7. Patrick Mendel

6.4K 257 19
                                    

Ihr mögt gemerkt haben, ich lese gerne. Besonders gerne las ich realitätsnahe Bücher mit Protagonisten in meinem Alter. Deswegen war das Internet für mich inzwischen auch kaum noch entbehrlich, denn wenn man mal von John Green absah, gab es nicht allzu viele Autoren, die das einhielten. Und bei John Green war natürlich alles perfekt. Weil er es geschrieben hatte. Das war von anderen Geschichten allerdings nicht zu behaupten.

Unter einem gewissen Aspekt konnte man diese Geschichten in vier verschiedene Kategorien unterteilen. Der Aspekt sind die Eltern. Egal ob von dem Protagonisten oder von jeder beliebigen Nebenrolle.

In Kategorie 1 sind die Eltern Arschlöcher und sind entweder nie da oder lassen ihren Kindern freie Hand. Oder zumindest der Protagonistin oder dem Protagonisten.

In Kategorie 2 ist höchstens ein Elternteil ein Arschloch, während das andere scheinbar arbeitslos ist. Dieses Elternteil ist nämlich immer zu Hause. Immer. Es sei denn, die Hauptrolle möchte eine Homeparty schmeißen oder mit dem fast-Freund schlafen.

In Kategorie 3 sind die Eltern entweder auf dramatische Weise gestorben. Oder die Hauptrolle ist von zu Hause getürmt. Jedenfalls existieren die Eltern nicht.

Kategorie 4 trägt den liebevollen Namen „John Green“-Kategorie, weil das realistisch ist. Die Eltern haben einen Job und versuchen sich dezent (oder weniger dezent) in das Leben ihres Kindes einzumischen. Aber nicht einmal in dieser allumfassenden Kategorie, die nur wenige Autoren nutzen, sind meine Eltern enthalten.

Es ist keine Seltenheit, dass die Eltern getrennt sind. Genau genommen, ist das meistens so. Meine Eltern sind sich aber dank ihren sehr einnehmen Jobs, die ihnen sehr am Herzen liegen, relativ ähnlich. Eine Mischung aus Kategorie 1 und Kategorie 4. Sie arbeiten viel und lassen mir meistens freie Hand. Trotzdem versuchen sie sich stur in mein Leben einzumischen und werden nie einsehen, dass ich das schon lange nicht mehr brauche. Jedenfalls sind sie selten da. Außer, wenn man sie überhaupt nicht gebrauchen kann. Und genau dann fangen sie auch an, sich in mein Leben einzumischen.

So war es jedenfalls, als ich um halb drei von Rewi und Patrick nach oben kam und von den verärgerten Blicken meiner Mutter durchbohrt wurde. Die Sache war folgende. Ich war heute morgen verpeilt und nur mit Badesachen, Portemonnaie und Schlüssel in Rewis Auto gesperrt worden. Ich war zwischen 19.30 Uhr und 20 Uhr zu Hause gewesen und war dann erst um kurz nach drei nach oben getapst gekommen. Ich hatte kein einziges Mal auf mein Handy geschaut, auf dem die verpassten Anrufe offenbar die Menge aller reellen Zahlen (da spricht der baldige Mathe-Leistungskurs aus mir) darstellte. Also sehr viel. Meine Mutter war laut eigener Aussage um fünfzehn Uhr mit dem Vorhaben mich und Valentin bekannt zu machen, hier aufgekreuzt. Nur bin ich nicht da gewesen. Gegen 19 Uhr, hat sie mit Valentin für das Abendbrot eingekauft und eine knappe Stunde später war sie wieder da. Wir hatten uns also genau verpasst. Der nächste Teil ihrer Story beschrieb, wie sie davon ausgegangen ist, dass ich spätestens um zehn wieder da wäre. Damit hätten wir auch die Uhrzeit zu der Valentin gegangen ist, weil er noch arbeiten wollte. Die restlichen fünf Stunden meiner Rückkehr hatte meine Mutter damit überbrückt mein Zimmer zu durchsuchen.

Tja. Hatte ja früher oder später passieren müssen. Wenn man mal von all den vollgeschriebenen Notizbüchern (Tagebucheinträge, Wünsche, Portraits, lustige erfundene Cocktailrezepte und schlimmeres), die sie sicherlich teilweise überflogen hatte, absah, waren da noch die leeren Bierflaschen von Simon, Felix und mir und sehr, sehr viele Fotos, die auf diversen Konzerten oder Partys entstanden waren und definitiv nicht für meine Mutter gedacht waren. Dazu zeigte meine Mutter sich sehr entsetzt „Shades of Grey“ bei mir zu finden. Übrigens ein entsetzlich langweiliges Buch. Da konnte ich ja besser schreiben. Austauschbare Dialoge, Charaktere und eine Grundidee, die jede Frau ab achtzehn mit einem Hauch von sexueller Erfahrung hätte aufschreiben können. Ohne den ganzen Sex wäre das Buch nie im Leben in irgendeiner Weise berühmt geworden. Meine Meinung. Jedenfalls schien meine Mutter außerdem noch pikäre Abschiedsgeschenke aus Frankreich gefunden zu haben. Dazu muss man sagen, dass meine Freunde dort einen leichten Sinn für schwarzen Humor und anzügliche Witze hatten. Das dürfte Dinge wie essbare Unterwäsche und flauschige, pinke Handschellen erklären. Dachte ich zumindest. Meine Mutter sah das anders. Andere Sorgenpunkte waren, dass sie mir nach diesen Funden partout nicht glauben wollte, dass ich meinen Abend unschuldig und (fast) ohne Alkohol und (ganz) ohne Drogen mit Rewi und Patrick in deren Wohnung und einer Kneipe verbracht hatte.

Ardian Bora. | ArdyWhere stories live. Discover now