17. Betrunken

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„Damit hat sich das Feiern dann für dich." Ardian schleuderte mit dem Fuß etwas Sand auf die halbverdauten Überreste von ein paar wenigen Süßigkeiten und meinem letzten Abendbrot. Ich starrte entgeistert nach unten. Ich war einer der wenigen Menschen in meinem Alter, der trotz regelmäßigen Konsums noch nie aufgrund von Alkohol gebrochen hatte. Noch nie. Kein einziges Mal in meinem alkoholbeeinflussten Leben, hatte ich gebrochen. Dieser Triumph sollte so schnell verschwunden sein? Ein paar Stunden ohne Essen, ein bisschen zu viel Alkohol und schon wehrte mein Körper sich gegen mich?

„Sag' das nicht Felix", brachte ich hervor und stützte mich auf einem der Barhocker ab. Den Barkeeper schien mein kleines Malheur komplett kalt zu lassen. Der war das bestimmt gewohnt. Scheiß, Ausländer – immer kotzen die alles voll. Ardian zog mich unsanft hoch. Ich wischte mir mit meinem Shirt provisorisch den Mund ab. Haltet das für ekelig, aber ihr wollte Kotze echt lieber am Shirt, als um den Mund rum haben.

„Willste dich hinlegen?" Ardian wirkte genervt. Wahrscheinlich unterschieden seine Gedanken sich nicht großartig von denen des Barkeepers. Ich entwickelte aber gerade ein neues Hochgefühl. Seid irritiert, aber wenn es nichts mehr gibt, was ihr auskotzen könntet, dann geht es euch direkt besser. Das ist wie beim Reden. Wenn du jemandem gegenüber stehst und dich nach Herzenslust über alles aufregen kann, was dich „ankotzt", dich also sprichwörtlich mal über alles ordentlich auskotzt, dann geht es dir danach immer besser, weil du dich ausgekotzt hast. Beim Essen auskotzen ist zumindest das Prinzip sehr ähnlich.

„Der erste Tag und du kotzt", brummte Ardian.

„Du bist offenbar kein sehr guter Babysitter." Ich strich mir durch die Haare und richtete mich auf. Ich wollte baden gehen.

„Ich gehe jetzt baden", verkündete ich. Ardian zuckte mit den Schultern und deutete auf das Bier vor sich. Ich schaute ihn kurz verwirrt an und begriff dann, dass die Geste sich nicht an mich, sondern an den Barkeeper richtete, der auch schon eilig am Nachfüllen war. Ich hasste es, mich immer angesprochen zu fühlen. Das war mir nämlich jedes mal unglaublich unangenehm. Und ich fühlte mich wie ein Egozentriker, was ich verglichen zu Ardian nun mal eher nicht war.

Fast trotzig zog ich mir das Shirt über den Kopf. Ich lief einigermaßen gerade in Richtung Meer. Ardian folgte mir nicht. So ein Arschloch. Ich entschied, ihn zu ignorieren. Wenn er nicht mit mir fliegen wollte, war mir das egal. Ich wollte fliegen. Oder schwimmen. Beides gleichzeitig wäre gut.

Das Wasser war mir zu kalt. Schon als ich den ersten Schritt in das kühle Nass machte, war mir das bewusst. Warum wollte ich noch mal baden gehen? Ich hatte meine Hose noch an und es war kalt. Aber ich wollte Ardian etwas beweisen. Ich wollte ihm beweisen, dass ich nicht abhängig von ihm war. „Aber Ardian ist nicht hier, um das zu sehen", erinnerte mich eine der Stimmen in meinem Kopf.

„Das ist mir egal", flüsterte ich.

„Ich muss mir beweisen, dass ich nicht abhängig von ihm bin." Ich redete mit mir selbst. Wenn das nicht der Beginn des Wahnsinns war, was dann?

Das Wasser sah so unheimlich schön aus. Es umspielte meine Füße und färbte sich im Licht der untergehenden Sonne rot. Gänsehaut breitete sich über meinen ganzen Körper aus. Ich hatte Angst davor weiter reinzugehen. Und langsam, mit starrem Blick auf den Sonnenuntergang, machte ich einen Schritt zurück. Nur einen kleinen Schritt. Doch dieser kleine Schritt reichte schon und mein Beweis war gescheitert. Ich, die Person, der alles egal war, die Person, die nur für sich selbst lebte, war abhängig. Abhängig von Ardian Bora.

Es tat schon fast weh, zu sehen, wie mein zweiter Triumph, meine zweite Errungenschaft, mit der Sonne im Meer verschwand. Es reichte zumindest, um mir Tränen in die Augen zu treiben. Meine Füße verließen das Wasser. Ich spürte, wie kleine Sandkörnchen sich an meine Fußsohlen hefteten. Rechts von mir (und damit meine ich, sehr weit rechts von mir) setzte laute, dumpf hämmernde Musik ein. Trotz meiner leicht depressiven Stimmung haftete dem Szenario etwas Schönes an. Etwas Melancholisches. Etwas, das einen dazu brachte innezuhalten und den Sonnenuntergang zu hinterfragen. Ich griff hinter mich. Tastete nach meinem Notizbuch. Doch es war nicht da und der Moment verstrich, ohne, dass ich ihn für die Nachwelt festzuhalten. Ohne ihn für mich festzuhalten.

Ardian Bora. | ArdyWhere stories live. Discover now