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- 30. August 1990 -

[Jungkook]

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„Siehst du schon etwas?", fragte mich der Mann, aber ich verneinte dies, denn es gab hier weit und breit nichts. Wir waren bereits aus Seoul herausgekommen, gingen in geraumer Entfernung an einer Landstraße entlang, bis wir an einem kleinen Ort angekommen waren, welcher der nächste Ort vor der nächsten Großstadt gewesen war. Als wir noch bei ihm in seinem Appartement gewesen waren, hatten wir versucht den Fernseher anzuschalten, dann jemanden über das Telefon zu erreichen oder wenigsten an Neuigkeiten über das Radio zu gelangen, aber alle Leitungen waren tot, es gab kein Signal mehr, wir waren angeschnitten. So wussten wir nicht, ob es nur Seoul getroffen hatte oder ganz Südkorea, das einst noch so friedliche Land, in dem ich wirklich gerne gelebt hatte.

Wir machten kaum Pausen, wenn dann nur für zehn Minuten, manchmal auch vielleicht fünfzehn, denn unser Weg nach Cheonan, weil das der nächste Ort war, der nicht unmittelbar um Seoul herumlag, war, dauerte ohne die Pausen bereits zwanzig Stunden. So war es bereits am Abend den dreißigsten August, kurz nach zwanzig Uhr, die Sonne bereits hinter dem Horizont verschwunden, den Himmel aber noch in roten und lilafarbenen Tönen färbend.

„Es ist ein wirklich schöner Abend, zu eine so schrecklichen Zeit. Immerhin können wir hier noch normal atmen", sagte der Mann und streckte sich einmal. Wir befanden uns an einer Bank, die auf einem kleinen Hügel stand, der sich vor der Stadt befand. Tatsächlich war es bisher wohl nur Seoul gewesen, denn wie wir sahen, standen hier alle Häuser noch, nicht war zerstört, nirgends sahen wir die Angreifer, kein Rauch oder Staub, der in der Luft lag, nichts das brannte, vereinzelt sogar noch Autos und Busse, die auf den Straßen herumfuhren.

„Vielleicht gibt es doch noch Hoffnung", sagte ich leise. Anfangs lächelte ich noch, aber schnell überkam es mich, die Augen füllten sich mit Tränen und ich weinte einfach, schluchzte regelrecht und der Kummer, die Angst und die Sorge, die ich in den letzten zwei Tagen in mir halten und herunterschlucken musste, kamen alle auf einmal einfach raus, trafen mit wie ein Pfeil ins Herz, vor allem der Gedanken an Jimin, der vor meinen Gedanken erschossen wurde und zu Boden fiel, dort an der Stelle starb und für immer von dieser Welt ging. „Ich kann so aber nicht weiterleben, nicht mit dieser Schuld."

Der Mann, mein Retter, weil er mich aus dem kleinen Café holte und überredete, mit ihm zu fliehen, zögerte keine Sekunde und schlang seine Arme einfach um mich, umarmte mich. Diese körperliche Nähe nach all dem, was bisher passiert war, mal wieder zu spüren, war ein unglaubliches Gefühl und ich sehnte mich gerade so sehr danach, weshalb ich mich auch nicht länger zurückhielt und meine Arme um seine Taille schlang, mein Gesicht in seine Halsbeuge legend und einfach so weiter vor mich hin weinend, aber stumm. Seine sanften Berührungen an meinem Rücken, wie er mich sanft streichelte, eng an sich zog und die Wärme, die an diesem relativ kalten abend von seinem Körper ausging und die er somit mit mir teilte, gab mir den nötigen Trost, den ich gerade brauchte, um mich überhaupt noch auf den Beinen halten zu können.

„Unsere Leben stehen nun vollkommen Kopf", sagte der Mann, lachte noch in einem Sarkasmus, den ich eigentlich nicht von ihm erwartete. „Ich weiß nicht, ob mein Appartement nun noch steht oder das Gebäude in dem ich einst arbeitete, genauso wenig weiß ich, ob meine Familie in Seoul es noch schaffte, ich denke dasselbe gilt auch für ich, aber schau uns an, hier stehen wir, wohl so kurz, nur einen Schritt, vor der Freiheit und Sicherheit, vor dem Beginn eines neuen Lebens. Zu zweit, allein, ohne jegliche Hilfe sind wir zu Fuß hier hergekommen und dem Feind entflohen", sagte der Ältere.

Ohne meine Arme von ihm zu lösen, schaute ich hoch und musste dann ein wenig lächeln, weil auch er lächelte. Zwar hatte ich nicht genügend Zeit, um darüber nachzudenken und wir hatten auch auf dem ganze Weg hier her kaum miteinander gesprochen, einerseits aus Angst zu laut zu sein und jemanden auf uns zu locken, der uns dann etwas tun könnte, aber andererseits auch, weil wir den Weg so schnell es nur ging über uns hinweg bringen wollten, da Nahrung nur bedingt dabei war, das Wetter auch nur in diesem Moment mitspielte und wir auf freiem Feld, also eigentlich sehr leicht sichtbar für Feinde waren, dennoch aber hatte ich kurze Gedanken darüber gehabt, ob der Blondhaarige vielleicht einer von uns war, also jemand, der an Samstagabenden auch in die Clubs ganz hinten in den Gassen hinter den Rotlichtern ging, um dort auf Seinesgleichen zu treffen. Jetzt war ich mir sicher darin.

„Wir kennen uns nicht, die Umstände sorgten für unser Treffen, aber wenn all das hier vorbei ist, möchte ich den neuen Abschnitt meines Lebens mit dir beginnen", sagte ich geradewegs heraus, ohne jegliche Hemmung und auch ohne darüber nachzudenken, was vielleicht die Reaktion des eigentlich fremden hätte sein können, von dem ich ja eigentlich nicht wirklich wusste, ob er war wie ich. Nachdem er mich, während ich sprach, aufmerksam angeschaut hatte, fing er an zu lächeln, als ich aufhörte zu sprechen, die Augen schwach leuchtend unter den Lichtern der Stadt hinter mir. „Du hast mir mein Leben gerettet und mich geschützt, also möchte ich nicht mehr von deiner Seite weichen."

Damit war das wohl auch beschlossen und ich bekam meine letztendlich Bestätigung durch den sanften Kuss auf meine Stirn, der mir ein so breites Lächeln auf die Lippen zauberte, welches ich keineswegs unterdrücken konnte, während wir Hand in Hand hinunter in die Innenstadt gingen, die tatsächlich noch geprägt vom normalen Leben war, denn hier gab es Soldaten, Soldaten Südkoreas, die die Menschen schützten. Man schaute uns natürlich schief an, schließlich waren wir zwei Männer, die Händchen hielten und durch die Stadt gingen, aber nach all dem, was wir erlebt hatten, war dies das Letzte, was uns störte.

„Ein Zimmer bitte", sagte der Mann dann, als wir bei einem der Hotel angekommen war. Bei sich im Appartement hatte er eine Menge an Geld mitgenommen, aus Unsicherheit wie lang er wohl seine Karte, die erst vor kurzem hier in Korea auf den Markt kam, noch benutzen können würde. Mit dem Geld bezahlte er das Zimmer dann für diese Nacht und nachdem uns die Frau an der Rezension einen wirklich fragwürdigen Blick gab, da sie wohl sofort ahnte, dass zwischen dem Mann und mir mehr als nur Freundschaft dort war, auch wenn ich selbst noch nicht einmal wusste, was es denn war oder letztendlich sein würde, zwischen uns, gingen wir auch schon nach oben, in das eigentlich ziemlich schöne Hotelzimmer, in dem sich aber nur ein Bett befand.

Anfangs zögerte ich noch, da es das erste Mal sein würde, dass ich mit einem anderen Mann in demselben Bett schlafen würde, dann aber dachte ich daran, wie ich die letzten beinahe drei Tage an der Seite dieses Mannes gegangen war, die beinahe letzten zwei Tage seine Hand gehalten hatte und den beinahe letzten Tag damit verbrachte drüber nachzudenken, ein neues Leben mit ihm anzufangen, wenn sich die ganze Sache einst klären und beruhigen würde, also hatte ich nun auch kein Problem mehr damit, zusammen mit ihm auf ein und demselben Bett zu liegen, unter einer Decke und auf einem Kissen, wobei ich meinen Kopf sowieso auf die Brust des Mannes gelegt hatte. Meine Hand lag an seinem Bauch, den Bauchmuskeln und ich spürte sie direkt, da er sein T-Shirt ausgezogen hatte, um so bequemer schlafen zu können.

Vielleicht war das auch einfach Schicksal, dass wir aufeinander getroffen hatten, denn nun, da mir alles genommen worden war, hatte ich aber etwas sehr schönes wieder dazu gewonnen, etwas, dass mein Herz rasen ließ, mich in dieser Zeit zum Lächeln brachte, mir Sicherheit und Wärme gab, mich beschützte.

Und ich war somit auch der festen Überzeugung, dass dies anhalten würde.

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life so changed ᵛᵏᵒᵒᵏ Where stories live. Discover now