Kapitel 64

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Emma

Nach diesem Gefühlschaos gingen wir am Abend natürlich nicht mehr zum Klassentreffen, sondern machten es uns Zuhause schön. War ja vielleicht auch nicht schlecht, mal nicht verkatert am Heilig Abend bei seiner Familie aufzutauchen. Das Gespräch mit Wincent beschäftigte mich mehr, als ich zugeben wollte. Wie oft würde ich dieses Thema noch ertragen müssen? Wie lange würde es dauern, bis es uns um die Ohren fliegen würde? Ich gab mir wirklich alle Mühe den ruhigen Part zu übernehmen, weil Wincent so abdriftete. Ich wusste, dass eine eigene Familie sein Lebenstraum war, aber ich dachte nicht, dass ich schon im ersten halben Jahr unserer Beziehung darüber diskutieren musste. Bestimmt liegt es nur daran, weil sich gerade alles potenziert, redete ich mir gut zu. Die Tour war vorbei, er hatte frei und momentan nichts zu tun. Die Musik stand auf Pause bis zum neuen Jahr und er musste sich mal nur auf sich selbst konzentrieren. Noch dazu war Weihnachten, das Fest der Liebe und Familie, was ihn noch emotionaler stimmte. Ich war gespannt auf diesen Abend und ich freute mich. „Das wird das kitschigste, was du jemals bei der Familie Weiß sehen wirst", erklärte mir Wincent, während ich mich im Bad fertig machte. 

„Aber...es gibt jede Menge Alkohol", fügte er an und wuschelte sich seine Haare zurecht. Er trug ne schwarze Jogginghose, wie immer, und tatsächlich ein Hemd. Um ebenso einen Mittelweg zu finden entschied ich mich für eine schwarze Jeans und eine dunkelrote Bluse. „Den machste mal schön noch zu, Madame", murmelte Wincent und ehe ich mich versah hatte er den obersten Knopf meiner Bluse geschlossen. Ich musste schmunzeln. „Kannst du dich sonst nicht konzentrieren oder was?", neckte ich ihn und knöpfte ihn wieder auf. Für mein Empfinden war der Ausschnitt auch nicht zu tief, aber Wincent sah das wohl anders. „Wirst du wohl...", fing er an, aber ich ließ ihn nicht mehr an mein Oberteil. „Ich bin eine erwachsene Frau und ich lass das so. Punkt", drohte ich ihm. „Wie schön müssen die Zeiten gewesen sein, als die Frauen einfach nur das getan haben, was von ihnen verlangt wurde...ohne Widerworte...diese scheiß Emanzipation", murmelte Wincent und rollte gespielt mit den Augen.

So ein Spinner! Er mochte genau das. Dass ich wusste, was ich wollte, und dass ich Zuhause die Hosen anhatte- also eigentlich. Dass ich das schon auch ein bisschen heiß fand, wenn er mir Ansagen machte, musste er ja nicht so offensichtlich wissen. Ich holte den Nachtisch aus dem Kühlschrank und drückte ihn Wincent in die Hand, der schon angezogen an der Haustür stand. Ich legte noch mal Parfum auf und schlupfte in meine Jacke. „Du riechst gut", kommentierte Wincent und drückte mich an sich. Vom ersten Tag an war er dem Duft verfallen und ich wusste das. Grinsend sah ich zu ihm hoch. „Ich würd mich freuen, wenn wir nicht völlig betrunken nach Hause kommen", meinte ich. Wincent lachte. „Ich mich auch, aber ich weiß nicht, ob das an dem heutigen Abend funktionieren wird", erklärte er mir und schloss hinter uns die Tür. Ohje, das wird noch schlimmer als erwartet, dachte ich. Ein Glück gab es- wie es sich gehört- Schnitzel und Kartoffelsalat zum Essen, sodass ich eine gute Grundlage hatte. 

Ich würde behaupten ich war recht trinkfest, aber als diese Familie um 21 Uhr schon mit Schnaps anfing, wusste ich nicht wo wir noch landen würden. Als ich den Tisch mit abräumte, passte mich Angela in der Küche ab. „Es ist schön, dass du da bist", sagte sie und ich war mir unsicher, ob ihr Redebedarf am Alkohol lag oder nicht. „Ehrlich Emma, es tut mir so leid, wie das Letztens gelaufen is, das wollte ich nicht. Ich bin wirklich froh, dass du an seiner Seite bist. Ich hab ihn viel zu lange nicht mehr so glücklich gesehen", redete sie weiter und sie merkte wohl, wie unangenehm mir das irgendwie war. „Jedenfalls wollte ich nur, dass du weißt, dass du immer hier in dieser Familie willkommen bist und dass wir dich nie mehr hergeben", strahlte sie mich an und nahm mich in den Arm.

Die emotionalen Ausbrüchen in dieser Familie erwischten mich immer noch eiskalt. „Ich freu mich auch, dass ich hier bei euch gelandet bin", gab ich zu, was ja wirklich der Wahrheit entsprach. Ich konnte mir keine bessere Familie vorstellen. Okay, ich zweifelte kurz daran, als wir uns wenig später bei Bierpong gegenüber standen, aber im Großen und Ganzen war ich sehr zufrieden. Die waren genauso durchgeknallt wie ich. „Shayenne, wenn du noch einmal daneben wirst, brech ich ab", hörte ich Wincent sagen. Er musste jeden zweiten Becher alleine trinken, weil Shayenne seiner Meinung nach zu jung dafür war. Sie war 15, ich mein, wir haben da auf den Festivals ganz andere Sachen gemacht. „Soll ich dir was verraten, Shayenne? Der tut immer nur so, dabei hat der sich mit 15 schon so besoffen, dass...", stichelte ich und hatte damit direkt Wincents Aufmerksamkeit. „Das ist nicht richtig so", versuchte er sich zu verteidigen, „und außerdem, woher willst du das wissen? Du warst ja nicht mal dabei". Ich sah ihn herausfordernd an. „Bist du dir da sicher?", fragte ich und sah seinen Kopf förmlich rauchen. Er hatte scheinbar keine Erinnerung daran. „Ne...niemals...daran könnt ich mich doch erinnern", murmelte er. Ich lehnte mich an den Tisch und trank meinen gewonnenen Becher aus. „Wir waren so ne große Truppe...du hast mich einfach übersehen", meinte ich. Wincent schüttelte immer wieder mit dem Kopf. „Außerdem standest du damals auf Tine...zumindest hast du ganz schön an ihr rumgebaggert- ob sie das gut fand? Keine Ahnung", zog ich ihn auf. „Oh bitte, müssen wir eigentlich jedes Weihnachten über Wincents Frauengeschichten reden?", klinkte sich Shayenne ein und damit wechselten wir das Thema.

Die Beiden verbündeten sich allerdings gegen Angela und mich und so war ich am Ende des Abends ganz schön angeheitert. „Gibts noch was zu Essen?", lallte ich und durchsuchte den Kühlschrank. Dass es fast drei Uhr in der Nacht war, war mir herzlich egal- ich hatte Hunger! Ich klaute mir noch ein kleines Stückchen Fleisch und steckte gerade einen Löffel in den Salat, als Wincent neben mir auftauchte. „Niemals warst du damals mit dabei", sagte er und erschreckte mich wieder so sehr, dass ich mir den Kartoffelsalat in den Ausschnitt kleckerte. Wincent grinste mich an, als er mich so sah. „Das war jetzt nicht mein Plan, aber gefällt mir trotzdem...warte, ich helf dir", meinte er und ehe ich mich versah, saß ich auf dem Küchentresen und Wincent stand zwischen meinen Beinen. Der Alkohol in meinem Blut ließ mich jede Berührung noch intensiver wahrnehmen. Meine Haut prickelte, als seine Finger sanft über mein Schlüsselbein in meinen Ausschnitt glitten. Unbewusst hielt ich die Luft an. Ich schlug meine Augen auf und sah direkt in Wincents breites Grinsen. Ja, er hatte mich wie immer in der Hand. „Tine hatte damals schon mehr zu bieten als ich", murmelte ich. Wincent rollte mit den Augen. „Ey ich kann mich offensichtlich an gar nichts mehr erinnern...und du hast genau soviel, wie ich brauche...eine gute Hand voll...mehr sähe komisch an dir aus", philosophierte er und ich verschwendete keinen Gedanken daran, dass wir hier bei seiner Mum waren.

Ich ließ mir meine Bluse weiter auf- und direkt wieder zu knöpfen. „Wir sind hier nicht Zuhause", hörte ich Wincent sagen und damit kam ich wieder im Hier und Jetzt an. „Tatsächlich...", seufzte ich. „Weißt du, ich fand dich damals schon gut...aber mir war klar, dass ich keine Chance hätte...aber ich muss gestehen die paar Jahre stehen dir nicht schlecht", brabbelte ich. Amüsiert sah mich Wincent an und strich mir durch die Haare. „Du bist voll, Herz!", lachte er, „aber danke für die Blumen, dass ich offensichtlich alt werde. Und du hättest sicher eine Chance gehabt, wenn du damals schon so ne Klappe gehabt hättest wie heute". Ich grinste ihn an. Aber leider hatte ich das nicht. „Na los, du musst ins Bett", grinste Wincent und ehe ich mich versah, hing ich über seiner Schulter. Ich versuchte zu protestieren, aber ich hatte keine Kraft mehr. 

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