Bolide |31|

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Bolide
Noun | Meaning:
A shooting star

"Wo führst du mich hin?", fragte Jisung lachend, doch Minho blieb stumm und zog ihn mit sich. Der Tag war anstrengend gewesen, hatte sich gezogen wie Kaugummi, dass Jisung sich jetzt  liebsten vor den Fernseher warf und sich irgendeine Serie reinzog. Da hatte er die Rechnung aber ohne den Älteren gemacht, denn dieser hatte ihn ohne Worte aus dem Wohnhaus gezogen und nun stampften sie durch den Wald abseits der Schule. Ihr Weg führte sie über Felder voller Lavendel, durch Gestrüpp und Büsche, über Hügel und Bäche mit kleinen Fischen darin. Die Aussicht war sehenswert und atemberaubend, dass Jisung gar nicht mehr aus aus Staunen herauskam. Halt machten sie erst, als die Dämmerung schon einsetzte und der Blonde fragte sich, wie lange sie schon unterwegs waren.
"Sind wir bald da?", quengelte er nun schon seit einer Weile. Minho quetschte stattdessen seine Hand und Jisung jaulte laut auf.
"Ich stoße dich gleich diesen Abbang hinunter, wenn du nicht gleich die...was machst du da?"
Minho hielt inne, als er Jisung beobachtete, wie er hinunter sah.
"Gucken, ob der Sturz es wert ist."
Ein Klatschen schallte durch die Ebene, was Jisung kichern ließ, als er bemerkte, dass der ältere Vampir sich gegen den Kopf geschlagen hatte und nur den Kopf schüttelte.
"Du bist unverbesserlich", seufzte er und nahm Kurs auf ein Waldstück, dass mit einem kleinen Teich und einer Lichtung bestückt war.
"Du hast ein Picknick vorbereitet?", freute sich der Blonde und begann auf und ab zu hüpfen, nachdem er die ausgebreiteten Decken und die Körbe sah.
"Ich hatte ein wenig Hilfe von den anderen. Los, setz dich!"
Minho schob ihm zu dem angerichteten Festmahl, welches Felix und der Rest mit ihm gezaubert hatten.
"Womit habe ich das verdient?", fragte der Blonde misstrauisch und besah sich das Ausmaß der Leckereien.
"Es gab nichts zu verdienen. Ich wollte dir einfach etwas schenken, weil du großartig bist."
Jisung errötete und stammelte ein Dankeschön. Komplimente von anderen waren immer so....schwierig zu akzeptieren. Sie stattdessen zu verschenken fiel ihm um einiges leichter.
Minho grinste und reichte ihm sein Lieblingssnack. Erdbeeren mit Schokolade überzogen. Jisungs Augen wurden riesig und er strahlte über beide Ohren, während er genüsslich das Obst verspeiste.
"Sieh mal!"
Der Braunhaarige zeigte zum Himmel und Jisungs Mund klappte auf. Sternschnuppen. Ganz viele. Es war eine Schar voller Lichter und Leuchten, dass er noch nie in seinem bisherigen Leben gesehen hatte.
"Das hast du alles arrangiert, oder? Du wusstest, dass heute Abend Sternschnuppen über uns hinwegziehen."
Die Augen des Blonden glitzerten und kurzerhand schmiss er sich mit seinem Gewicht auf den Braunhaarigen und brachte ihn dazu rückwärts auf die Decken zu fallen. Jisung lachte laut, bevor der Ältere ihn zu sich zog und einen Arm um ihn schlang. Gemeinsam bewunderte sie das Spektakel der Natur. Jisung schloss die Augen und wünschte sich etwas. Danach drehte er seinen Kopf zu Minho, der mit einem kleinen Lächeln die Sternschnuppen beobachten. In diesem Moment voller Dunkelheit und Licht und Liebe und der Natur war Jisung glücklich. Allein die Tatsache, dass Minho neben ihm lag, ließ die Schmetterlinge in seinem Bauch einen Tanz vollführen. Er war wirklich glücklich. Er brauchte keinen Titel, ja nicht einmal Geld, Minho reicht ihm vollkommen aus. Seine Nähe und Wärme ließen ihn wohlig seufzen. Und er dankte den Sternen und dem Universum und dem Schicksal, dass er lebte, dass er diesen Moment mit seinem Seelenverwandten teilen konnte.
