16. Kapitel

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„Für mich?"

Kíli nickte und setzte zum Wurf an, was Linda aber lieber verhinderte: „Lass mal, meine Fangkünste sind noch schlechter als meine Schwertkampfkünste." Der Zwerg verstand und drückte ihr wortlos eine Hälfte des Brotes und einen Apfel in die Hand, dann setzte er sich an einen Findling gelehnt neben sie.

Wenn Kíli versuchte, mit dem Teilen seiner Mahlzeit Linda die heutige Weckaktion vergessen zu lassen, dann sollte er bitte so weitermachen. Das Mädchen schmunzelte. Dass sie so furchterregend war...

Plötzlich fiel ihr auch der Haken an der Sache auf: Der Braunhaarige war wortlos gewesen. Still. Also doch nicht ritterliches Teilen seiner Mahlzeit, er hatte sich vorher noch vollgestopft!

Sie grinste noch breiter und begann zu essen.

Auch Fíli kam zu den beiden, ließ sich ihnen gegenüber auf der Wiese nieder und verzehrte ebenfalls seine Mahlzeit. Einige Zeit später, als auch der letzte Krümel aufgegessen war, meinte Kíli: „Heute Abend geht's weiter mit dem Schwertkampf!"

„Oh, bitte nicht, ich hab jetzt schon solchen Muskelkater", stöhnte das Mädchen. Das war halb wahr. Sie überlegte nämlich noch, ob sie die Kampfstunden nicht lieber verschieben sollten, bis nicht die ganze Gemeinschaft zusah. Und die Zwerge hatten ihr noch größere Torturen angedroht- trotzdem musste das sein. Aber nicht heute. Morgen.

„Muskelkater? Was meinst du damit?"

Die Brüder waren verwirrt. „Wenn man sich angestrengt hat und am Tag danach die Muskeln bei jeder Bewegung schmerzen, das ist Muskelkater", erklärte sie. „Nicht jeder ist so stark wie ihr Zwerge, besonders ich nicht, ich bin untrainiert. Unsportlich." Dass bei Muskelkater am besten noch mehr Bewegung half, verschwieg sie natürlich.

„Auf, ihr da hinten, weiter geht's!", rief Bofur ihnen zu. Die Drei hatten gar nicht bemerkt, dass alle anderen bereits wieder bei ihren Reittieren waren.

Einige Minuten später machte sich die Gemeinschaft daran, das Wasser zu überqueren. Gandalfs Pferd konnte noch relativ einfach mit seinem Reiter auf dem Rücken eine seichte Stelle durchwaten, doch die vollbepackten Ponys mussten geführt werden.

Bilbo wurde sein Pony abgenommen und auch Nori wollte Linda den Übergang erleichtern, aber die lehnte ab: „Das geht schon. Athena und ich schaffen das."

Der Zwerg sah ziemlich verwirrt aus, deshalb stellte sie ihm ihr Reittier mit einer ausschweifenden Handbewegung vor: „Athena ist mein Pony." Nicht unbedingt weniger irritiert wandte sich Nori ab.

Die Prozession setzte sich in Bewegung. Linda und ihre Stute folgten Kíli und seinem Reittier, bis sie bei dem Bach ankamen, wo die Stute stoppte. Sie waren mal wieder die Letzten, aber auch einige Zwerge hatten ihre Schwierigkeiten, weshalb das Mädchen Zeit genug hatte. Das Pony blickte sie an, als würde sie fragen, was sie tun sollte.

Mit beruhigender Stimme plauderte Linda: „So, mein Mädchen, wir gehen da jetzt beide einfach durch. Einfach da durch, das ist nur Wasser. Ich rede jetzt ein bisschen mit dir, um dich zu beruhigen, aber wenn du mich verstehen könntest, würdest du mich für verrückt halten, so wie wahrscheinlich meine Reisegefährten."

„Ja, einfach einen Schritt da rein, sehr gut, und noch einer - ach, meine Stiefel laufen voll, das ist bescheuert. Wusstest du, dass ich keine Ahnung habe, aus welchem Leder sie sind? Hätte ich jetzt meinen Umhang um, würde der auch noch gleich gewaschen werden, aber der ist ja auf deinem Rücken festgeschnallt. Ach ja, siehst du, ob mein Mantel ins Wasser hängt?"

„Gebirgsfrosts Schwertscheide nämlich schon, hoffentlich setzt das keinen Rost an. Aber das kommt ja alles aus Valinor, von daher... Und blöde Frage, natürlich siehst du das mit dem Mantel nicht. Habt ihr Ponys eigentlich Namen, die ihr euch selbst gebt? Und wenn ja, darf ich dich dann so anreden? Aber ich kann leider kein Pferdisch, daran scheitert's schon."

Ja, das alles hatte sie, während sie nur diesen kleinen Bach überquerten, gesagt. Kíli vor ihr sah dementsprechend verstört aus, genauso wie die restlichen in ihrer Hörweite. Das Mädchen setzte sich wieder auf Athenas Rücken, die Stille ignorierend. Noch hatte sie genügend Selbstkontrolle, um nicht in schallendes Gelächter zu verfallen.

