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Am späten Abend sitze ich immer noch an der gleichen Stelle in meinem Flur und starre auf den Fußboden. Wieso musste ich immer wieder so sein? Warum konnte ich nicht einfach... Warum? Ich war es so gewohnt, dass jeder immer etwas an mir auszusetzen hatte, dass ich bei Jannis schon gar nicht mehr wirklich daran geglaubt hatte, dass es hier anders sein könnte. Das er wirklich eine Person war, die mich nicht direkt verurteilen würde, sondern mich tatsächlich so sah und auch mochte wie ich wirklich bin.

Jannis hatte an gar nichts Schuld. Diese Erkenntnis war sehr schnell bei mir eingekehrt, aber meine eigene Unsicherheit und die Panik ganz alleine dazustehen, hatten mal wieder dafür gesorgt, dass ich den einzigen Menschen von mir weggestoßen habe, der seit langer Zeit wirklich für mich da war und mir gut tat. Jannis war anderes. Und genau deswegen mochte ich ihn so unfassbar gerne. Genau das sorgt aber auch dafür, dass ich noch misstrauischer war, als eh schon. Ich konnte nicht absehen wie ich reagieren würde, wenn er... wenn er am Ende doch genauso war wie Nila oder meine Eltern. Wenn er sich doch entscheiden sollte über mich zu urteilen und jeden meiner Schritte in Frage stellen würde... Da ich mir nicht sicher war, ob ich damit klar käme, hatte ich vorhin die erste Gelegenheit genutzt um ihn von mir wegzustoßen. Ich war ihm gegenüber nicht fair gewesen, aber ich konnte meine Worte nicht mehr zurück nehmen. Es tat mir jetzt unfassbar leid, aber ich war wie gelähmt und saß seit Jannis verschwunden war in meinem Flur auf dem Fußboden.

Der ganze Tag spielte sich immer wieder in meinem Kopf ab und mit jeder Schleife fühlte ich mich schlechter. Allen voran Jannis gegenüber, aber auch Nila. Vielleicht hatte ich mich in den letzten Jahren einfach selbst soweit ins Aus geschossen, dass sie gar nicht anders konnte als so zu sein? Ich lasse meinen Kopf nach hinten an die Wand sinken, atme tief durch, aber so gern ich aufstehen will, ich kann nicht. Auch nicht als es irgendwann wieder an der Tür klopft.

Ich will nicht aufmachen. Nicht wenn ich mich so fühle. Mit Sicherheit sehe ich grauenvoll aus und eigentlich will ich gar keinen sehen. Erstmal sollte ich wohl mit mir selbst klarkommen. Es klopft wieder, aber auch dieses Mal reagiere ich nicht. „Lia? Bist du da?", als ich Nilas Stimme durch die Tür höre, zucke ich kurz zusammen. Sie kam noch nie zurück, wenn wir uns gestritten hatte . Bisher war immer ich diejenige gewesen, die nach einem Streit wieder kam und sich entschuldigt hat. Aber wollte sie sich überhaupt entschuldigen? Oder war sie nur hier um noch einen drauf zu setzen?

„Lia? Ich weiß, dass du da bist, also... Es tut mir leid", ungläubig starre ich die Tür vor mir an, während meine Schwester weiter spricht, „Ich hätte vorhin nicht so... Ich... Ich hab über deine Worte nachgedacht und John nochmal angerufen und er... er hat den Kuss so runter gespielt und wollte dich darstellen, als... Ich... Gott Lia, es tut mir wirklich unglaublich leid! Keine Ahnung was mit mir los war, aber ich... ich hätte... ich hätte für dich da sein sollen, dich verteidigen und nicht fertig machen dürfen. Ich mach mir doch nur Sorgen um dich. Und das schon die ganze Zeit. Ich will nur dein Bestes! Und dabei... schieße ich wohl immer über das Ziel hinaus... Aber... Lia du musst etwas ändern! Das geht so doch nicht weiter! Irgendwann musst du dich entscheiden was du machen willst und wenn du das eben nicht kannst, dann... dann... muss ich da eben ran oder Mum und Dad.... Das musst du doch auch verstehen!"

Fassungslos stoße ich die Luft aus, die ich bisher angehalten habe. Erst entschuldigt sie sich und dann fängt sie wieder mit der ganzen Sache an? Sie, Mum und Dad müssten da etwas tun, wenn ich es nicht hinbekomme? Ich bin schneller auf den Füßen, als ich es mir selbst zugetraut hätte und reiße die Tür auf. „Ihr müsst bei gar nichts ran. Das einzige was ich mir von euch wünsche ist, dass ihr mich unterstützt, mir helft und mich nicht fertig macht! Ich brauche Support und keine Bevormundung! Und so lange ihr das nicht versteht, kann ich euch nicht auch noch gebrauchen. Ich muss selbst sehen wie ich mit all dem klarkomme und für welchen Weg ich mich entscheide. Also überlegt euch einfach ob ihr damit weiter machen wollt wie bisher oder ob ihr mir vertraut, dass ich meinen eigenen Weg finde. Sag einfach Bescheid, wenn ihr euch entschieden habt", meine Wut verraucht mit jedem Wort und ich werde zum Ende hin immer leiser. Nila öffnet mehrmals ihren Mund, schließt ihn aber dann direkt wieder ohne etwas gesagt zu haben. „Wir sehen uns, Nila", mit diesen Worten schließe ich leise meine Wohnungstür.

UnexpectedWhere stories live. Discover now