Kapitel 83

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Wincent

Und das sogar schneller, als ich es gedacht hätte. Kaum eine Woche später rief mich am Nachmittag völlig unerwartet Linda an. Es kam bisher so gut wie nie vor, dass sie mich anrief, warum auch. Aber Emma war in einem Zoom-Meeting mit Amelie und hatte ihr Handy ausnahmsweise mal aus. Somit musste es wirklich wichtig sein. Ich hob ab und setzte mich auf die Couch. „Wincent, hier ist Linda", fing sie an. „Ich weiß, hab ich gesehen", versuchte ich zu witzeln. Ich konnte nicht einschätzen, was sie wollte. „Ja ähm, also...ich brauch deine Hilfe", redete sie weiter und ich setzte mich automatisch wieder auf. „Du musst unseren Kram abholen", meinte sie. „Hä? Welchen Kram? Warum? Und wo überhaupt?", fragte ich nach, weil ich nicht verstand worauf sie hinaus wollte. Linda seufzte und ich war mir sicher sie rollte mit den Augen. Emma hätte wohl längst gepeilt, was los war. „Kannst du bitte mit dem Bus zu Marcos Wohnung kommen und unsere Sachen zu mir nach Hause fahren?", fragte sie nochmal ruhig. Noch immer hatte ich nicht so ganz gepeilt, worum es ging. „Klar, kann ich machen, aber...warum?", fragte ich ein weiteres Mal nach. Wieder Seufzen am anderen Ende. „Komm einfach her, dann erklär ichs dir", meinte Linda und legte auf. 

Große Fragezeichen erschienen über meinem Kopf. Ich hatte erst noch zwei Tage vorher mit Marco telefoniert und da war alles gut. Ich klopfte an Emmas Büro und nachdem sie nicht antwortete, trat ich trotzdem ein. „Mensch, Wincent, ich arbeite", stöhnte sie direkt, als sie sich zu mir umdrehte. Entschuldigend hob ich meine Hände. „Ich weiß, ich wollt auch gar nicht lang stören. Ich wollt dir nur sagen, dass ich zu Linda muss, irgendwelche Sachen abholen...ich hab keine Ahnung", erklärte ich ihr, was ich eigentlich nicht erklären konnte. Sofort weiteten sich ihre Augen. „Wie? Sachen abholen? Zieht sie aus?", rief sie aus und erst dann begriff ich es wohl. „Scheint so", brabbelte ich nur, weil ich mich selbst erstmal sortieren musste. „Du bist echt n Held, ey", seufzte sie und schob mich aus der Tür. „Amelie, ich ruf dich heut Abend wieder an, sorry", wimmelte Emma sie ab und folgte mir.

Wir fuhren die paar Minuten zu Marco und da stand Linda schon mit Adam im Maxicosi in der Hand davor. Emma nahm sie direkt in den Arm, während mir die Babyschale in die Hand gedrückt wurde. Ich hörte die Mädels irgendwas reden, aber ich verstand nicht wirklich viel davon. Nur dass Linda heulte. Okay, es war scheinbar ernst. Warum hatte Marco mir nichts davon gesagt? Adam wurde unruhig, also nahm ich ihn raus und setzte ihn auf den Rasen. „Mädels, was is eigentlich los? Könnt ihr mich mal aufklären?", stellte ich dann die für mich wichtigste Frage des Tages. Linda seufzte wieder und sah mich mit ihren roten Augen an. „Ich muss erstmal ausziehen, zurück zu Mama. Marco gehts nicht gut, er fühlt sich eingeengt und ist mit allem überfordert. Und bevor sich das noch auf seine Beziehung zu Adam auswirkt, zieh ich lieber die Reißleine und lass ihm seinen Freiraum", erklärte sie tapfer. Ich bewunderte sie für so viel Verständnis und Diplomatie. Ich wusste nicht, ob ich das könnte. Aber die Beiden waren schon immer anders als wir, und ihre Beziehung ja sowieso. „Das tut mir leid", meinte ich und nahm sie in den Arm, „er hat mir nie was davon gesagt...". „Ich glaub er hat mit Niemandem geredet und das ist auch vielleicht n bisschen das Problem daran", schniefte sie. „So ein Arsch", mischte sich Emma ein. „Sag das nicht so", kam es zeitgleich von Linda und mir und daraufhin musste sogar sie kurz grinsen. „Okay okay", meinte Emma und hob entschuldigend beide Hände, „wir hassen ihn also nicht...". Ich legte meinen Kopf schief und sah sie an. Natürlich taten wir das nicht. Linda sah das offensichtlich noch rationaler als wir und da sollten wir uns wohl zurückhalten. Adam zupfte irgendwann an meinem Hosenbein und ich nahm ihn auf meinen Arm.

Fragend wandte ich mich an Linda, wir standen schließlich nach wie vor noch vor Marcos Wohnung. „Also ich hab schon alles gepackt, viel wars ja nicht, nur meine Klamotten und Adams Zeug. Drei Taschen und vier Kartons, steht alles im Wohnzimmer", waren ihre Instruktionen an mich. Also übergab ich das Kind an die Frauen und stapfte die Treppen nach oben. Lindas gepackte Sachen waren nicht zu übersehen, aber dass Marco seelenruhig daneben auf der Couch saß, verwunderte mich. Nein, es machte mich sogar rasend. Ich stellte mich vor ihn und wartete bis er mich ansah. Was er natürlich nicht tat. Er starrte stumm auf den Boden. Ich sah mir das einen Moment an, aber dann platzte mir der Kragen. „Was stimmt mit dir nicht, Alter? Deine Frau zieht aus! Und nimmt dein Kind mit", sagte ich. Dann sah er mich endlich an. „Sie ist nicht meine Frau!", bluffte er mich an. Ich rollte mit den Augen. „Stimmt, sie ist sogar mehr als das. Sie ist die Mutter deines Kindes, verdammt. Was soll der Scheiß, dass du sie gehen lässt?" Marco stand auf und stellte sich dicht vor mich. Meinte er, das würde mir Angst machen? Bitte. „Du hast ja überhaupt keine Ahnung! Das ist mir grade alles zu viel...zu eng...zu viel Verpflichtungen. Ich kann das nicht. Ich brauch mal wieder Luft zum Atmen. Ständig dreht sich alles nur um die Familie. Ich wollte nie eine Familie, verdammt", schrie er mich an. Und irgendwo war ich froh darüber. Dass er endlich mal rausließ, was ihn scheinbar fertig machte. „Ja, Marco, das hättest du dir vorher überlegen können. Du hattest deinen Spaß mit ihr, also jetzt komm auch mit der Konsequenz klar. Schau sie dir an, sie ist perfekt. Euer Kind ist perfekt", redete ich auf ihn ein.

Wir waren beide laut, ja, und da die Wohnungstür offen war, würde uns wahrscheinlich das ganze Haus hören, aber das war mir egal, und Marco offensichtlich auch. „Komm mir nicht so, Alter. Das ist der bescheuertste Spruch ever. Und du hast überhaupt keinen Plan. Du hast ja kein Kind", machte er mich weiter an und da riss mir endgültig die Hutschnur. „Alter, komm mal klar und sei n Mann. Beweis einmal, dass du Eier in der Hose hast und es nicht immer nur darum geht welche Frau du als nächstes flach legen kannst. Krieg dich wieder ein und kümmer dich um dein Kind. Und hör auf zu jammern, ey, du kannst dich so glücklich mit ihr schätzen, sie tut alles für euch", wurde ich wieder laut. Ich war rasend, weil ich nicht verstand was sein scheiß Problem war. Zu viel Verantwortung, ernsthaft? Bevor er weiter meckern konnte, machte ich direkt weiter. „Krieg dein Leben in den Griff und werd erwachsen, Marco. Du hast jetzt ne Familie, das ist dein Job. Wenn du Linda abservieren willst, okay, aber du bleibst Adams Vater. Und das nicht nur auf dem Papier, sondern so richtig, hast du mich verstanden? Meine Güte, ey, das ist Jammern auf hohem Niveau, was du da machst. Und Linda nimmt dich auch noch in Schutz und lässt dir deinen so genannten ‚Freiraum'", schüttelte ich mit dem Kopf. Ich griff mir die ersten Taschen und trug sie nach unten zum Auto. Ich konnte ihn gerade nicht ertragen, weil ich nicht wusste, was ich ihm noch alles an den Kopf werfen würde. Ich stopfte das Zeug irgendwie ins Auto und ließ dabei meinen Frust raus. Bevor ich mich wieder in die Höhle des Löwen begab, richtete ich wenigstens einen Satz an Linda.

„Es tut mir leid, dass er so ein Vollidiot ist", entschuldigte ich mich in Marcos Namen. Bis ich auch die letzten Sachen aus der Wohnung geräumt hatte, hatte er nichts weiter mehr zu mir gesagt. „Ich geh jetzt. Es tut mir leid, was ich alles gesagt hab, aber es ist die Wahrheit. Du bist n Mann also benimm dich auch wie einer und kämpf um deine Familie, du Depp. Du weißt, wenn du reden willst, bin ich da", meinte ich und drückte kurz seine Schulter. Als er nichts mehr erwiderte, ging ich und schloss die Tür hinter mir. 

Nur mit DirWhere stories live. Discover now