IX

477 69 127
                                    

Knappe eineinhalb Stunden später fühle ich mich noch ausgelaugter als zuvor. Anstatt mich mal für ein paar Minuten hinzulegen, habe ich mich mit ein paar unserer Kunden auseinandersetzen dürfen. Habe für Madame Dupont eine Stofflieferung in Auftrag geben und sogar kurz deswegen mit Rebecca telefoniert, die ihrer Stimme nach zu urteilen, sichtlich darüber erfreut ist, dass sie unser gemeinsames Büro für die nächsten zwei Wochen ganz für sich alleine hat. Wahrscheinlich malt sie sich vor ihren Augen schon die Beförderung aus, die mir jetzt möglicherweise durch die Lappen geht, weil ich nicht vor Ort bin, um extra Schichten einzulegen. Oder um einfach besser zu sein, als sie es ist.

Erschöpft klappe ich jetzt endlich mal den Laptop zu, lasse sofort den Kopf in den Nacken fallen und schließe für den Moment die Augen, um neue Energie zu tanken. Doch das stetige Pochen hinter meinen Schläfen macht dies beinahe unmöglich. Auch der Lärm, der seit knapp zehn Minuten hinter meiner Zimmertür zu hören ist, macht das Ganze nicht besser. Darunter das laute Bellen eines Hundes, weswegen ich eben schon kurz davor gewesen bin, alles zu stoppen was ich tue und ihn mit meinen eigenen Händen zum Still sein zubringen.

Wahrscheinlich hätte ich mich sowieso schon längst aus dem Zimmer begeben müssen. Aber die Vorstellung, mit Sophia und Jake alleine an einem Tisch zu sitzen und über das Wetter oder etwas anderes Belangloses zu reden, hatte mich bisher davon abgehalten. Weil ich weder mit peinlichen Redepausen noch mit Small Talk so wirklich umgehen kann. Ich dann immer genau die falschen Themen anspreche und wie ein Elefant im Porzellanladen taktlos über die Gefühle anderer stolpere.

So wie vorletzte Weihnachten, als keiner mehr was zu sagen hatte und ich dann einfach aus purer Laune heraus meine große Schwester gefragt hatte, was nun aus ihrem Kinderwunsch geworden ist. Sie mir dann erklärt hat, dass sie und Jake das Thema vorerst aufs Eis gelegt haben und erst einmal an sich arbeiten wollen und ich mit: »Gut, dann bekommst du halt keine Kinder. Was ist schon dabei?« geantwortet hatte.

Ein ganz schöner Fehler. Weil sich ein recht familiäres Fest innerhalb von wenigen Minuten in eine Drama-Soap verwandelt hat, Sophia in Tränen ausgebrochen war und meine Eltern eine Rede darüber gehalten haben, dass es jetzt wohl an mir liegt, ihnen Enkelkinder zu schenken. Ohne dass mich jemand gefragt hat, ob ich das überhaupt will. Als wären wir irgendeine Royale-Familie, wo es wichtig ist, die Blutlinie weiterzuführen.

Als ich dann auch noch meine eigentlichen Pläne verkündet habe, war die Sache vollends aus dem Ruder gelaufen.

Seufzend schüttle ich den Kopf, als könnte ich damit all diese Gedanken aus ihm heraus fegen und stehe langsam auf. In der Mitte des Raumes liegt immer noch mein aufgeschlagener Koffer. Bis jetzt, habe ich mir nicht die Mühe gemacht, meine Klamotten herauszuholen und in den Schrank einzuräumen. Knie mich deshalb jetzt davor, um darin herumzukramen und ein passables Outfit für das Essen zu finden. Weil ich mich ungern in meinen verschwitzen Sachen vom Flug an den Tisch setzen möchte.

Nachdem ich beinahe den ganzen Inhalt des Koffers auf dem Boden verteilt habe, finde ich dann auch das, was ich gesucht habe. Ein leichtes, hellrotes Sommerkleid mit langen Ärmeln, aber einem hübschen, nicht zu großen Cut-Out am Rücken. Ich hatte es letztes Jahr ergattern können, als wir mit Saintes Ailes auf einer Modemesse in New York gewesen waren. Seitdem aber leider keinen Anlass gefunden, um es zu tragen. Weil es für die Arbeit ein wenig zu luftig ist und ich für Bars oder Clubs damit zu underdressed gewesen wäre.

Nachdem ich endlich meine alten Klamotten losgeworden bin, sie achtlos aufs Bett geschmissen und das Kleid übergezogen habe, fühle ich mich gleich ein bisschen besser. Frischer. Fehlt nur noch mein Make-up.

Fool for youWo Geschichten leben. Entdecke jetzt