Kapitel 4. (Amy)

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Es läutet und wir gehen machen uns alle wieder auf den Weg zu unseren nächsten Kursen. Ich habe noch Physik und eine Stunde Sport. Selbst wenn ich nur an das Wort „Sport“ denke, läuft mir ein Schauer über den Rücken. Aus Angst. Im Sportunterricht ist die Gefahr höher als sonst irgendwo, dass jemand mein Geheimnis herausfindet. Es muss mich beim Fußball nur jemand blöd anrempeln, sodass ein aggressiver Anteil nach außen dringt. Die Folgen davon möchte ich mir nicht einmal ausmalen...

Ich schlürfe also zum Physikraum und kaum habe ich einen Fuß über die Schwelle gesetzt, drängt ein anderer Anteil nach außen.

Persönlichkeitswechsel: July

Der Physikraum. Ich würde ihn überall wiedererkennen. Sofort huscht ein Lächeln über mein Gesicht und ich weiß, dass das jetzt wirklich verrückt ist, aber es scheint, als würde mein Herz schneller schlagen, als ich die aufgebauten Instrumente in der Ecke sehe. Ich liebe dieses Fach einfach... Darin war ich schon immer Klassenbeste. Es gab kaum eine Note, die schlechter war als die Beste. Ich weiß, dass es im Grunde Amy ist, die diese guten Noten geschrieben hat. Oder zumindest ihr Körper. Aber ich finde das nicht schlimm, dass sie dafür das Lob bekommt. Ich gönne es ihr.

Ich suche mir einen freien Platz hinten im Klassenzimmer. Ich sehe niemanden, der mir bekannt vorkommt. Die anderen Schüler stehen in Gruppen beisammen und beachten mich nicht. Also krame ich meine Bücher und Stifte heraus und lege sie auf den Tisch. So wie ich es immer getan habe. Ich habe ein Mäppchen, das ich ganz oben links in die Ecke lege. Das Physikbuch kommt in die rechte Ecke. Und meinen Schreibblock lege ich genau vor mich auf den Tisch, sodass er senkrecht zu mir liegt, perfekt zum Schreiben. Falls sich jemand fragt, wie ich alles so genau sortiere: Ich hasse Unordnung. Ich kann es einfach nicht ertragen, wenn alles kreuz und quer herumliegt.

Ich schiebe alles, was ich habe noch genauer hin, bis ich von einer belustigten Stimme unterbrochen werde: „Ziemlich ordentlich, was?“

Ich spüre schon, wie mir das Blut in den Kopf schießt, bevor ich überhaupt aufgesehen habe, um zu erkennen, wer mit mir gesprochen hat. Langsam hebe ich meinen Blick. „Ja“, sage ich lächelnd. „Ich hasse Unordnung.“ Vor mir steht ein Junge mit braunen Haaren und grauen Augen. Ich habe das Gefühl, ihn zu kennen. Oder beziehungsweise Amy. Ich bin mir sicher, dass ich ihn bereits durch Amys Augen gesehen habe. Nur kann ich ihm keinen Namen zuordnen.

„Ich auch, weißt du.“ Sein Lächeln haut mich um. Es ist eins der schönsten, die ich je bei einem Jungen gesehen habe. Er hat nicht zu harte Gesichtszüge, die auch nicht gerade weich sind. Sein Teint ist hell, aber auch nicht ganz blass. Perfekt eben. Genauso wie seine grauen Augen und die hellbraunen Haare, die in alle Richtungen abstehen.

„Wie heißt du?“, rutscht es mir heraus und ich bereue die Frage sofort wieder. Es könnte sein, dass Amy seinen Namen bereits kennt.

„Will. Weißt du das nicht schon?“, fragt er misstrauisch.

„Oh, ja klar, natürlich!“, sage ich schnell und tue so, als hätte ich es schon vorher gewusst. Und wieder spüre ich, wie ich rot werde.

„Nicht schlimm, passiert wohl jedem Mal! Du musst dir bestimmt viele Namen merken, an deinem ersten Schultag hier“, meint er lächelnd und geht um meinen Tisch herum, um sich an den Tisch neben mir zu setzten. Ich bemerke, dass der Lehrer den Raum betreten hat. Es sind Einzeltische, wie es an vielen Schulen hier üblich ist. Zwischen seinem und meinem ist gerade mal ein halber Meter. Genauso wie bei allen anderen auch. Ich folge ihm mit meinem Blick, während er mit geschmeidigen Bewegungen zu seinem Platz geht.

'Starr nicht so!', zischt Mays Stimme in meinem Kopf.

'Ich starre nicht!', antworte ich trotzig. Aber im Grunde weiß ich, dass es nicht so ist. Zum dritten Mal, seitdem ich außen bin, laufe ich rot an. Ich wende mein Gesicht von Will ab, als ich aus dem Augenwinkel bemerke, wie er zu mir sieht.

Will you still love me?Where stories live. Discover now