Tuhka |27|

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Tuhka
Noun | Meaning:
Ash

Jisung war sich nicht sicher, was er mehr hasste, das Warten oder die unangenehme Tatsache, dass seine Vampirzähne die ganze Zeit seine Lippen von innen zerstachen. Irgendwie hatte er den Dreh noch nicht raus, was die Arbeit mit diesen Dingern anging.
"Hörst du jetzt endlich mal mit dem Zähneknirschen auf? Das treibt mich in den Wahnsinn!", knurrte Minho, der gerade neben ihm in einem Buch stöberte. Jisung verdrehte die Augen, versuchte dennoch seine Zähne zu ignorieren, damit der Braunhaarige ihm nicht den Kopf abriss. Stattdessen wandte er seiner Aufmerksamkeit Hyunjin und Jeongin zu, die gemeinsam ein ausgedachtes Spiel zu spielen schienen. Chan saß mit Seungmin in einer Ecke und diskutierte angeregt mit ihm.
"Kann man Vampire im Spiegel sehen?", fragte Jisung in die Runde und setzte sich in den Schneidersitz. Die Frage hatte er sich schon vor langer Zeit gestellt, aber immer wieder vergessen. Changbin nahm vor ihm Platz, damit er nicht schreien musste.
"Früher konnten Vampire ihre Reflexion in Spiegeln nicht sehen, da sie mit einer Schicht Silber unterstützt wurden. Silber wurde zur damaligen Zeit als 'reines' Metall angesehen, was sich auf die Vampire auswirkte. Heute stattdessen werden die modernen Spiegel mit einer Schicht Aluminium bestückt. Das heißt, wir können uns im Spiegel betrachten."
Hyunjin seufzte theatralisch.
"Zu den Sternen, das ist großartig. Ich wüsste nicht, was ich machen sollte, wenn ich meine Schönheit nicht im Spiegel betrachten könnte."
Jisung und die anderen Anwesenden begannen zu lachen und zu kichern. Jeongin schlich sich währenddessen von hinten an den Blonden Vampir heran, um ihm mit einem Buch zu schlagen.
"Eitelkeit stinkt!"
Hyunjin wirbelte herum und begann den Blauhaarigen durch den Schuppen zu jagen. Durch den aufgewirbelten Staub begann Jisung zu niesen. Immer und immer wieder, bis die Tür zum Raum geöffnet wurde. Minho stellte sich sofort in Kampfposition. Chan und Changbin taten das Gleiche. Die kühle Luft vermischte sich mit der angestauten Luft, was Jisung zum wohligen Ausatmen brachte. Frische Luft. Um Minhos Hand flackerten Blitze und der Blonde musste sich unweigerlich fragen, ob er auch irgendeine Kraft besaß. Seine Mutter hatte gemeint er sei der stärkste Vampir, den es bisher gegeben hat. Doch was war seine Gabe, seine Fähigkeit?
"Kein Grund die Pferde scheu zu machen. Ich bin es nur."
Jisung beobachtete wie Minho und der Rest sich entspannten. Der Blonde hingegen hatte keine Ahnung, wessen Stimme das war, geschweige denn wie die Person dazu aussah. Nachdem sich alle draußen versammelt hatten, konnte auch der Vampir einen Blick auf den Neuankömmling und Botenüberbringer erhaschen. Seine rosanen Haare sprangen ihm zuerst ins Augen, jedoch war sein nettes Aussehen durch einen durchdringenden, müden Blick zu nichte gemacht.
"Das ist also der Prinz", sagte er und umrundete den Blonden mit verschränkten Armen. Dann zuckte er die Achseln und entfernte sich wieder.
"Mir solls Recht sein."
Jisung legte den Kopf schief und kniff die Augen argwöhnisch zusammen. Was sollte das bedeuten?
"Gibt es Verletzte? Was ist alles passiert? Wieso ist das passiert?", fragte Chan sofort, als sie ihren Rückweg antreten wollten. Nur hatte Jisung keine Ahnung, wie man sich die Vampirschnelligkeit zu Nutze machte, schließlich wurde er auf dem Hinweg getragen. Ehe er sich erklären konnte, waren der mysteriöse rosafarbene Vampir, genau wie Hyunjin, Jeongin und Changbin schon über alle Berge, dass er lediglich ihre Silhouetten sehen konnte.
"Das war übrigens Min Yoongi. Einer von Jimins geschätzten Gefolgsleuten", erklärte ihm Seungmin und rümpfte die Nase. Ob es dem Älteren Vampir galt, der sie aus dem Schuppen geholt hatte oder dem Staub aus, war dem Blonden nicht bekannt. 
"Du hast aber ein anderes Problem, stimmt's?"
Felix grinste ihn an, als würde er ihm zu gern zeigen, wie man seine Schnelligkeit nutzte. Chan und Seungmin verabschiedeten sich, während Felix und Minho blieben.
"Also. Fangen wir. Zuerst musst du dich auf dein Ziel konzentrieren. Tief ein- und ausatmen."
Jisung folgten den Anweisungen und konzentrierte sich auf die Schule. Seine Atmung war vollkommen regelmäßig. Sein Herz schlug normal. Darüber müsste er sich später noch einmal Gedanken machen. Er hatte ein funktionierendes Herz! Er schüttelte den Kopf, um sich zur Vernunft zu bringen. Minho, den er im Augenwinkel betrachtete, merkte scheinbar seine Gedanken. Sein Grinsen war jedenfalls nicht zu übersehen.
"Du machst das großartig. Und jetzt fühle in dich hinein. Du weißt, dass etwas in dir ist. Du weißt, dass es lebt und frei sein möchte. Lass es gewähren."
Jisung schloss die Augen, hörte etwas in sich rumoren und dann öffnete er die Tore. Er wusste, dass dies nicht seine Magie war, dafür war es zu schwach.
Er setzte einen Fuß vor den anderen und im nächsten Moment spürte er den Wind von Vorne in seinem Gesicht, spürte das Kitzeln auf seinen Wangen, auf seiner Nase, spürte die Luft auf seinen Lippen. Allerdings bedachte er nicht die Umgebung und seine Gangart war irgendwie falsch. Im Hintergrund hörte er Felix und Minho. Aber da war es schon zu spät. Mit einem Affenzahn stolperte er über eine Wurzel und purzelte anschließend über Stock und Stein, bis Dreck und Erde sein ganzes Gesicht bedeckten. Der Himmel über ihm strahlte, als er sich auf den Rücken legte.
"Das erste Mal ist immer eine Herausforderung", lachte Felix und half ihm auf. Minho unterdessen kam einen Augenblick später bei ihnen an und prustete sofort los. Jisung verschränkte verärgert die Arme vor der Brust und stampfte mit dem Fuß auf den Boden.
"An deinem wütenden Blick musst du noch pfeilen, Kleiner", kicherte der Ältere, wobei er ihm ein paar Zweige aus dem Haar zog. 
Jisung mochte Minhos Lachen. Er tat es zwar nicht oft, aber er tat es ehrlich und voller Freude, dass er nicht anderes konnte, als diese Wärme in sich zu verspüren. Dieses Band, welches ihre Emotionen und Gefühle miteinander verflocht.
"Wir sollte weiter. Und diesmal bitte keine Ausflüchte abseits des Weges!", sagte Minho und rannte voraus.
"Yaaaah! Hier gibt es gar keine Wege, du Saftschnute!", rief ihm Jisung hinterher und verfolgte den Braunhaarigen, während Felix an seiner Seite blieb.
Sie erreichten die Schule kurz vor Sonnenuntergang. Es dämmerte und die letzten Strahlen erleuchteten den Himmel. Ein großes Feuer riss Jisungs Aufmerksamkeit auf sich und er kam am Ende das Waldes, welcher zum Schulhof führte, zum Stehen.
"Was ist hier los?", fragte er einen umherstehenden Menschen, der ihn sofort mit ängstlichen und doch belustigten Augen ansah.
"Sie verbrennen die toten Körper der Dämonen, auf das sich nicht wiederbelebt werden", murmelte er und starrte in die Flammen. Er schien ehrlich mitgenommen zu sein und Jisung wollte ihm schon helfen, da zog ihn Felix mit sich. Die Anderen grüßten ihn mit einem Grinsen. Er verdrehte nur die Augen.
"Jisung!"
Er drehte sich um und wurde sofort von zwei starken Armen in die Mangel genommen.
"Geht's dir gut? Wie fühlst du dich? Ist noch alles dran?", wollte seine Mum wissen. Er drückte die Vampirin zurück und nahm eine ihrer Hände.
"Mum, mir geht es großartig. Alles ist bestens."
Sie schaute ihn mit ihrem typischen Ich-glaube-dir-kein-Wort-Lächeln an, ließ es aber darauf beruhen. Er war dennoch froh, sie wohlauf zu sehen. Eine weitere Gestalt tauchte hinter seiner Mutter auf, die ihm die Hand entgegenstreckte.
"Ich bin die Rektorin. Ho Hyun Ju."
Jisung nahm ihre Hand entgegen, wobei er nicht umhin kam einen Blick zu Minho zu zu werfen, der die Zähne fletschte.
Vor dieser Frau sollte er sich in Acht nehmen.
Über ihr schwebte der Tod.

Cordolium {Minsung}Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt