II

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Noch bevor ich anklopfe, höre ich drinnen etwas Scheppern. Gefolgt von einem lauten Knall und einem wutentbrannten, spitzen Schrei. Ein Schrei, der mir durch Mark und Bein geht und mich für eine Sekunde lang gefrieren lässt. Bis ich erschrocken von der Tür zurückweiche und reflexartig die Luft anhalte. Mich nicht traue, auch nur einen Mucks von mir zu geben.

Mein Puls rast, ist bestimmt auf die doppelte Geschwindigkeit angestiegen. Während ich mir in meinem Kopf die verschiedensten Szenarien ausmale. Denn sollte sie mir tatsächlich kündigen, wäre das mein Ende. Einen neuen Job zu finden, die Hölle. Das Geld für die Miete würde fehlen. Wo ich sie jetzt doch schon nur gerade so jeden Monat überweisen kann. Das Geld hinten und vorne sowieso schon nicht reicht.

Gott, ich würde obdachlos unter der Franklin Bridge landen. Müsste mit dem Kopf auf meiner Prada Tasche schlafen und dabei kläglich an der kalten Nachtluft erfrieren. Wahrscheinlich würde ich mir dann noch eine streunende Katze zulegen. Von denen gibt es hier nämlich mehr als genug. Eine, die bestimmt noch nie geimpft wurde und einen schrecklichen Flohbefall hat. Höchstwahrscheinlich würde sie mich direkt damit anstecken. Und bei meinem Glück würde ich an Borreliose sterben. Unter einer verdammten Brücke. 

Oder, müsste zurück zu meinen Eltern. Zurück Nachhause, wo ich dann allen erklären müsste, das mein Traum geplatzt war. Wo doch sowieso nur alle darauf warten, dass ich wieder nach Hause komme und einen langweiligen Job dort annehme. Weil sie mir doch vorher schon gesagt haben, dass es viel zu schwer ist einen Fuß in diese Welt zu setzen. Dass es nur die allerwenigsten schaffen, einen Platz in dieser Branche zu finden.

Nein. So weit, darf es gar nicht erst kommen.

Gestresst schüttle ich meine Hände aus. Fahre mir ein letztes Mal mit den Fingern durch die langen Haare, um sie wenigstens halbwegs zu glätten und setzte dann wieder eine professionelle Miene auf. Lasse Sorge und Angst verschwinden. Ersetze sie durch Selbstsicherheit und Professionalität. Denn wenn ich eins hier gelernt habe, dann, das Auftreten alles ist. Ein sicheres Auftreten bedeutet Kompetenz. Kompetenz wiederum, das, was man eben braucht, um von den anderen hier als würdig betrachtet zu werden.

Ein letztes Mal richte ich den Kopf auf. Nehme eine gerade Haltung an und hebe dann meine Hand. Führe sie an die massive Bürotür und klopfe. Zweimal. Spüre das feste Holz dabei unter meinen Knöcheln und lausche dem dumpfen Klang, der dadurch entsteht. Augenblicklich, wird es auf der anderen Seite der Tür leiser. Hatte sie eben noch lautstark mit jemandem telefoniert, dann muss sie jetzt wohl aufgelegt haben. Als dann ein lautes, genervt klingendes »Herein« ertönt, schlucke ich einmal heftig, bevor ich meine Hand zu der kühlen Türklinke führe und sie vorsichtig herunterdrücke.

Der Raum, den ich betrete, ist groß. Hell. Die riesige Glasfront hinter Madame Duponts Schreibtisch sorgt dafür, dass der ganze Raum mit Licht durchflutet wird. Um diese Uhrzeit kein elektrisches Licht gebraucht wird und man in der strahlenden Morgensonne ohne Weiteres gut arbeiten kann. Der perfekte Ort, um Ideen sprießen zu lassen. Über den Dächern Chicagos, mit wunderbarem Blick auf den Lake Michigan.

Beinahe, wirkt es friedlich. Mit der Kleiderstange auf der linken Seite, an der bereits die neuste Kollektion aufgehängt wurde. Sowie der Schneiderpuppe zu ihrer Rechten, an welcher bis vor Kurzem wohl noch gearbeitet wurde. Ein neuer Entwurf hängt daran, der, an dem sie schon seit letzter Woche arbeitet. Ein zur Hälfte fertiges, hell rosa Korsett mit bestickten Blumen, welches noch zu einem Top umfunktioniert werden soll.

Doch die vielen Skizzen, Ordner und Stoffreste, die achtlos vom Tisch gefegt wurden, jetzt verstreut auf dem Boden herumliegen, zerstören diese Idylle. »Da sind sie ja endlich.« Der bissige Ton in ihrer Stimme veranlasst mich dazu, sofort aufzusehen. Kerzengerade stehe ich da, verziehe keine Miene und schaue in ihr wie versteinertes Gesicht. Die weiß-gefärbten Haare, welche die aufkommenden grauen Strähnen verstecken sollen, sitzen in einem strammen Dutt an ihrem Hinterkopf. Wirken ebenso streng, wie alles andere an ihr.

Fool for youWo Geschichten leben. Entdecke jetzt