Kapitel 5. (Amy)

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Am nächsten Morgen treffe ich mich also mit Jess und Jasmine vor der Schule, um dann gemeinsam mit anderen Schülern zum Eisstadion zu laufen. Wir müssen nicht lange warten, bis alle versammelt sind. Und auch nur eine knappe Viertelstunde später stehen wir bibbernd vor der verschlossenen Tür des Eisstadions. Jemand teilt uns mit, dass der Hausmeister vergessen hat, es für uns aufzusperren und ein paar Lehrer sind unterwegs, um mit ihm Kontakt aufzunehmen.

Genug Zeit, um zu reden. Jess starrt mich die ganze Zeit seltsam an. Ich kann die Mischung ihrer Blicke nicht entziffern. Mal ist es Verwirrung, mal ein Anflug von – nein, ich würde nicht gerade sagen Hass; vielleicht eher ein Anflug des „Nicht-mögens“. Ich frage mich, was der Grund für ihren raschen Stimmungswechsel ist. Jasmine dagegen erzählt mir jede Menge unwichtigen Quatsch über irgendwelche Schüler, die ich nicht einmal kenne. Und es gibt nichts, was ihren Redeschwall würde stoppen können. Ich nicke, lache und gebe andere beipflichtende Laute von mir, während ich hoffe, dass es keine Frage war, die sie mir gestellt hat.

Ab und zu lasse ich meinen Blick über den Platz vor der Türe schweifen. Als würde ich etwas suchen. Immer wieder versuche ich, ein ganz bestimmtes Gesicht unter den vielen Schülern ausfindig zu machen. Wills. Eigentlich habe ich selbst keine Ahnung, wieso ich hoffe, dass er kommt. Gestern hat jemand erwähnt, dass er vorhat, ebenfalls zum Eislaufen zu kommen. Aber irgendwie bin ich zweigeteilt. Ich kenne das Gefühl gut, wenn eine Hälfte von mir etwas Bestimmtes möchte, und die andere genau das Gegenteil. Jetzt zum Beispiel kann ich mich nicht zwischen den beiden Optionen entscheiden, ob ich möchte, dass Will kommt oder nicht. Ich habe keine Ahnung, wieso ich es überhaupt möchte, aber er war mir einfach von Anfang an sympathisch. Jess und Jasmine sind typische aufgedrehte Mädchen, mit denen man immer Spaß hat und es immer lustig ist. Genauso wie die anderen aus deren Clique. Aber als Will mit mir gesprochen hat, hatte seine Stimme etwas Beruhigendes an sich. Ich bin einfach nicht so wie die beiden. Wie Jess. Oder Jasmine. Ich war schon immer eher ein ruhigerer Typ, der nicht viel lacht und nicht besonders gesprächig ist. Okay – so langsam schweife ich wieder ab – ich will nicht, dass er kommt, aus Angst, er könne mein Geheimnis erfahren. Bei ihm ist es mir sogar noch wichtiger als bei Jess oder Jasmine, was er über mich denkt. Und ganz tief in mir - als wolle ich es vor mir selbst verstecken – entdecke ich das Gefühl von Scham. Ich spüre die Blicke der anderen Schüler in meinem Rücken. Und natürlich habe ich keinen blassen Schimmer, was der Grund dafür ist. Aber ich vermute, dass es irgendetwas mit meinen anderen Persönlichkeitsanteilen zu tun haben muss. Es kommt oft vor, dass sie meine eigenen Gefühle manipulieren. Also beachte ich das jetzt gar nicht.

Und dann kommt er plötzlich. Will. Mit Pedro im Schlepptau taucht er einfach hinter den anderen Schülern auf. Ich beiße mir unwillkürlich auf die Unterlippe. Sein Mund ist zu einem Lächeln geöffnet, das seine weißen Zähne freigibt. Wills Blick schweift über die Menge hinweg, bis er an mir hängen bleibt. Und ich weiß nicht, ob ich mir das einbilde, aber es scheint, als würden sich seine Mundwinkel noch ein wenig mehr heben. Während er sich Jasmine, Jess und mir nähert, lässt er mich nicht einmal aus den Augen. Und dann bleibt er einfach vor mir stehen. „Das war echt cool von dir, wie du Sienna gestern deine Meinung gezeigt hast! Ich hätte echt nicht gedacht, dass du dafür genug Mumm hast!“ Er lacht kurz auf und ich krame verzweifelt in meinem Gehirn nach irgendwelchen Erinnerungen von dem, was er meint. Aber wie selbstverständlich finde ich nichts. Deshalb verziehe ich meinen Mund einfach zu einem breiten Grinsen und hoffe, dass ich damit nichts falsch gemacht habe.

Er macht gerade den Mund auf, als wolle er noch etwas sagen, doch eine andere Stimme unterbricht ihn: „Der Hausmeister öffnet für uns jetzt das Eisstadion. Ihr habt bis zwölf Uhr Zeit, dann treffen wir uns wieder hier draußen vor dem Eingang!“ Es ist ein Lehrer, der neben einem anderen Mann steht, der jetzt einen Schlüssel benutzt, um die Türe zu öffnen. Kaum hat er sie ganz aufgestoßen, strömen Scharen von Schülern hindurch. Ich frage mich unwillkürlich, wie all diese Schüler in das Eisstadion passen sollen.

Will you still love me?Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt