Stefan Erbs - Von Haute Couture und Pionieren maschinenbetriebener Fortbewegung

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Stefan und ich lernten uns kennen, als ich geschätzte 12 Jahre alt war. Er wohnt noch immer in der Ein- bis Zweifamilienhaussiedlung, in der auch der Türabschließer und seine Frau ihr Eigenheim hatten, und ist um die drei Jahre älter als ich. Stefan stammt aus einem gut betuchten Elternhaus, ist um die 175 cm groß, dunkelblond, schlank und hat O-Beine. 

Solange ich mich erinnern kann, hatte er immer die Fahrzeuge, die ich herbeisehnte: Eine Mofa von Malaguti, eine Yamaha RD 80 LC1 mit weinroter Vollverkleidung, eine Yamaha FZR 1000. 

Einen Opel Kadett C, einen 3er BMW Modellreihe E21, einen Honda CRX Typ AS. 

Trotz allen Scheins konnte mir Stefan Erbs aber selbst damals nichts vormachen: Ich durchschaute ihn, und trotz all seiner materiellen Vorteile wusste ich tief in meinem Herzen, dass ich in einer anderen Klasse spielte. 

Dennoch machte ich gute Miene zum bösen Spiel und fuhr gerne bei ihm mit beziehungsweise bei - war es doch damals schon wesentlich bequemer von A nach B zu kommen, ohne sein Tourenrad oder den regionalen Nahverkehr zu bemühen. 

Auch fragte ich mich nicht lange, wie Stefan es trotz seiner bescheidenen Optik immer schaffte, relativ gut aussehende Frauen am Start zu haben. Seine Rechnung ging auf. Eine gewisse Klientel Frauen steht bekanntermaßen auf Fahrzeuge. Da brauchte es in jungen Jahren noch nicht mal das Fahrzeug schlechthin zu sein - die bloße Tatsache, dass ein KFZ vorhanden war, reichte aus. Frauen sind doch so einfach. 

Überraschenderweise waren seine Freundinnen alle - sowohl vom Typ als auch von der Profession - Friseuse. Böse Zungen behaupteten, dass seine Mutter ihren eigenen Friseursalon nur für die Akquise möglicher Schwiegertöchter eröffnet hatte.  

Über die einschläfernde Art Stefans könnte man sicherlich noch so einige Zeilen verlieren, dennoch möchte ich hier nur auf zwei Punkte explizit und nachdrücklich hinweisen, da dieses Buch nicht zum Ziel hat, die Leserschaft in den Schlaf zu begleiten:

1. Stefan ist der Mensch, der mich erstmals 135 PS der mächtigen Yamaha FZR 1000, Baujahr 1988, blau-weiß, hat spüren lassen. Dieses epochale Ereignis erlebte ich als Beifahrer auf der Beschleunigungsspur der Auffahrt Wattenscheid der A 40 in Fahrtrichtung Dortmund. Ich glaubte, dass meine Arme immer länger wurden, dass das Ziehen der Beschleunigungskräfte am eigenen Körper nicht aufhörte und dass die Autos nicht stehen, nein, auf der eigenen Fahrbahnseite aufgrund ihrer wesentlich geringeren Geschwindigkeit sogar entgegen zu kommen schienen. Ab diesem Zeitpunkt wusste ich, dass Einstein ein weiser Mann war und Raum und Zeit relativ sind.

2. Stefan Erbs' gleichbleibender nie erreichter Minimalismus in Wort und Bild: Er trug immer denselben Haarschnitt. Der Nacken war anrasiert, das Deckhaar war halblang und in der Mitte gescheitelt. (An dieser Stelle sei der Querverweis auf den Film „A Night At The Roxbury's" erlaubt. Sowohl Doug als auch Steve Butabi, die beiden Hauptfiguren des Filmes, kopieren die Erbs'sche Frisur, nur in länger).  

Er machte sich permanent um einen verfrühten Haarausfall und daraus resultierender Glatzenbildung Sorgen, indem er fast schon minütlich kammartig mit den Fingern durch sein Haupthaar strich, um unmittelbar danach prüfend seine Fingerzwischenräume zu begutachten, ob und - wenn ja - wie viele einzelne Haare dieser Bewegung zum Opfer gefallen waren. Sein Markenzeichen war ein andauernder mieser Oberlippenbart.  

Er trug wirklich immer Bundfaltenjeans, Bömmelhalbschuhe, Bömmelmokassins oder Bömmelslipper, ein Polohemd oder ein schlichtes T-Shirt, gerne mal ein Hemdchen, aber immer schön in die Hose gesteckt. Wie von Mutti angezogen.  

Ich denke, Ihnen ist klar geworden, dass dieses Modegenie, das darüber hinaus des Öfteren durch eine sprichwörtliche Uneloquenz brillierte, insofern ein wichtiger Bestandteil meiner Jugend wurde, da er mir dramatisch vor Augen führte, wie ich eben nicht werden wollte. Allerdings hatte er mir einen Sinn des Lebens, nämlich Motorräder, näher gebracht, weshalb ich ihm anstandshalber noch ein gewisses Maß an Restrespekt schuldete.

halbzeit - eine bilanz     von superhelden, frauen und komikernWhere stories live. Discover now