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Drei Wochen später sitze ich mit einem mulmigen Gefühl im Flugzeug. Die Euphorie, welche ich verspürt hatte, als ich Sophia zugesagt habe, ist dabei gänzlich verschwunden. Es ist nämlich die letzten Tage beinahe so gewesen, als hätte Madame Dupont mir mit Absicht noch mehr Arbeit aufgehalst. Ich war beinahe jeden Tag durchs komplette Ailes Saintes gerannt. Bestimmt an die zehn Male runter ins Atelier, zurück zu meinem Büro und ab in die Entwurfshalle. Hatte Telefonate geführt, bis mein Mund vom Sprechen ganz trocken gewesen ist und mir beinahe unerträgliche Blasen gelaufen. Die Stresspickel, die sich zudem auf meiner Stirn gebildet haben, sind nur ein Anzeichen davon, wie ausgelaugt ich mich tatsächlich fühle.

Beinahe, bereue ich es, überhaupt zugesagt zu haben. Auch, weil mir meine Schwester seitdem beinahe ununterbrochen textet. Von Dingen, die sie noch vorbereiten muss. Ihre Brautkleidsuche. Wie sie mit Jake bei einer Tortenprobe gewesen ist und sich mit Kuchen vollgestopft hat. Von all den Details, die man wohl beachten muss, schwirrt mir jetzt schon der Kopf und ich frage mich wirklich, ob ich der ganzen Sache überhaupt gewachsen bin. Vor allem, wenn ich nebenher noch arbeiten muss.

Davon abgesehen, dass mir dieser ganze Hochzeitswahnsinn, nicht im geringsten zusagt. Auf gewisse Weise freue ich mich ja für sie. Auch, wenn ich ihre Vorfreude nicht ganz verstehen kann. Denn das ganze Konzept Heiraten habe ich so eigentlich nie wirklich verstanden. Habe es wahrscheinlich auch nur auf meinen Lebensplan gesetzt, weil es in der Gesellschaft eben so vorgesehen ist. Aber warum, reicht es nicht, jemanden einfach nur zu lieben? Warum, muss man das Ganze auf einem beschissenen Stück Papier festhalten? Nur, weil es steuerliche Vorteile dadurch gibt?

Müde, lehne ich den Kopf gegen die Fensterscheibe. Zu meinem Glück, konnte ich bei der Buchung einen Platz am Fenster ergattern, kann jetzt also die Wolken von oben betrachten und wenigstens für einen Moment tief durchatmen. Wäre da nicht mein Sitznachbar, der zu meinem Leid so laut Musik hört, dass selbst ich Chester Benningtons Stimme klar und deutlich hören kann. Manchmal glaube ich, dass sich das Universum gegen mich verschworen hat. Das es überhaupt nicht will, dass ich irgendwann mal zur Ruhe komme. Denn als ich den etwas rundlichen Mann neben mir anstoße, um ihn zu bitten, die Musik ein wenig leiser zu stellen, muss ich leider feststellen, dass er bei dem Krach tatsächlich eingeschlafen ist.

Frustriert stoße ich gefühlt all die Luft, die sich gerade in meinem Körper befindet aus und schrumpfe in meinem Sitz zusammen. Wieder einmal verspüre ich den schrecklichen Drang meine Fingernägel an meinen Mund zu heben und an ihnen herumzukauen. Es juckt mich schon so stark in den Fingern, dass ich all meine Willenskraft aufbringen muss, damit ich es trotzdem unterlasse. Vor allem, weil ich heute Morgen noch eine frische Schicht Nagellack aufgetragen habe und diese ungern jetzt schon ruinieren will. Also bilde ich lieber zwei Fäuste. Drücke meine Fingernägel mit aller Kraft in meine Handflächen und spüre, wie der Drang langsam nachlässt. Sich dagegen ein befreiendes Gefühl in meinem Körper ausbreitet.

Als ich dann die Sichelförmige Einkerbung in meiner Handfläche betrachte und zeitgleich eine Durchsage ertönt, welche uns mitteilt, dass wir demnächst landen werden, fällt mir langsam auf, was mich eigentlich wirklich stresst. Denn das bevorstehende Wiedersehen rückt immer näher. Es ist nur noch eine Frage der Zeit, bis ich allen wieder gegenüberstehen werde. Meinen Eltern, meinen Geschwistern. Vor allem meinen Eltern, mit denen ich mich bei unserem letzten Aufeinandertreffen so heftig gezofft habe, dass ich nicht einmal zum letzten Weihnachtsfest nach Hause geflogen war.

Meine Geschwister wiederzusehen, erfüllt mich gleichzeitig aber auf eine gewisse Art und Weise mit Freude. Auch, weil ich momentan so viel Kontakt wie schon lange nicht mehr, zu ihnen habe. Denn selbst mein großer Bruder Henry, hat sich vor ein oder zwei Wochen gemeldet, um mir zu sagen, dass er mich am Flughafen abholen würde. Ein weiterer Grund, der mir trotzdem auch Bauchschmerzen bereitet. Weil ich genau weiß, dass wir so viel gemeinsam haben wie Katz und Maus. Ein Gesprächsthema zu finden, mit diesen Voraussetzungen ziemlich schwierig sein wird.

Fool for youWhere stories live. Discover now