marshmallow-Ohrringe

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Ein Lagerfeuer zwischen uns, Marshmallows verbrennen, meine Haare riechen nach Rauch. Wir sitzen auf Plastikstühlen und Holzstümpfen, ein Bier in der einen und Stockbrot in der anderen Hand. Unsere Gespräche springen, von Harry Potter-Analysen zu Polizeigewalt zur Einrichtung eines unserer Zimmer. Er erzählt von seinen Ferien, ein Video macht die Runde. Plastikbecher mit Rum-Cola und Orangensaft folgen. Ich hab‘ Angst vor der Zukunft, sagst du. Wir schweigen. Jeder hat irgendwie Pläne, mehr oder weniger konkrete, eine kleine Idee in seinem Kopf. Gut die Hälfte der Mädchen in dieser Gruppe wurde schon Mal belästigt. Wir schreien Queen mit und ABBA, ich habe Angst, dass das hier vorbei ist. Es ist 2:08 Uhr, die Zahl prägt sich. Ich mache einen Snap, packe die Uhrzeit drauf, damit ich mich in einem Jahr zurück erinnern kann. Dass dieser Moment existiert hat und nicht einfach vergeht und verschwimmt.

Das leichte Drehen in meinem Kopf, die Lockerheit, die mit Lagerfeuern und Sternennächten kommt. Es ist vier Uhr morgens, es ist egal, dass es vier Uhr morgens ist, wir müssen uns nicht um Schule kümmern. In der Nähe ist ein Spielplatz, wir springen über den Zaun weil’s schneller geht, einer fällt fast hin, verschüttet sein Bier. Ihr rennt um die Wette. Ich hänge kopfüber im Klettergerüst, du fliegst von der Schaukel. Wir sehen betrunken und bescheuert aus als wir zurücklaufen, beschließen, bis zum Sonnenaufgang wach zu bleiben, runter zum Steg zu gehen. Du frierst, ich leihe dir meinen Pulli. Drei von uns sitzen schon dort unten, Zigaretten zwischen den Fingern. Ein Feuerzeug wechselt die Hand, weitere werden angezündet, der Rauch vermischt sich mit dem Nebel. Die andere Hälfte von uns geht zur anderen Ecke des Steges. Die Holzbretter sind nass, einer opfert seine Jacke, wir sitzen dicht gedrängt. Wir reden über den 2. Weltkrieg, dann über die Klassenfahrt vor fünf Jahren. Wie gerne wir eine in der Elften gehabt hätten. Ich überlege, mir Ohrlöcher stechen zu lassen. Ihr macht schon seit langem eure eigenen Ohrringe; sie bietet mir an, auch mir welche zu machen. Ich beschließe, mir welche stechen zu lassen.

Es läuft Diego Maradona auf einer Box mit 5% Akku, weil sie schon die ganze Nacht spielt. Wir singen mit, wecken die Nachbarn. Einer von ihnen geht nackt baden, um sechs, wir drehen uns weg, tun so, als würden wir ihn nicht bemerken. Kichern und Lachen, sobald er weg ist. Wir denken darüber nach, auch baden zu gehen, in Unterwäsche. Es ist dunkel, du sagst, du machst es, schubst mich mit rein. Wir lachen, spritzen die anderen nass, die weit weg flüchten. Ihr werdet trotzdem nass. Die Sonne geht auf, ganz unbemerkt hinter den Bäumen. Wir sind nass und zittern. Ich stütze dich beim Laufen, weil du immer noch angetrunken bist. Jemand macht Tee und Kakao in der Küche, wir ziehen alle trockene Sachen an und werfen neues Holz ins Feuer. Schlaf ist überflüssig, überreden wir uns gegenseitig. Zwei Leute lehnen an Schultern, Augen halb geschlossen, ich mache mir ein Marshmallow. Kurz vor sieben gehen wir dann doch schlafen. Kurz nach 10 stehen wir wieder auf, räumen auf. Ich verstecke die Rum-Flaschen, damit meine Eltern sie nicht sehen. Ein Geheimnis, gut versteckt in einer Tasche unter zwei Decken. Ihr werdet abgeholt, Augenringe wie Waschbären, nasse Klamotten in euren Rucksäcken. Du grinst immer noch, obwohl seit Stunden nichts lustiges mehr passiert ist. Mitten in der Nacht haben wir alle Walzer getanzt, ich hab‘ die Musik nicht anbekommen, gestört hat es keinen.

Ich gehe zum Nachbarn rechts, entschuldige mich dafür, dass wir so laut waren. Er winkt ab, sagt, er freue sich, dass er auch ein paar der Lieder kannte. Ich grinse, sage, dass manche Musik eben nicht alt wird. Jemand hat die Bierdeckel mitgenommen, um Ohrringe draus zu machen. Ein Marshmallow klebt noch im Feuer, jetzt isst du eins roh, den letzten in der Packung. Deine Mutter holt dich ab, du winkst noch einmal, alles ist aufgeräumt, ich winke zurück. Zeit, schlafen zu gehen.

pieces, fragments & morselsWhere stories live. Discover now