2. Kapitel

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Den ganzen Weg über hatte ich ein merkwürdiges Gefühl, so als würde mich jemand beobachten. Was natürlich völliger Unsinn war. Trotzdem war ich mehr als froh, endlich das Schild des kleinen Lebensmittelladens zu sehen. Ich beschleunigte meine Schritte nochmal und sah mich ein letztes mal paranoid um, bevor ich den Laden betrat. Ein verspieltes Glöckchen kündigte meinen Eintritt an und kaum eine Sekunde später hörte ich eine sanfte weibliche, schon älter klingende Stimme rufen. ,,Ich komme schon!''
Aus einer unauffälligen Tür hinter der Ladentheke trat eine alte, etwas fülligere Dame, die wohl die Inhaberin dieses Geschäfts war. Ihr runzliges Gesicht trug gütige Züge und die Lachfältchen um ihre unheimlichen Augen machten eigentlich einen freundlichen Eindruck. Nur ihre Augen jagten mir einen Schauer über den Rücken. Sie waren von einem so hellen Blau, dass sie fast weiß wirkten und schienen einem direkt in die Seele blicken zu können. Es war gruselig.
Als ich merkte, dass ich sie ziemlich dreist anstarrte, riss ich mich zusammen und zwang mir ein winziges Lächeln auf die Lippen. ,,Guten Tag'', murmelte ich, strich mir eine feuchte Strähne aus dem Gesicht und wandte mich schnell ab, wobei ich hinter einem Regal Schutz suchte.
Die Alte war irgendwie unheimlich, vor allem ihre Augen und dann auch noch wie sie bei meinem Anblick wie erstarrt gewesen war.
Ich schüttelte kurz den Kopf über meine Gedanken und Verhalten. Vielleicht lag es an dieser neuen Stadt, dass ich langsam paranoid wurde. Wahrscheinlich bildete ich mir hier irgendetwas ein. Ich sollte einfach schnell die Dinge auf der Liste besorgen und dann nichts wie weg zurück nach Hause.
Gerade griff ich nach der Milch, als die Türglocke ertönte und einen weiteren Kunden ankündigte. Und auch wenn es lächerlich klang, aber ich wagte es nicht, um die Ecke zu schauen, aus Angst dem gruseligen Blick der alten Dame zu begegnen. Also ignorierte ich meine unbefriedigte Neugierde und legte die Milch zu den anderen Waren in den Korb.
Plötzlich spürte ich wie aus dem Nichts einen heißen Atem gegen meinen Nacken prallen. Meine Härchen stellten sich auf und ein prickelnder Schauer durchlief meinen Körper. Ich fror mitten in meiner Bewegung ein, selbst mein Atem stockte.
Starke Arme schlossen sich von hinten um mich und zogen mich an eine männliche Brust, die selbst durch den Stoff der Klamotten spürbar steinhart war. Eine große Hand legte sich über meine Augen und tauchte mein Sichtfeld in Schwärze, während mein Kopf genauso wie der Rest meines Körpers fest an den Mann hinter mir gedrückt wurde.
Ich öffnete den Mund, um zu schreien, doch kein Laut entwich mir. Ich konnte nur hilflos nach Luft schnappen.
Meine Arme waren durch den Griff des Unbekannten nutzlos an den Seiten meines Körpers fixiert, sodass ich mich nicht wehren konnte. Sehen konnte ich auch nichts. Nur spüren konnte ich, die harten Muskeln in meinem Rücken und die Wärme, die mich umgab und von den Stellen ausgehend, an denen er mich berührte, meinen ganzen Körper füllte.
Als ich den ersten Schock überwunden hatte, fing ich an zu zappeln, auch wenn mir durchaus die Aussichtslosigkeit dieses Unterfangens bewusst war. Auch ohne ihn sehen zu können, wusste ich, dass er sehr viel stärker war als ich.
Ich würde nur von ihm loskommen, wenn er es zuließ, dass wurde mir direkt in der ersten Sekunde klar. Und im Moment wirke der unbekannte Fremde alles andere als gewillt dazu. Warum auch immer. Aber versuchen konnte ich es ja. ,,Was soll das?! Lass mich los!'', keifte ich ein wenig überfordert, als ich endlich meine Stimme wiederfand.
Ich spürte, wie er seinen Griff um mich nochmal verstärkte. Ein leises Keuchen entwich mir.
Der heiße Atem nährte sich noch weiter meinem Hals, den der Fremde zuvor leicht zur Seite gebogen hatte. Er schien an mir zu riechen, was mich ehrlich gesagt, ziemlich verstörte. Was war eigentlich bei dem falsch?
Trotzdem reagierte mein Körper mit einer Gänsehaut darauf und ein weiterer Schauer durchfuhr mich.
Als ich auf einmal auch noch etwas feuchtes über meinen Hals lecken spürte und ein knurriges Brummen dicht an meinem Ohr vernahm, reichte es mir jedoch langsam wirklich. ,,Geht's noch?!Was machen Sie da? Lassen sie mich auf der Stelle los oder....- oder ich zeige Sie wegen sexueller Belästigung an!'', schrie ich nun ernsthaft aufgebracht und fragte mich im selben Moment, wo eigentlich die alte Ladenbesitzerin abgeblieben war und warum sie mir nicht zu Hilfe kam. Ich meine, ich war ja wirklich laut genug. Die alte Dame wurde mir immer unsympathischer. Von Zivilcourage hatte sie wohl noch nie etwas gehört.
Ein Beben ging durch die Brust des Mannes hinter mir, als ihm eine Mischung aus Knurren und dunklem Lachen entwich. Und überraschenderweise störte mich die Tatsache, dass er mich daraufhin in seinen Armen noch enger einschloss und seine Nase in meinen Haaren vergrub, viel weniger, als die, dass er gerade ernsthaft geknurrt hatte. Das ging doch gar nicht, oder? Ich hatte noch nie einen Menschen knurren gehört. Aber irgendetwas schien bei diesem Typen ja eh von Grundauf schief gelaufen zu sein. Es war doch nicht normal, einfach Wildfremde zu umarmen und an sich zu pressen, und dabei nicht zu vergessen, ihnen auch noch die Augen zuzuhalten und dann abzuschlecken. In Louisville war das jedenfalls nicht üblich. Aber vielleicht waren die Sitten hier ja ganz anders? Ich war schließlich noch nie zuvor in Alaska gewesen, vielleicht war das ja so ein schräges Begrüßungsritual oder so. Auch wenn es mir doch sehr merkwürdig erschien. Aber was wusste ich schon von den Bräuchen hier im Ort? Das einzige, was ich bisher in Erfahrung gebracht hatte, war, dass das Wetter hier auch im Sommer eiskalt und ungemütlich sein konnte. Und das diese Stadt eine besondere Aura zu umgeben schien. Das war's aber eigentlich auch schon.
Ein letztes Mal atmete der unbekannte Mann tief ein, dann war er plötzlich weg. Und wenn ich plötzlich sagte, dann meinte ich auch plötzlich. Er war einfach weg. Von einer Sekunde auf die andere verschwand die Wärme, die mich umgab und ich konnte wieder sehen. Nur das klingelnde Ladenglöckchen verriet, dass er wirklich gerade noch hier gewesen und wo er hin verschwunden war. Ohne etwas zu kaufen, wie mir auffiel, als ich mich weit genug gesammelt hatte, um wieder richtig klar denken zu können. Über alle Maße verwirrt stand ich wie erstarrt einfach nur da und sah zur Tür, als würde er jede Sekunde dort wieder auftauchen. Was war das denn bitte gewesen? Und wie hatte er so schnell und vor allem - abgesehen vom Türglöckchen natürlich - lautlos hinter mir auftauchen und wieder verschwinden können?
Erst jetzt fiel mir auf, dass mit ihm auch dieses neue, fremdartige Gefühl von innerer Ruhe und Zufriedenheit wieder aufgetaucht und verschwunden war. Nur dass dieses Gefühl diesmal nicht so stark war, dass es mich fluten würde, sondern sich eher wie ein sanfter Hauch über mich gelegt hatte.
Es war...schräg. Diese ganze Begegnung war einfach nur schräg gewesen. Vielleicht hatte sich da auch einfach gerade nur jemand einen Spaß erlaubt. Ja, ganz bestimmt. Das musste es sein.
Kopfschüttelnd versuchte ich meine innere Unruhe abzuschütteln und erledigte den Rest des Einkaufs.
Na toll. Jetzt musste ich dieser unheimlichen Frau wieder gegenüberstehen, fiel mir ein, und ich blieb kurz stehen. Schau ihr einfach nicht in die Augen, sagte ich mir in Gedanken und atmete tief durch.
Stell dich nicht so an, Jallyne. Du schaffst das.
