36. Kapitel

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Der nächste Morgen kam bald, und die Sonne schickte ihre sanften Strahlen in das nebelverhangene Gebirgstal.

Der Dunst löste sich bereits auf, weshalb Linda auch die in der Nacht endlos hohen Gesteinswände erkannte. So groß waren sie nicht, vielleicht vier, fünf Meter – soweit sie das schätzen konnte (was sie nicht konnte).

Jedenfalls ging der Felsen keineswegs in einen spitzen Berggipfel über, was sie vermutet hatte, sondern nicht weit über ihnen erstreckte sich ein Nadelwald. Fichten, Tannen und Lärchen, so weit das Auge reichte – oder auch nicht, die Baumbestimmungsfähigkeiten des Mädchens beschränkten sich auf das Unterscheiden von Laub- und Nadelbäumen.

Und wer wusste schon, welche Baumarten es in Mittelerde gab. Zeit genug, diese Pflanzen zu bestaunen, hatte Linda.

Bis sich die letzten Nebelschwaden verzogen hatten, wanderten die Reisenden noch auf dem Steinpfad, doch bald schon liefen sie durch den Wald, den man bereits von unten hatte sehen können. Die Sonne strahlte an jenem Tag besonders schön.

In der Dämmerung waren sie gestern angekommen, alle waren sie müde und hungrig von dem nur kurzen Frühstück. Doch Thorin trieb sie an, denn der Durinstag war nicht mehr fern.

Ja, der Tag, an dem sie den Erebor erreicht haben mussten. Den Einsamen Berg.

Für Linda war das noch ganz weit weg. Im Moment musste sie sich durch das Nebelgebirge schlagen, durchs Unterholz laufen.

Der Pfad, welcher sie auf die baumbewachsene Ebene geführt hatte, war in einen alten, ausgetretenen Weg übergegangen, der leider schon teilweise überwuchert war.

Das Mädchen war, wie auch nicht anders zu erwarten, immer noch am Ende des Feldes. Immer, wenn sei über dorniges Gestrüpp oder ähnliches klettern musste, bleib irgendetwas hängen: Mal war es ihre Tasche, mal ihre Haare, die sie auch weiterhin in einem schlichten, geflochtenen Zopf zusammenhielt.

Der Wald wurde lichter, je mehr er anstieg, und er verwandelte sich bald in hangreiches Gelände. Linda folgte ihren Gefährten, so gut sie konnte. Hin und wieder legte sie an Tempo zu, um nicht den Anschluss zu verlieren.

Ihr Schnaufen störte die Stille der Natur, genauso wie die gelegentlichen Gespräche der Khazâd. Nein, die Zwerge konnten es nicht unterlassen, sich auszutauschen. Ab und zu fingen sie sich damit einen mahnenden Blick von ihrem Anführer ein, der sie regelmäßig zur Eile antrieb.

Es war etwas anderes, durch einen Tannenwald zu gehen, als unter einem Laubblätterdach zu reiten. Das Licht suchte sich andere Wege durch den dunkelgrünen Baldachin. Viele faustgroße Zapfen lagen auf dem weichen Erdboden, welcher mit allerlei Gebüsch bewachsen war.

Wilde Tiere, die sie aus Deutschland kannte, gab es hier vielleicht auch, dachte das Mädchen. Sie lief zügig, regelmäßig und schnell hörte man ihre dumpfen Schritte, wenngleich ihr vom gestrigen Marsch noch viel bis alles wehtat.

Weiter vorne waren die Durinsbrüder in ein angeregtes Gespräch vertieft. Fíli redete mit großen Gesten auf den Jüngeren ein, der die Hände in den Taschen vergraben den Weg entlangstapfte.

Dwalin beobachtete unablässig die Umgebung. Vielleicht hielt er nach Gefahren Ausschau? Sicherlich.

Das Mädchen stiefelte weiter. Also, morgen war ihr Geburtstag. Linda war klar, dass sie den mit sich selbst allein feiern musste. Dennoch – das war doch nicht unmöglich!

Unternehmungslustig stellte sie eine Liste zusammen. Zuallererst konnte sie sich selbst ein Ständchen singen, außerdem sich vorstellen, anstatt ihres kargen Frühstücks eine Schokoladentorte zu verspeisen, imaginäre Geschenke auspacken, sich von imaginären Freunden gratulieren lassen – ja. Sicher doch.

Tochter der Menschen - Hobbit-FFWhere stories live. Discover now