"Meine erste Sternschnuppen habe ich gesehen, als ich mit meinem damaligen Team auf einem Schlachtfeld stand. Die Sonne war gerade untergegangen, während wir unsere Verstorbenen begruben."
Jisung hörte die Traurigkeit in seiner Stimme mitschwingen. Freunde zu begraben musste furchtbar sein, nein, man konnte es nicht einmal in Worte fassen.
"In dieser Nacht, da habe ich mir gewünscht, dass all das Leid, dass all die Wut, der Schmerz und der Tod endlich ein Ende haben sollte."
Der Blonde vernahm die Verbitterung. Er hörte den Schmerz und wusste, dass sein Wunsch nicht in Erfüllung gegangen war.
Minho setzte sich auf und holte eine Flasche Wein aus dem Korb und zwei Gläser. Jisung konnte gar nicht so schnell gucken, da füllten sich die Gläser schon.
"In jener Nacht wurde mein Trupp in den Bergen angegriffen. Eigentlich waren wir sicher, doch ein Kamerad von mir hat uns verraten und dann..."
Der Braunhaarige kippte den Wein hinunter, als wäre es Wasser.
"Und dann bin ich explodiert. Wortwörtlich. In dieser Nacht starben nicht nur die Dämonen, sondern auch meine Freunde."
Minho schloss die Augen und Jisung ahnte nur, dass er gedanklich wieder zurück war, wo das Leid an Größe annahm, wo die Welt sich veränderte, wo er sich veränderte.
"Bis heute, bis heute habe ich mir das nie verziehen. Nicht mir, nicht meiner Magie, die ich danach begann zu verteufeln."
Jisung blickte zum Himmel und nahm Minhos Hand in die Seine. Er malte kleine Kreise auf seinen Handrücken, um ihn zu beruhigen. Er spürte die Unruhe in ihm und das schmerzte dem Blonden in seiner Brust. Minho trug dieses Päckchen mit sich rum. Schon so lange, lange bevor Jisung überhaupt geboren war.
"Ich bin hier. Ich bin an deiner Seite und trage diese Last mit dir."
Der Braunhaarige dankte seinem Mweya im Stillen. Ihm war klar, dass Jisung egal, was er war oder zu sein schien, stets bei ihm sein würde. Er hatte keine Angst vor ihm.
"Und dann habe ich Chan getroffen. Gut, viel mehr hat er mich gefunden, besoffen und voller Kotze in irgendeinem Wald. An diese Nacht kann ich mich überhaupt nicht mehr erinnern."
Minho seufzte und stellte sein Glas ab und sah zu den Sternschnuppen.
"Aber Chan, Chan hat mir gezeigt nicht aufzugeben. Er hat mir gezeigt, dass das Leben nicht nur aus Grausamkeiten bestand. Und dann habe ich dich getroffen."
Jisung nahm wahr, wie der Braunhaarige ihn von der Seite betrachtete und lächelte. Minho war komplett benommen, er kämpfte, um die Schönheit von Jisungs Geist zu verstehen, das Universum zu verstehen, welches ihm inne wohnte. Mit pochendem Herzen in seiner Brust blickte er in die grünen Augen des Blonden und realisierte, dass die Sterne seit langer Zeit darin gefangen waren.
"Wirst du meine dreckigen Finger halten. Wirst du meine in alkoholgetauchten Lippen küssen? Wirst du meine Narben und Kratzer und meine verabscheuungswürdige Haut lieben? Wirst du meinen mit Angst und Kummer gefüllten Verstand lieben? Würdest du ein Monster lieben?"
Jisung sah ihn an. Für eine Sekunde, dann eine halbe Minute und dann für eine Minute, ehe er den Mund öffnete.
Dieses Verständnis, dass sich darin widerspiegelte, war erschreckend ehrlich.
"In jedem Lebewesen, in jedem Monster, in jedem Menschen und jedem Vampir steckt Sonne, man muss sie nur zum Leuchten bringen."
Es war eine naive, schöne Denkweise und an dieser würde er sich festklammern.

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Guten Abend, meine lieben Leser und Leserinnen!
Ein neues Kapitel, einen Einblick in Minhos Vergangenheit!

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Erin🌸

Cordolium {Minsung}Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt