Der typische Geruch von Büchern schlug mir entgegen, als ich die alte Stadtbibliothek betrat und beruhigte mich sofort.
Ein heimisches Gefühl überkam mich. Schon in Louisville hatte ich die Atmosphäre in Bibliotheken gemocht.
Ich sah mich um. Ein paar andere Leute waren hier und stöberten schon durch die Regale. Hinter dem Tresen saß ein alter Herr und unterhielt sich gerade angeregt mit einer Dame in seinem Alter, die zwei Wälzer in der Hand hielt und offensichtlich ausleihen wollte.
Ich lächelte leicht und ging weiter nach hinten in den Laden. Meine Finger strichen über Regale und Buchrücken, immer wieder nahm ich eins heraus, betrachtete das Cover oder las die Rückseite.
Je weiter ich nach hinten ging, desto leerer wurde es. Auch das Licht schien ein wenig schwächer. Die Bücher wurden auch immer älter.
Gerade als ich beschloss wieder nach vorne zu gehen, entdeckte ich eine schmale Holztreppe in der Ecke, die nach unten führte. Neugierig ging ich auf sie zu und legte meine Hand auf das Geländer. Ich sah mich einmal um, bevor ich vorsichtig nach unten stieg. Die Bretter knarrten leise unter meinen Schuhen, doch davon ließ ich mich nicht abschrecken.
Unten tat sich ein dämmriger Gang vor mir auf. Zögerlich schritt ich ihn entlang. War das hier überhaupt noch für Besucher zugänglich?
Der Gang endete vor einer dicken, alten Holztür mit altertümlichen Schnitzereien. Meine Hand legte sich unsicher an den goldenen Knauf, langsam drehte ich ihn um. Mit einem Knarzen ging die Tür einen Spaltbreit auf. Vorsichtig drückte ich sie ganz auf. Ein kleiner, fensterloser Raum, dessen Wände ebenfalls mit deckenhohen Bücherregalen vollgestellt waren.
Das Licht war hier drinnen ebenfalls dämmrig, aber gut genug, um noch lesen zu können.
Langsam trat ich ein, meine Schritte wurden von dem roten Teppich gedämpft. Die Luft war abgestanden und modrig.
Hinter mir schlug die Tür zu. Erschrocken fuhr ich herum und griff nach dem Türknauf, doch der ließ sich nicht mehr drehen. Ich war eingesperrt.
,,Hallo? Ist da wer?'', rief ich panisch und hämmerte gegen die Tür. ,,Ich bin hier drinnen!''
Doch auf der anderen Seite der Tür war es mucksmäuschenstill. Ich schloss die Augen und versuchte meinen hektischen Atem zu beruhigen.
Alles ist gut, keine Panik, sagte ich mir wie ein Mantra in meinem Kopf. Du kommst hier schon irgendwie wieder raus.
Ich drehte mich wieder um und ließ meinen Blick über die Regale schweifen. Ich konnte gerade eh nichts machen, um hier wieder rauszukommen, also konnte ich genauso gut ein bisschen durch die Bücher schmökern, bis jemand kam und mich hier rausholte. Und das würde es. Immer schön optimistisch bleiben, Pessimismus bringt dich auch nicht weiter, sagte ich mir.
Die Bücher in diesem Raum mussten uralt sein, stellte ich fest. Die Einbände blätterten teilweise schon ab. Viele waren abgegriffen, andere sahen nahezu unberührt aus, so als hätte jemand sie geschont.
Ich zog vorsichtig ein Buch aus dem Regal. Doch die Sprache in der es verfasst war, konnte ich nicht lesen. Das musste Latein sein, fiel mir auf, als ich einen der Begriffe wieder erkannte. Aber das Cover sah aus wie das eines Tagebuchs.
Ich stellte es gerade zurück ins Regal, als plötzlich ein dumpfer Aufschlag ertönte und mich zusammenschrecken ließ.
Ein paar Meter neben mir war ein Buch aus dem Regal gefallen. Ich legte eine Hand auf mein Herz und atmete tief aus. Mein Herz hämmerte unter meiner Hand in meiner Brust. Gott, hatte ich mich erschrocken.
Mit gerunzelter Stirn sah ich mich erneut um. Wie konnte das sein? Hier drinnen gab es keine Fenster oder irgendetwas, was Wind oder derartiges verursachen könnte, dass ein dickes Buch einfach so aus dem Regal fiel. Und es war nur dieses eine.
Vorsichtig hob ich es auf und hustete durch die Staubwolke, die es aufgewirbelt hatte. Hier hatte wohl lange Zeit niemand mehr sauber gemacht.
Ich strich über den Einband und wischte die letzte feine Staubschicht weg. Alaska Legends stand in großen Buchstaben auf der Vorderseite. Darunter ein düsteres Bild, was mir mir einen Schauer über den Rücken jagte. Zwei glühende Augen in einer verschwommenen Schattenkreatur.
Bedächtig drehte ich es um.
Fürchtest du dich?
Das war das einzige, was auf der Rückseite stand. Ich runzelte die Stirn und schlug das Buch auf.
Die Seiten fühlten sich rau zwischen meinen Fingern an, einige Stellen waren eingerissen, bei anderen war die Schrift verblasst. Ich blätterte vorsichtig ein paar Seiten durch.
Seltsamerweise waren die Überschriften und Bildunterschriften auf Latein, während der Text auf Englisch war.
Die Bilder waren erschreckend. Beim Überfliegen der Texte schnappte ich ein paar Begriffe auf. Mond. Wolf. Bestie. Blut. Dunkelheit.
Ich zog angestrengt noch weiter die Augenbrauen zusammen. Für mich hörte sich das ganze eher nach Horrorgeschichten und Schauermärchen an als nach richtigen Legenden.
Ein leises Quietschen hinter mir ließ mich zusammenzucken und herumfahren.
Die Tür stand sperrangelweit offen. Doch der Gang dahinter war leer. Misstrauisch sah ich mich um. Ich war nicht alleine, ging es mir auf. Anders konnte ich mir die erst abgeschlossene und dann plötzlich offene Tür nicht erklären, nicht zu vergessen, das Buch, dass einfach so herunterfiel, als hätte es jemand aus dem Regal gezogen.
Das war gruselig. Ich wollte hier weg. Ich würde jetzt auch ganz sicher nicht fragen, ob hier jemand wäre. Das würde das Horrorfilm-feeling noch realer machen.
Die Tür war offen, also konnte ich doch jetzt einfach gehen, oder? Ich sah mich noch ein letztes Mal wachsam um und rannte dann einfach los. Ich rannte als wäre der Teufel hinter mir her und hielt erst an als ich die Treppe weit hinter mir gelassen und wieder im vorderen Bereich der Bibliothek war.
Durchatmend stützte ich mich auf meinen Knien ab und lehnte mich an das Regal hinter mir. Eine Frau, die gerade zwei Wälzer in der Hand hielt und anscheinend gerade dabei war, sich für einen zu entscheiden, warf mir über den Rand ihrer Lesebrille hinweg einen schrägen Blick zu und wandte sich dann kopfschüttelnd ab.
Ich schloss kurz die Augen und versuche mein rasendes Herz zu beruhigen. Gott, war das gruselig gewesen.
Den hinteren Teil dieser Bibliothek würde ich ab jetzt definitiv großzügig meiden.
Ich stieß mich vom Regal ab und ging zur Ausleihe, wo immer noch der alte Herr saß. Die alte Dame war aber weg.
,,Guten Tag'', begrüßte ich ihn und stützte mich ein wenig auf den Tresen. Er hob eine Augenbraue. ,,Alles gut bei Ihnen, Miss? Sie klingen ein wenig außer Atem.''
,,Ja'', keuchte ich. ,,Ja.''
Sein Blick fiel auf etwas in meiner Hand. Ein wissender Ausdruck legte sich in seine Augen. ,,Ah, ich verstehe."
,,Was?'' Ich folgte seinem Blick und merkte erst jetzt, dass ich das unheimliche Buch immer noch in meiner Hand hielt. ,,Oh..was?'' Ich sah wieder auf. ,,Ach ja? Was verstehen Sie denn?''
Er lächelte geheimnisvoll. ,,Sie möchten dieses Buch ausleihen?''
Unsicher musterte ich das Buch genauer und zuckte schließlich mit den Schultern. ,,Ich steh zwar eigentlich nicht so auf Gruselgeschichten, aber was soll's.''
Der Bibliothekar nahm das Buch entgegen. ,,Wissen Sie, an allen Legenden ist etwas wahres dran. An manchen mehr als an anderen.''
,,Hm'', machte ich nur. ,,Wenn Sie meinen.''
,,Sie sind nicht in unserem Computer eingetragen. Füllen Sie dieses Anmeldeformular dann doch bitte aus, damit wir Sie in unsere Kartei aufnehmen können.''
