»2«

326 48 10
                                    

- 29. AUGUST 1990 -

[Jungkook]

-

Ich wurde durch einen plötzlichen, sehr lauten Knall geweckt, der den Boden erschütterte und mich an das Beben erinnerte, wie gestern schon im Café, in dem ich meinen besten Freund und Bruder Jimin verloren hatte, mit dem ich die letzten Jahre meines Lebens verbracht hatte, wofür ich mir die Schuld gab, ich war mir sicher es war meine Schuld, aber der fremde Mann, auf dessen Schoß ich meinen Kopf im Schlaf wohl gelegt hatte, meinte, dass es nicht meine Schuld war, dass ich nichts dafür konnte, dass Jimin gestorben war und es die Männer aus Nordkorea waren, die hier einwanderten und schossen.

„Du bist wach", hörte ich ihn mit seiner tiefen Stimme sagen und schaute einmal hoch, dabei den Kopf nach immer auf seinen Beinen und schreckte ein wenig zurück, da ich das Gefühl hatte, ihm etwas zu nah zu kommen. Ich wusste, dass ich Gefühle für Männer hatte, schaute sie ihnen auf den Straßen hinterher und ging an Samstagabenden in die Clubs hinter dem Rotlicht, weit hinten, versteckt in den Gassen, wo sie kaum einer einfach so erreichen konnte, um dort auf Leute meiner Art zu treffen, die mich verstanden und wussten wie ich dachte, fühlte und die Welt betrachtete, meinesgleichen einfach. Ein Geheimnis, dass ich nun schon zehn Jahren, also seitdem ich dreizehn war, mit mir herumschleppte und dass ich nicht einmal Jimin erzählt hatte, der so plötzlich in den Tod gerissen wurde, dass mir nicht einmal die Möglichkeit gegeben worden war, es ihm zu erzählen.

„Es tut mir leid, ich wollte dir nicht so nahe kommen", murmelte ich leise vor mich hin. Seoul war eine relativ große Stadt und da viel in Schutt und Asche lag, dadurch dass mit Bomben angegriffen wurde, dauerte es uns gestern eine Ewigkeit, um an den Rand der Stadt zu gelangen, wo wir erst ankamen, als es schon dunkel geworden war, sodass ich noch gar nicht wirklich gesehen hatte, wie der Mann aussah, mit dem ich geflohen war, naja irgendwie ja schon, aber nicht so im Detail wie ich es gerade jetzt in diesem Moment tat. Mir fiel auf, dass er keinerlei Makel hatte, eine perfekte, glatte Haut wie ich es nur aus den Magazinen kannte, seidiges, dunkelblondes Haar, welches in einem seitlichen Scheitel lag und ein wenig verschmutzt durch den umherfliegenden Staub war. Dunkle Augen, volle Lippen, eine symmetrische Nase, breite Schultern und Brustmuskeln, die ich durch das farbig gemusterte Hemd sah, welches er trug, genauso auch an seinen Armen.

„Mach dir keine Gedanken drum, ich habe kein Problem mit der Nähe zu Männern", erzählte mir der Blondhaarige und trug wieder dieses schwache Lächeln auf seinen Lippen, welches mich nicht ganz so unsicher fühlen lassen sollte, dabei aber sah ich in seinen Augen, saß er wohl mindestens genauso viel Angst haben musste wie ich, es sich aber nicht anmerken ließ, stark blieb, für sich und für mich. „Es passt, dass du aufgewacht bist", meinte er. „Noch liegt der Staub in der Luft, aber ein Großteil der Stadt sollte nun wieder frei sein, denke ich mal. Ich wohne nicht weit von hier, bei mir Zuhause habe ich eine Waffe und auch Essen, was wir beide gerade dringend benötigen."

Damit sprach er meinen Magen an, der gestern Abend schon geknurrt hatte, als wir uns hier unter dieser eigentlich sehr tiefen Brücke versteckt hatten, in einem kleinen Graben, umgeben von hohem Gras, sodass uns keiner so schnell finden konnte, denn es war nicht sicher in irgendeiner Wohnung zu sein, befürchteten wir. Auf dem Weg hierher waren wir an vielen Verletzten vorbeigelaufen, an Leuten die uns nach Hilfe fragten, regelrecht anbettelten, sie mit uns zu nehmen, weil sie selbst nicht mehr in der Lage dazu war, körperlich, versteht sich, aber wir blieben für niemanden stehen, gingen einfach weiter vorbei, an brennenden Häusern, leblosen Körpern auf der Straße und all möglich erdenklichen Leid.

Meine Nerven waren zu schwach, um sowas lange ertragen zu können, weshalb der Mann es für besser hielt, wenn wir vorerst, weil es da schon dunkel wurde, aus der Innenstadt verschwinden würden.

life so changed ᵛᵏᵒᵒᵏ Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt