Matthias Mantel - Von Zeiten der Aufklärung und unerwarteten Wendungen

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Die nächste Woche in Essen verlief relativ normal. Montagnachmittag besorgte ich einen Kasten Bier, welchen ich Schneider am Dienstag vor Arbeitsbeginn unter vier Augen wortlos überreichte. So brauchte ich zum Glück keine doofen Fragen von Herti oder O bezüglich der verlorenen Wette zu beantworten, sondern musste nur Schneiders überhebliche Fresse erdulden. Er kostete seinen Sieg aus und freute sich vermutlich auch über den kostenlosen Alkohol. In Anbetracht seines Erziehungsauftrags in Sachen Höltzchen wollte er aber auch eine detaillierte Berichterstattung.  

Als ich ihm von dem Abend erzählte, wobei ich einige kleinere Details wegließ - es sollte ja nur authentisch sein und ihn nicht geil machen -, steigerte sich sein fettes Lachen in einen eindrucksvollen Hustenanfall. Er schlug sich immer wieder auf die Oberschenkel und hatte aufgrund der Lach-Hust-Synthese einen hochroten Kopf. Müsste man dem Begriff Schadenfreude ein menschliches Abbild geben, wäre Martin Schneider in jenem Moment prädestiniert.  

Selbst Stunden später begann Schneider unerwartet loszulachen, wurde er durch eine nicht vermeidbare Begegnung mit O wieder an die Story erinnert. Der dünne Mensch setzte wieder seinen abschätzigen Schakalblick auf, sagte aber nichts. Ansonsten war er eigentlich wie immer, nur dass er nicht nach Irish Moos stank und von sich selber in der dritten Person sprach. 

Herti bekam Schneiders Lachattacken auch mit, interessierte sich aber mehr für seine Bildzeitung. 

Am Mittwoch dieser Woche hatte Schneider die spontane Idee, Freitagabend doch in der Bochumer Innenstadt auszugehen und in einem Außensitz ein paar Getränke zu konsumieren. 

Ich hielt das für eine gute Idee, zumal ich mit Schneider gerne Zeit verbrachte. Leider Gottes artikulierte er seine Ansprache zu einem denkbar schlechten Zeitpunkt, denn Höltzchen betrat gerade das Zimmer A4. 

Als er unser Vorhaben hörte, krähte er unaufgefordert: „Coole Idee! Ich bin dabei! Also 19 Uhr am Mandragora?" Schneider verdrehte die Augen, und ich musste auch erst einmal begreifen, was hier abging. 

Normalerweise mied er die Stubenälteren in seiner Freizeit, was von uns auch durchweg begrüßt wurde. So ein offensives eigenständiges „Einklinken" hatte ich noch nicht erlebt. Aber vermutlich hatte er in seinem dünnen Geiste eins und eins addiert und war zu dem Ergebnis gekommen, dass er so nah wie letzten Freitag beziehungsweise frühen Samstagmorgen noch nie an dem unbekannten Wesen Frau dran war. Offensichtlich unterlag er der irrigen Annahme, jetzt irgendwie zu den coolen Typen zu gehören. Ein einmaliges Aufblitzen von Ansatzintelligenz riet ihm: Halte Dich an die Person, die das ermöglichte, und es wird wieder passieren. 

Zwar passte das Ganze weder Schneider noch mir, aber aus irgendeinem unbekannten Grund remonstrierten wir nicht, sondern ließen seinen Ausspruch unkommentiert im Raume stehen. 

Auch am Freitag beglückte uns der Komiker da oben mit gnadenlosem Sommerwetter, so dass ich gleich nach Feierabend, welcher uns an Freitagen schon immer eher ereilte, nur kurz nach Hause fuhr, um mich umzuziehen. Es wäre blasphemisch gewesen, bei so einem Wetter nicht dem Zweiradkult zu frönen.  

Nach einer ausgiebigen Runde durch das Ruhrtal war ich jedoch zu früh am verabredeten Treffpunkt in der Bochumer Innenstadt. Biegt man von der Viktoriastraße in die Kortumstraße, ist diese vielleicht noch einhundert Meter befahrbar und wird dann zur Fußgängerzone, nach rechts kommt man in ein Parkhaus, linksseitig befindet sich der eigentliche Konrad-Adenauer-Platz, welcher in Sommermonaten unter anderem auch der Außensitzbereich des Mandragora ist. Auf einer Fläche von geschätzten 400 Quadratmetern stehen Tische und Stühle.  

Ich parkte meine FZR genau am Anfang der Fußgängerzone am Rand der Kortumstraße, was damals noch bei Zweiradfahrern verkehrsüblich war. Später wurde das dann durch die Obrigkeit der Stadt gnadenlos sanktioniert.  

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⏰ Letzte Aktualisierung: Jan 20, 2013 ⏰

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