. Der Versuch ging wohl nach hinten los.

~

Cheryl organisierte die Talentshow im Bonne Nuit, damit diese trotz Mr Honeys Verbot stattfinden konnte. Der Auftritt unserer Band war ein voller Erfolg gewesen. Der Song aus dem Musical Hedwig hatte eingeschlagen wie eine Bombe. Noch am selben Abend traf ich mich mit Charles, um die Videobänder endlich unter die Lupe zu nehmen. Mit einer Schüssel Popcorn setzte ich mich neben ihn im Schneidersitz hin. "Ich wusste übrigens nicht, dass du so gut singen kannst.", brach Charles die Stille und schmunzelte.
"Ach das war eine einmalige Sache. Das hab ich nur wegen Archie gemacht. Es war ihm wichtig, dass wir alle gemeinsam noch etwas tun, bevor das Schuljahr endet.", erklärte ich und starrte auf den Fernseher, der immer noch dasselbe Haus zeigte.
"Trotzdem. Du überraschst mich immer wieder, Sierra."
Ein Lächeln umspielte meine Lippen. Auch Charles lächelte und griff in die Schüssel, um sich ebenfalls Popcorn zu nehmen. "Unfassbar, dass du bei der Talentshow einer Highschool warst.", sprach ich glucksend.
"Naja, wenn es was gutes anzusehen gibt.", entgegnete Charles und wandte den Blick kurz vom Fernseher ab, um mich anzusehen. Das Videoband endete, was mich aufseufzen ließ.
"Zeit für das nächste.", sagte ich, gab Charles das Popcorn und stand auf, um die nächste Kassette einzulegen. Meine Finger drückten auf Play, bevor ich mich wieder auf meinen Platz setzte. Geschockt starrte ich auf das Gerät. Das konnte nicht sein. Charles beugte sich langsam vor. Vermutlich konnte er seinen Augen auch nicht trauen. "Ist das...", begann Charles, doch alles was ich tun konnte war nicken. Es zeigte jemanden, der aussah wie Betty, die mit einem Stein auf eine Person schlug, die offensichtlich Jughead darstellen sollte. Als die Figur immer wieder auf den Jungen einschlug, zuckte ich zusammen. Die gruseligen Masken machten das ganze noch viel verstörender als es eh schon war. Wenn man sich zu sehr in Hausaufgaben vertieft, tritt ein Problem auf. Die Gedanken schweifen ab und das Böse schleicht sich wieder ein. War der Voyeur mitten unter uns in der Menge und spielte auf Zeit? Drehte er die Temperatur auf? Immer schön langsam, sodass wir wie Frösche langsam gekocht wurden bis wir merkten, dass es zu spät war.

RiverdaleWhere stories live. Discover now