Gelassenheit vorspielend trat ich hinter dem Regal hervor und ging zur Ladentheke. Ich stellte meinen Korb darauf ab und machte den Fehler hochzusehen, als die alte Dame keine Anstalten machte, meinen Einkauf entgegen zu nehmen und zu scannen. Ihr stechender Blick schien sich mir augenblicklich in die Seele zu brennen. Ich konnte meine Augen nicht mehr abwenden, egal wie sehr ich es versuchte. Sie schienen mich gefangen zunehmen und ich spürte die Panik langsam, aber sicher in mir aufkeimen. Ihr Gesicht war zu einer ausdruckslosen Maske geworden, doch in ihren Augen lag ein unheimlicher Glanz. Dann plötzlich verzerrten ihre Züge sich zu blankem Entsetzen und Grauen. Ihre Hand schoss so schnell vor, dass ich nicht reagieren konnte, als sich ihre Fingernägel in meinen Arm krallten und mich näher an die Ladentheke zogen, die das einzige Hindernis zwischen uns beiden darstellte.
,,Du!'', zischte sie. ,,Du bist es!''
Ängstlich sah ich sie an und lehnte mich so weit es ging von ihr weg, während ich versuchte meinen Arm aus ihrem erstaunlich harten Griff zu befreien. Diese alte Frau war verdammt nochmal sehr viel stärker als sie aussah, wie ich gerade am eigenen Leib feststellen durfte.
,,Du!'', schrie sie plötzlich wie von Sinnen und langsam bekam ich wirklich Panik. Was war denn jetzt los? Was hatte sie? Oder besser - was war mit mir?
,,Ich?'', fragte ich zögerlich und bemerkte dabei das Zittern in meiner Stimme. Dafür schämte ich mich auch absolut nicht, denn diese alte Dame jagte mir gerade echt verdammte Angst ein.
,,Du bist es!'', wiederholte sie wieder grell.
,,Was bin ich?'', hakte ich nun doch eine Spur gereizt nach, was mir durchaus gelegen kam, denn so rückte meine Panik in den Hintergrund, während ich es endlich schaffte ihre Finger von meinem Arm zu entfernen. Das brachte im Endeffekt aber auch nichts, denn sofort krallten sich diesmal beide Hände in meine Arme. Was, verdammt, war ihr Problem?
Eindringlich starrte sie mich mit geweiteten Pupillen an, ihre Iris fast komplett weiß, sodass das Schwarz nur noch mehr hervortrat. ,,Nimm dich in Acht, Kind. Er war hier. Er hat dich gefunden.'', murmelte sie wie paralysiert, Panik und Wahnsinn stand in ihren Augen, während sie immer drängender und hektischer wurde. ,,Vielleicht ist es noch nicht zu spät. Vielleicht kannst du dich noch retten.''
,,Los!'', schrie sie plötzlich wieder und ihr Griff wurde noch eine Spur härter. ,,Verschwinde von hier! Du bist hier nicht erwünscht!'' Dann ließ sie mich plötzlich los als hätte sie sich verbrannt oder als hätte ich irgendeine hochansteckende Krankheit. Erneut veränderte sich ihr Blick. Der Wahnsinn blieb, doch statt Panik lag nun eine solche Abscheu und ein derartiger Hass in ihren Augen, wie ich ihn noch nie zuvor gesehen hatte. Und warum auch immer schien er tatsächlich mir zu gelten. Ich verstand nicht, was plötzlich in diese, im ersten Moment so nett wirkende, alte Dame gefahren war und warum sie mich mit diesem Ausdruck betrachtete. Weder kannten wir uns, noch hatte ich ihr irgendetwas getan - jedenfalls nicht, das ich wüsste.
Ihrer Aufforderung kam ich jedoch mit Vergnügen nach. So schnell wie noch nie zuvor rannte ich einfach raus und die Straße entlang, bis ich den kleinen Laden nicht mehr sehen konnte und noch weiter, bis zum Waldrand. Da blieb ich unter einem mächtigen Baum stehen, der mir Schutz vor dem immer noch nieselnden Regen bot. Mit den Händen auf die Knie gestürzt lehnte ich mich gegen den Baumstamm und versuchte meinen abgehakten, viel zu hektischen Atem zu beruhigen. Den Korb hatte ich vollkommen vergessen, aber ich würde ihn ganz sicher nicht mehr holen gehen.
In meinen Gedanken herrschte Chaos. Ich brauchte ein paar Sekunden, um es zu ordnen und die Situation von gerade zu realisieren. Das alles, was dort gerade drinnen passiert war, ergab für mich keinen Sinn.
Aber eins stand auf jeden Fall fest: Diesen Psycholaden würde ich definitiv nie wieder betreten. Eher würde ich den Teufel tun.

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