Lesemorgen 2 – Für ihn
„Tachchen", sagte Ardian tiefenentspannt und setzte sein freundlichstes Lächeln auf. R starrte nur Marina an.
„Was machst du hier, Ardian?", knurrte ich. Er bemerkte mich. Langsam wanderten seine in dem Licht fast schwarz wirkenden Augen zu mir und das Lächeln auf seinen Lippen wurde so breit, dass es sarkastisch wirkte. Ich erinnerte mich an den letzten Plan, den ich unter den Augen von Leonardo DiCaprios hübschen Gesicht ausgearbeitet hatte.
„Delilah! Ich hatte so sehr gehofft, dich hier zu finden." Ich war mir nicht sicher, ob er das tatsächlich gehofft hatte. Warum sollte er denn hier sein, wenn er nicht mich gesucht hatte? Oh. Da fiel es mir wieder ein. Er wollte sehen, wie ich litt. Wahrscheinlich hatte er deshalb allen erzählt, dass ich und John Schluss gemacht hatte. Beziehungsweise dass John mit mir Schluss gemacht hat.
Eigentlich müsste ich ihm dafür noch an die Kehle gehen.
„Ich hasse dich", fauchte ich und funkelte ihn böse an. Er kniff mir in die Wangen und zog ein Lächeln in mein Gesicht.
„Ich freue mich auch dich zu sehen, Engelchen", flötete er in einer grauenvollen Interpretation meiner Stimme. Er war ordentlich betrunken. Marina zögerte.
„Das ist Marina", sagte ich. Ardian lächelte Marinas Brüste an. Ich drehte mich weg.
„Longdrink?", hörte ich seine blöde Stimme, der man einfach nicht wirklich böse sein konnte.
„Lilah, ich rede mit dir", sagte dieselbe Stimme noch einmal. Ich drehte mich wieder zurück. Viel unangenehmer konnte die Situation ja nicht werden.
Ardian legte seinen Kopf schief und bedachte mich mit einem leisen und viel zu freundlichen Schmunzeln.
„Der Longdrink ist für dich, Lilah. Ich weiß, dass du Longdrinks magst. Deine Freundin ist außerdem schon gut drauf. Die braucht keinen Alkohol mehr." Ich hielt meine sture Maske aufrecht. Jetzt konnte er mal wissen, wie blöd das war, wenn man keine Ahnung hatte, was sein gegenüber dachte.
„Schnecke, strecke deine wunderschönen Brüste mal jemand anderem ins Gesicht, ich finde die handliche Version besser", sagte Ardian an Marina gewandt und servierte sie damit vor aller Augen eiskalt ab. Marinas durch Tonnen von Schminke unnatürlich groß wirkende Augen weiteten sich noch weiter und schienen nun ihr ganzes Gesicht einzunehmen und ich blinzelte irritiert, als Ardian sie so direkt ins Nirvana schickte. Sie funkelte ihn kurz böse an. Aber kaum hatte sie sich umgedreht waren Linda und Sarah schon wieder an ihrer Seite und schenkten ihr die Aufmerksamkeit, die sie jetzt nötig hatte. Und auch wenn die beiden wirklich nett sein konnten, war sogar ich jedes Mal entsetzt davon, wie sehr sie sich an Marina anpassten. Nicht nur von den Klamotten her, auch von der Art sich zu bewegen und zu reden. Als wäre ihr ganzes Leben einzig und allein darauf ausgerichtet jemand anderes zu sein.
Ardian schaute ihnen hinterher. Und zwar wirklich ihnen und nicht ihren Ärschen.
„Im nicht sie selber sein, sind die fast so gut wie du", er klopfte mir anerkennend auf die Schulter und schob mir den Longdrink hin.
„Ich hab schon viel zu viel getrunken", murmelte ich. Ich konnte ihm auch diese Worte nicht übelnehmen. Ich war tatsächlich nicht viel besser.
„Offenbar nicht. Sonst wärst du gut drauf." Ardian stieß für sich selbst mit Bier und Longdrink an, um danach beides hinter zu kippen.
„Also, Lilah. Du hast Fragen und dir fällt langsam wieder ein, dass du sauer auf mich bist." Ich nickte bestätigend und versuchte den seltsam apathischen, resignierten Zustand der gerade in meinem Kopf verherrschte wieder durch den Rachepläne schmiedenden Teufel in mir zu ersetzen. Klappte nicht.
„Warum bin ich nicht wütend auf dich?", fragte ich. Jetzt war ich wieder schlecht drauf. Schon alleine deshalb, weil ich nicht stinksauer sein konnte.
„Ah", Ardian schien auf diese Frage gewartet zu haben und wackelte warnend mit seinem Zeigefinger vor meiner Nase herum. Mot einem Mal erschien mir diese Bewegung unerträglich nervig. Alles erschien mir unerträglich nervig. Der Geruch nach Rauch, zu viel verschiedenes Deo über frischem Schweiß, der Alkohol, der dröhnende Bass der ewig gleichen Techno Musik, die inhaltslosen Unterhaltungen.
„Raus", würgte ich hervor. Mir war schlecht. Ardians Finger hielt still. Das Licht flackerte. In meinen Erinnerungen sehe ich dieses Szenario nur noch als einzelne Momentaufnahmen.
Ardians Hand um meine Schulter, die andere ausgestreckt, wie er mich durch die Menge zieht. Die uns fröhlich zuprostenden Jungs vor dem so nervtötenden Licht der Tür. Der penetrante Geruch des Parfums von dem Mädchen vor uns, das Ardian auf die Tanzfläche ziehen wollte. Dann Luft. Die verlassene Straße und der überrascht schauende Marvin. Ardians Gesicht dicht vor meinem, wie er seinen Mund bewegte, ohne dass die Worte zu mir durchdrangen. Kurz dachte ich, ich müsste wieder kotzen, doch mir einem Mal holte mich die Realität wieder ein. Ich strauchelte, als der Lärm mit einem Mal zurückkam, meine Lungen wieder frei atmen konnten und ich statt Bildern wieder mein Leben sah.
Ardian hielt mich fest und ich hasste ihn dafür, dass seine Gegenwart so unglaublich viel beruhigender war, als Johns Gegenwart es jemals hätte sein können. Er strich mir eine meiner verschwitzten Haarsträhnen aus dem Gesicht.
„Geht es?" Sanft und besorgt zugleich. Ich schwieg ihn an und sobald er bemerkt hatte, dass ich wieder ohne Hilfe stehen konnte, verschwand dieser fürsorgliche Ausdruck und wurde durch das für ihn so typische, spöttische Feixen ersetzt.
„Noch kein Glas getrunken und schon komplett durch. Das ist keine besonders gute Entwicklung. Was genau willst du eigentlich darstellen? Eine Nutte?" Skeptisch betrachtete er mein kurzes Kleid und das mühevoll geschminkte Gesicht und trotzdem konnte ich nicht anders, als das Gefühl zu haben, dass er seine Besorgnis um meinen Zustand überspielen wollte. Dass ihm ebendiese Besorgnis unangenehm war. Doch ich konnte es nicht sicher sagen. Ich konnte nichts sicher über Ardian sagen. Ich biss mir auf die Lippe und stöhnte leise auf, als der metallische Geschmack von Blut meinen Mund füllte.
„Nicht in Redestimmung?" Er hielt mir eine Zigarette hin. Ich inspizierte sie kurz mit ungeschickten Fingern, doch es schien tatsächlich eine normale Zigarette zu sein.
„Ich weiß warum du nicht sauer auf mich sein kannst", behauptete Ardian, der erst meine und dann seine Zigarette anzündete.
„Weil du mir dankbar bist und weil du hoffst, dass ich das aus Eifersucht gemacht habe. Das schmeichelt dich. Du bist diejenige, die der große Ardian Bora nicht in einer Beziehung sehen kann. Aber du liegst wie so oft komplett daneben, kleine, unschuldige Lilah. Ich habe das nicht wegen dir gemacht, sondern aus Mitleid mit Nevis, der nicht gesehen hat, woran er mit dir ist. Der vor Liebe all deine Fehler ignoriert hat. Genauso wie du aus Liebe zu mir all meine Fehler ignorierst. Liebe macht blind und Liebe bringt uns dazu, zu glauben, dass der andere uns ebenso sehr liebt. Doch das sind alles nur Lügen. Es gibt keine glücklichen Beziehungen."
Alles, was ich mir von diesem Vortrag merkte, war, dass er am Ende von „uns" redete und nicht von „euch". Alles was bei mir von diesem philosophischen Vortrag hängen blieb, war, dass er sich selbst seiner ach so verhassten Liebe nicht entziehen konnte.
„Danke. Ich glaube, ich rede jetzt in Johns Namen, wenn ich das sage", flüsterte ich heiser und spürte, wie ein Lächeln sich auf meinen Lippen ausbreitete. Eines dieser Lächeln, die man sich selbst nicht erklären konnte. Weil man nicht wusste worüber man lächelte. Auch wenn ich die Vermutung hatte, dass Ardians perfekt unperfektes Gesicht nicht wenig damit zu tun hatte.

YOU ARE READING
Ardian Bora. | Ardy
FanfictionDelilah hat gerade ein Auslandsjahr in Frankreich hinter sich. Aber anstatt in ihre Heimatstadt Leipzig zurück zu kehren, muss sie nach Köln. Denn ihre Eltern haben sich getrennt und aus fragwürdigen Gründen entschieden, dass sie muss zu ihrer Mutte...