Auf dieser anderen Seite des Baches erstreckte sich ein riesiges Waldgebiet bis in weite Ferne. Der dichte Laubwald erstrahlte in den verschiedensten Grüntönen, so verschieden wie die Gesänge der Vögel, die man in dieser Stille besonders gut hören konnte. Der frische Wind trug hoch oben am Himmel einige Wolken zu ihnen, aber nicht so viele, dass es beunruhigend wäre. Das nächste Etappenziel breitete sich vor ihnen aus.

Sie warteten noch auf Bifur, der sein Pony und das von Bilbo führte. Als auch er angekommen war, ritten Thorin und Gandalf Seite an Seite los, sie alle führend. Linda fand sich an Bofurs Seite wieder, der zu ihrem Glück ihr Gespräch mit Athena nicht gehört hatte. Der ihr sehr sympathische Zwerg lächelte ihr zu, was sie erwiderte. Kurz breitete sich unangenehme Stille aus, denn keiner der beiden wusste, was er sagen sollte.

„Ich bin unterirdisch schlecht in solchen Gesprächs-Anfangs-Dingen, aber erzähl doch bitte mal etwas über dich. Ich weiß, dass Bombur dein Bruder und Bifur dein Vetter ist, aber mehr... eigentlich nicht."

Bofur grinste nur noch breiter und begann: „Ja, Bifur ist mein Vetter, aber er ist für meinen Bruder, meine Schwester Ríka und mich eher wie ein großer Bruder, da er von unseren Eltern unter ihre Obhut genommen wurde, als nach seiner Mutter auch sein Vater starb. Mein Vater, Brákur, starb vor über hundert Jahren, als wir drei ungefähr vierzig Jahre alt waren, aber meine Mutter, Grív, lebt noch. Ich habe drei Neffen und inzwischen vielleicht vier, Ríka war schwanger, als wir aufgebrochen sind. Meine Geschwister sind verheiratet, ich nicht.* Sonst noch etwas?"

„Nein, nein, das reicht fürs Erste an Informationen, danke dafür", lachte das Mädchen. „Ich habe nur eine kleine Schwester, sie heißt Sofia. Sie ist erst sechs, also neun Jahre jünger als ich. Das ist ein relativ großer Altersunterschied, sie ist einfach noch ein Kind und ich meist - weniger. Naja, und dann gibt's noch meine Eltern und meine Großeltern, die Eltern meiner Mutter. Sonst hab ich zu meiner Verwandtschaft nicht so viel Kontakt beziehungsweise sie sind schon gestorben", erklärte sie. „Lebt ihr alle gemeinsam in einem Haushalt? Sorry für die Frage, aber ich habe keine Ahnung von irgendetwas. Auch nicht von zwergischen Wohngewohnheiten.."

„Nein, nein, Bombur und Ríka haben schon längst eigene Wohnungen", meinte er amüsiert, „aber was bitte ist „sorrie"?"

„Oh, sorry, das heißt so viel wie „Entschuldigung" ", erklärte Linda.

Nachdem sie gemerkt hatte, was sie gesagt hatte, fiel sie in Bofurs Lachen ein.

„Bifur, meine Mutter und ich leben mehr oder weniger zusammen. Normalerweise ist es bei Zwergen eher so, dass jeder zwar eine eigene Wohnung hat, aber trotzdem jeder sich bei den Küchen sein Essen holt."

„Im Erebor soll das noch ausgeprägter und sinnvoller gewesen sein (hört man) und deswegen wurde es beibehalten. In den Küchen** arbeiten Bombur und seine Frau Ríl, mein Bruder kocht auch häufig für die Königsfamilie, bei besonderen Anlässen oder so, sein Können wird sehr geschätzt", erläuterte er stolz.

„Bifur und ich führen eigentlich ein Spielwarengeschäft, aber wir helfen immer, wo es notwendig ist, zum Beispiel in den Küchen. Unsere Kunst wurde früher mehr geschätzt, aber das Geschäft läuft immer besser. Ríka ist Kammerzofe von Lady Dís, so wie unsere Mutter früher."

„Jetzt ist Grív zu alt dafür, häufig sieht sie Bifur und mir bei der Arbeit zu und manchmal begleitet sie Ríka und plaudert mit ihren ehemaligen Kollegen, oder sie geht auf den Markt. Aber noch einmal zurück zu deiner Frage: Bifur, Grív und ich leben eigentlich nur zusammen, weil sie sonst alleine leben müsste und weil Bifur und ich eben zusammen arbeiten."***

1236 Wörter, 01.09.2020

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*Fakt ist, dass Bofur und Bombur Brüder sind und dass Bifur ihr Vetter ist. Die Exsistenz von Grív und Brákur sollte selbstverständlich sein, aber der Rest ist ausgedacht (genauso wie alle Namen).

**Das System der "Küchen" genau genug erklärt?

***Dass Bifur und Bofur Spielzeugmacher sind und dass Bombur viel mit der Küche zu tun hat und dass die drei eher in einem Dienstverhältnis zu Thorin stehen, ist nicht meine Idee, aber der Rest schon.

Tochter der Menschen - Hobbit-FFWo Geschichten leben. Entdecke jetzt