Während ich Formular und Kugelschreiber entgegen nahm, fiel mir der eigentliche Grund ein, warum ich hergekommen bin. ,,Haben Sie hier auch Geschichtsbücher über Valdez?'', erkundigte ich mich.
Er nickte freundlich. ,,Natürlich.''
,,Könnten Sie -‚''
,,Ich bin gleich wieder da.'' Lächelnd nickend verschwand er hinter einer Regalreihe.
Natürlich gab es das Internet, aber ich vertraute schon immer lieber auf Bücher. Ins Netz konnte schließlich jeder alles schreiben. Außerdem liebte ich es durch Bücher zu blättern. Ich mochte das Gefühl der Seiten zwischen meinen Fingern.
Ein paar Minuten später verließ ich die Stadtbibliothek und schlenderte durch die Straßen zurück nach Hause.***
Ich hatte gerade den Müll rausgebracht, als ich Magret entdeckte und die missliche Lage, in der sie sich befand. Hilfsbereit eilte ich auf sie zu und bückte mich, um die heruntergefallenen Tüten aufzuheben und ein paar auf die Straße gekullerten Äpfel aufzuheben.
,,Ach, Jallyne, wie nett. Du rettest mich gerade.'', lachte die alte Dame herzlich. ,,Mit meinem Rücken hätte ich das nicht geschafft.''
,,Kein Problem'', erwiderte ich freundlich und stand mit den Tüten auf. ,,Ich helfe Ihnen schnell, sie ins Haus zu bringen.''
,,Das wäre wirklich zu freundlich. Wenn es dir keine Umstände macht''
Ich lief neben Magret her. ,,Nein, nein. Das macht mir nichts aus.''
Sie schloss die Haustür auf und führte mich durch einen hübsch dekorierten Flur in eine kleine Küche. Ich legte die Tüten ab.
,,Lass mich dich zum Dank doch noch auf ein Stück Kuchen einladen.'', bat Magret. ,,Ich habe frischen Apfelkuchen im Angebot, selbst gemacht. Meine Enkelkinder vergöttern ihn.''
Unsicher sah ich sie an, konnte der süßen Versuchung aber nicht widerstehen. ,,Na wenn das so ist, nehme ich gerne ein Stück."
Ich setzte mich an den Küchentisch und hatte kurz darauf ein himmlisch duftendes Stück Apfelkuchen auf meinem Teller. Erwartungsvoll probierte ich und konnte mir ein Aufseufzen nicht verkneifen. Verdammt, war der gut. Genießerisch schloss ich die Augen und behielt die Gabel ein wenig länger als üblich im Mund.
,,Ich sehe, er schmeckt dir.'', hörte ich Magret belustigt, aber zufrieden sagen. Peinlich berührt öffnete ich schnell wieder die Augen und zog die Gabel aus dem Mund. ,,Er ist wirklich himmlisch.''
,,Das freut mich.'' Grinsend wandte Magret sich ab und begann die Einkäufe einzuräumen. Ich nahm gleich noch eine Gabel und hielt mich diesmal aber mit meiner Reaktion auf die köstliche Geschmacksexplosion auf meiner Zunge zurück.
,,Sag mal, Jallyne, gibt es da einen Jungen in deinem Leben?'', fragte Magret plötzlich aus heiterem Himmel und ich verschluckte mich prompt.
,,Oh, entschuldige, ich wollte dich nicht in Verlegenheit bringen.''
Ich wank ein wenig fahrig ab, immer noch am husten. ,,Nein, nein, ist schon gut.''
Ich war wirklich dankbar, als es in diesem Moment klingelte.
,,Ah, das müssen meine Enkel sein.'', verkündete Magret erfreut, doch mir entging das verschmitzte, regelrecht heimtückische Funkeln in ihren Augen nicht. Sie eilte zur Tür und riss sie auf.
Als ich sah, wer in der Tür stand, verschluckte ich mich erneut.
Nur wusste ich nicht genau, ob es diesmal an Katy lag oder an diesem unglaublich schönem jungen Mann, der neben ihr stand und mir direkt in die Augen sah. Eins grün, eins blau.
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Alaska Legends - Alpha Levan
Teen FictionIn der malerischen Kleinstadt Valdez soll Jallyne eigentlich ein ruhiger Neuanfang erwarten, fernab von den Problemen, die sie in ihrer Heimatstadt Louisville zurückgelassen hat. Doch schon an ihrem ersten Tag wird klar, dass Jallyne's neues Leben...