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Sein Herz rutscht ihm in die Hose, als er die Verfassung sieht, in der sein fester Freund sich gerade befindet.

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"Hey, hey, hey."

So ruhig wie er nur kann redet er auf den Älteren ein, während er einen Arm um seine Schultern legt und den schluchzenden Jungen vorsichtig an einem ziemlich besorgt aussehenden Kun in sein Zimmer leitet.

"Alles okay, Schatz. Alles okay. Ich bin ja da."

Wenn dann verleitet diese Aussage Yuta eher dazu, noch intensiver zu schluchzen.

Shit.

Sicheng navigiert die beiden an dem dreckigen Klamottenstapel, der sicher schon zwei Wochen auf dem Fußboden liegt, vorbei und auf sein Bett zu. Dort angekommen zieht er Yuta mit sich runter, sodass die beiden nebeneinander auf der Bettkante hocken. Sein Arm um den Rücken des Japaners gelegt, während sein Daumen Kreise auf dessen Schulter zeichnet.

Ohne groß drum rum zu reden, kommt Yuta auch schon direkt auf den Punkt: "Ich bin nicht genug."

Autsch.

Es wird so ein Abend. Was Sicheng garantiert weiß, ist, dass es nicht leicht wird.

"Für mich bist du genug."

"Lüg mich nicht an, ich bin doch allen scheiß egal."

Glaub mir doch bitte einfach.

"Yuta, sag sowas nicht."

"Was mache ich für einen Unterschied? Niemand braucht mich!"

Doch, ich brauche dich, ich brauche dich, ich brauche dich...

"Ich brauch dich noch."

"Ich mach doch eh immer nur alles falsch."

Manchmal...

"Nein, rede dir das jetzt nicht ein!"

"Verdammt, Sicheng, merkst du es denn nicht? Ich habe dich betrogen, okay? Mit Taeyong. Nicht nur einmal. Wie kannst du denn nur so blöd sein?"

Denkst du wirklich, ich habe es nicht bemerkt?

Winwins Gehirn sollte mittlerweile daran gewöhnt sein, wie Yuta tickt, aber irgendwie überrascht es ihn immer wieder, was für Gedankensprünge der andere macht. Nicht auf die positive Art und Weise.

Sichengs Stille wird von Yuta wohl falsch gedeutet.

"Es ist einfach am Besten für alle, wenn", ein weiterer abgehackter Schluchzer unterbricht seinen Satz, "ich einfach sterben gehe."

"Nein, Yuta! Nein! Ich kann nicht ohne dich. Was soll ich denn machen?"

Er weiß, er ist egoistisch.

"Hör auf so eine Scheiße zu sagen, du bist einfach nur betrunken!"

Er weiß, dass es nicht nur ist, weil er betrunken ist. Betrunkene Geständnisse sind nüchterne Gedanken. Aber das verdrängt er, verdrängt er mit aller Macht.

"Das kannst du nicht bringen!"

Die Schluchzer werden hysterischer. Winwin kann nichts machen, als seinen besten Freund fest in seine Arme zu schließen und ihn an seiner Schulter weinen zu lassen.

Irgendwie ist es schon ironisch. Wieso ist Yuta derjenige, der weint, wenn es eigentlich Sicheng sein sollte? Wieso leidet Yuta und Sicheng muss ihn auffangen, wenn es andersherum sein sollte?

Sicheng fühlt sich schuldig. Innerlich hat er in der Vergangenheit schon zu oft den Sachen zugestimmt, die Yuta gesagt hat. Während der gesamten Konversation konnte er nur denken, wie Yuta nicht ein einziges Mal an ihn, seinen besten, seinen festen Freund, denken konnte.

Wie kann es seinem Freund so schlecht gehen, wenn er sein Bestes versucht, um ihn glücklich zu machen?

Ist er ein schlechter Mensch?

Er hat sich schon so oft über Yutas Verhalten ihm gegenüber beschwert...

Verdient er wirklich mehr, wenn andere Menschen viel größere Probleme haben?

Bei Yuta ist alles immer schlimmer. Dramatischer. Schmerzvoller.

Er hasst es. Er hasst sich selbst dafür, dass er es hasst, dass es bei Yuta schlimmer ist. Er hasst sein schlechtes Gewissen, wenn er sich innerlich darüber aufregt, wie schlecht sein Leben läuft, wenn andere so etwas durchmachen müssen. Er hasst die Anderen dafür, dass sie so etwas durchmachen. Er hasst ihre Probleme dafür, dass seine Probleme wegen ihnen nichts wert sind. Er hasst sich selbst so sehr. Er hasst sich dafür, dass er auch Probleme will. Nein, er will nicht Probleme. Das ist falsch formuliert. Er will, dass seine Probleme bemerkt werden. Er möchte selbst hören, dass er genug ist. Dass sein Aufwand wertgeschätzt wird. Dass er ein guter Mensch ist. Auch wenn er tief in sich drinnen weiß, dass das eine Lüge wäre. Er würde es einfach gerne hören.

Er hasst, was er gerade denkt. Abgrundtief. Aber er kann es nicht verhindern.

Wie selbstsüchtig kann ein Mensch nur sein, um so etwas zu denken? Die Antwort ist einfach: so selbstsüchtig wie er.

der yuta-effekt // yuwinWo Geschichten leben. Entdecke jetzt