Martin Schneider und Carsten Hertmann-Von Lehrjahren und Geschenken...

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Im Jahre 1990 musste selbst ich mich ausbilden lassen, um auf dem späteren Lebensweg - ganz nach den Wertvorstellungen des Türabschließers und dem Sicherheitsdenken des Normdeutschen - einen ordentlichen Beruf zu bekleiden. 

Die Ausbildung in der Ruhrmetropole Essen brachte es mit sich, dass ich temporär ähnlich wie beim Wehrdienst kaserniert wurde, allerdings ging es bei weitem nicht so spartanisch und militärisch zu. Man musste nach Feierabend auch nicht an der Örtlichkeit residieren, hatte aber dennoch die Option dazu. 

Ich war in zwei circa 14 qm großen, einfach möblierten Zimmern untergebracht, die mit einer Durchgangstür verbunden waren und sich in einem riesigen alten Gebäudekomplex mit einem kammartigen Grundriss befanden. Diese Räume bewohnte ich mit drei weiteren Auszubildenden, welche ich zunächst nur kurz alphabetisch vorstellen möchte: Carsten Hertmann, Olaf Holtz und Martin Schneider. 

In dem hinteren unserer beiden Räume standen Betten einfachster Holzbauart, 90 cm mal 200 cm, immerhin mit Lattenrost. Als Nachttisch zwischen den einzelnen Möbeln dienten uralte Holzstühle. Meine alte Jugendzimmerkompaktanlage mit dem klangvollen Namen „Schneider Power Pack" hatte ich zur Hebung der Lebensqualität in diesen tristen Zimmern neben meinem Bett aufgestellt. Die Playtaste des Kassettendecks war schon vor Jahren aufgrund von Materialermüdung durch Dauerbenutzung abgebrochen. Da ich schon in Zeiten frühester Jugend erkannte, dass Frauen entspannter werden und leichter erkennen, was sie wirklich wollen, spielte ich seit Anbeginn der Zeitrechnung adäquate Musik in ihrem Beisein. 

Diese Anlage gereichte uns während der Lehrzeit oftmals zu einer relaxten einstündigen Mittagspause, da wir uns regelmäßig durch die Klänge von Marillions „Misplaced Childhood" in den Schlaf spielen ließen. Außer Carsten Hertmann kannte natürlich keiner der Stümper eine der besten Bands der Welt, und wie so oft war es wieder an mir, missionarisch tätig werden zu müssen.  

Im vorderen Raum befanden sich Schränke, Schreibtische und Stühle. Einfach, praktisch und völlig verwohnt. Jedes Zimmer besaß ein doppelflügeliges Fenster mit Holzrahmen, dessen Substanz sich erfolgreich über Jahrzehnte gegen wiederholtes Oberflächenfinish gewehrt hatte. Schaute man hinaus, sah man eine graue betonierte Parkfläche mit angrenzendem Grüngürtel und einen Tennisplatz, der seine besten Jahre schon hinter sich hatte. Schaute man hinein, fiel der Blick auf mittlerweile graue Raufaserwände, insoweit die Tapete noch vorhanden war, welche sich sicherlich nicht gegen ein Oberflächenfinish in Form von einfacher weißer Farbe gewehrt hätte, wäre es nur jemals dazu gekommen. Von innen hingen vor den Fenstern zwei Gardinenarten. 

Zum einen eine klassische Ado-Gardine, welche dem Sichtschutz galt und vermutlich ehemals weiß war. Niemals mehr auf meinem weiteren Lebensweg ist mir dieses Produkt in dieser Farbgebung aufgefallen - man sah sie handelsüblicherweise in strahlendem Weiß - was mich zu dem Schluss kommen ließ, dass der vorhandene Zustand so nicht ab Werk geliefert wurde, sondern eher Jahren von permanenter Nikotinluft geschuldet war. Der Farbton hatte noch nicht mal die Farbe eines zartschmelzenden Vanilleeises sondern erinnerte eher an ein Glas mittelscharfen Senfs. 

Zum anderen hing dort ein grob strukturierter, orangefarbiger Vorhang, welcher zur Verdunkelung des Raumes gedacht war, bei direktem Sonneneinfall aber eher das Zimmer in eine interessante mediterrane Farbnuance tauchte. Dieses war auch, wie ich später bemerkte, das Lieblingseinrichtungsstück von Martin Schneider: Wann immer er seinen zarten Körper auf seinem Bett direkt am Fenster des hinteren Zimmers flegelte, nestelte seine rechte Hand unkontrolliert an genau diesem Stoff.  

Körperhygiene und Notdurft wurden in Kollektivräumlichkeiten am Ende des langen, schlauchartigen Flures des Wohntraktes verrichtet, den wir mit weiteren Azubis bewohnten. Das Toilettenpapier war das raue, hellgraue, einlagige und die Lüftung bauartbedingt marginal. Da die drei WC-Kabinen und vier Duschen zu Stoßzeiten oft sechzehn Humanoide gleichzeitig abfertigen mussten, konnte die olfaktorische und gustatorische Wahrnehmung schon mal minimal getrübt werden. Das Wasser der Duschen war stets nur lauwarm, und bei selbiger Tätigkeit kam zufällig immer eine ältere weibliche Reinigungskraft in die Duschen, um irgendwas Unbestimmtes aus einer Art Vorratsschrank zu holen. 

halbzeit - eine bilanz     von superhelden, frauen und komikernWhere stories live. Discover now