Der Runterfallbefürchter - Von schiefen Bildern und Transpirationstheorien

134 1 0
                                    

Es ist wohl unstrittig, dass wir in einer Zeit leben, in der wir Helden bitter nötig haben. Angesichts des Elends und der beklagenswerten Zustände lechzt die Menschheit nach dem Besonderen, der in den Stunden bitterster Not helfend und rettend herbeieilt.  

Die meisten Superhelden arbeiten - der Kenner weiß es bereits - im Verborgenen und versuchen ihre Identität zu schützen. Bisweilen aber müssen sie ihre bürgerliche Maskerade aufgeben, um dem Volk ihre Kräfte zur Verfügung zu stellen, falls es die Sachlage erfordert. Bei älteren Superhelden hingegen ist auffällig, dass sie ihre Spezialfähigkeiten zu vom Publikum völlig unerwarteten Zeitpunkten aufblitzen lassen. Die gerade geschilderten Sagen des Türabschließers und des Tanzfeststellers mögen dafür als Beispiele dienen. Aber als ob es nicht reichen würde, dass die beiden gerade genannten Helden der Menschheit mit grandiosen Superkräften zur Seite stehen, entpuppte sich auch der Vater des bereits erwähnten Nikolaus Schröder als bisher unentdeckter Held. 

Herbert Schröder stand aber von den drei Vätern wohl am wenigsten in Verdacht, geheime Fähigkeiten zu haben. Vielleicht orientierte er sich ja auch an Clark Kent, bei dem man ja auch nicht ahnen konnte, dass sich hinter dieser unauffälligen Gestalt Superman verstecken würde.  

Vater Schröder konnte man, wann auch immer man das Schrödersche Domizil betrat, mit einer Jogginghose bekleidet, auf der Wohnzimmercouch liegend vorfinden. 

Schröders lebten in einem aus vier Wohneinheiten bestehenden Reihenhaus, in dem jede Familie über einen eigenen Eingang zu über 100 qm Wohnfläche verfügte. Nach dem Passieren eines kleinen Windfangs kam man in den Hauptwohnraum, in dem auch eine Treppe in die oberen Gemächer führte.  

Nikolaus hatte ein Reich unter dem Dach des Hauses. Wenn man also den feinen Herren besuchen wollte, musste zwangsläufig das Wohnzimmer der Schröders tangiert werden.  

Stets - ich möchte sogar sagen: immer - lag Herr Schröder auf der Couch und starrte stundenlang in den Fernsehapparat, ohne ein Wort zu sagen. Dabei hatte er die Beine so angewinkelt, dass der Außenknöchel des einen Beines auf dem Knie des anderen auflag und eher einer Dehnübung ähnelte als einer bequemen Wohlfühlposition. Er war so sehr auf das Programm fixiert, dass er oftmals nicht mitbekam, dass ich das Haus betrat oder wieder gehen wollte. Wenn ihm meine Gegenwart mal dennoch auffiel, informierte er mich stets mit der gleichen Wortwahl über den Aufenthaltsort seines Sohnes, der mir ohnehin schon bekannt war: „Der Niki ist oben!" 

Frau Schröder sagte mal: „Den kannst Du mit der Couch hier aus dem Haus tragen - trotzdem würde er davon nichts mitbekommen!"  

Das Bild vom joggingbehosten Herbert Schröder auf der Couch hatte sich derart bei mir eingebrannt, dass ich ihn mir gar nicht mehr in einem anderen Setting vorstellen konnte. 

Es begab sich, dass ich gemeinsam mit Thomas Igel einen Überraschungsbesuch bei Nikolaus machte. Auf so etwas konnte der ja gar nicht: Als Menschenfeind war es ihm eh' zuwider, sich mit Menschen befassen zu müssen, und dann auch noch Besuch ohne Vorankündigung!  

Wie erwartet schlecht gelaunt und missmutig wurden Thomas und ich in Nikolaus' Zimmer empfangen. Aus jeder Faser des jungen Schröderkörpers, aus jeder Geste, aus jedem Blick, war spürbar, dass unsere Anwesenheit ein Dorn im Professorenauge war. Da Thomas Igel bei weitem nicht so einfühlsam ist wie ich, bemerkte er nicht, dass wir hier nicht erwünscht waren.  

Mir waren die Launen meines Sidekicks bestens bekannt, und ich wusste, dass wir lieber schleunigst gehen sollten, ehe er einen Tobsuchtsanfall bekam. Die mangelnde Sozialkompetenz hochintelligenter Menschen ist ja sprichwörtlich.  

Nonverbal versuchte ich Thomas zu signalisieren, dass der Zeitpunkt des Aufbruchs direkt wieder kommen musste. Wie so oft glänzte der Kollege durch eine lange Leitung. 

halbzeit - eine bilanz     von superhelden, frauen und komikernDonde viven las historias. Descúbrelo ahora