45. Kapitel

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Achtung Triggerwarnung: Wenn du selbst gerade schwanger bist oder traumatische Erzählungen über eine Geburt nicht lesen möchtest, dann überspringe dieses Kapitel. 

Aus Joanas Perspektive

Das Gespräch mit Alex hat mich zwar einerseits gut aufgeklärt, was die nächsten Schritte sein werden, andererseits bin ich auch ganz schön erschöpft. Leon habe ich nach dem Gespräch erstmal nach Hause zum Schlafen geschickt. Er war einfach fix und fertig. Derweil hänge als sitze ich eher bei Sophie auf der Sitzecke. 

"Jan müsste demnächst kommen...", deutet Sophie an. 

"Uff. Ich glaube das wird mir echt alles zu viel." Ich schließe die Augen. Sofort steigen die intensiven Bilder von gestern wieder in mir auf. 

"Das ist wichtig, Joana!" 

"Was ist wichtig?"

"Na dass du mit jemanden über dein Trauma sprichst."

"Ich denke gestern hat schon gereicht, was mein Trauma angeht, oder!", gebe ich etwas pissiger als gewollt zurück. 

"Wenn du meinst...", antwortet Sophie. Es klopft leicht an der Türe. Ich drehe mich dorthin. 

"Darf ich reinkommen?", Jan lächelt uns beiden zu. 

Aus Jans Perspektive

"Klar!", antwortet Sophie selbstverständlich. Ich setze mich etwas entfernt von ihr und halte für einen Moment ihren Blick. Sie weicht mir jedoch aus. Ich überlege was sinnvoller ist. Sophie herauszuschicken oder sie bei dem Gespräch dabei zu haben. Sophie setzt sich nun hinter Joana, so dass diese mehr oder weniger in ihrem Schoß sitzt. Ihre Finger streicheln sanft die Schultern. Ich trete etwas näher und setze mich zu Joanas Füßen. Sanft streiche ich ihr über die Hände. Sie öffnet diese für mich und ich nehme sie für einen Moment in meine. Sie sind ziemlich kalt. Vorsichtig stimuliere ich einen Akupunkturpunkt an ihrem Handgelenk. Bald  schließt sie die Augen und entspannt sich. Ich nicke Sophie zu. Sie lächelt mich an, klettert hinter Joana heraus und verlässt leise das Zimmer. Ich lasse Joana alle Zeit, die sie braucht, um sich mir zu öffnen. Wir atmen im gleichen Takt - unaufgeregt und leise. 

"Es..." Joana räuspert sich" sollte der schönste Tag in meinem Leben werden. Auch wenn Pablo nicht geplant war, habe ich mich nach dem ersten Schock mega auf ihn gefreut. Ich habe die Schwangerschaft in vollen Zügen genossen. Gegen Ende wurde es dann natürlich etwas beschwerlicher, aber ich bekam von Pablos Papa viel Unterstützung. Also wir waren nie ein Paar, sondern es war lediglich ein One-Night-Stand. Wir verstehen uns auch nach wie vor gut. Glücklicherweise arbeitet er nicht mehr in der praktischen Medizin, sondern hat noch Jura draufgesattelt und arbeitet mittlerweile als Anwalt. Er hat zwar auch viel um die Ohren, ist aber relativ flexibel. Und Pablo liebt seine Omama, und Opapa heiß und innig. Gut. Jetzt aber zurück. Ich war in meiner Wohnung, habe Fenster geputzt, was man eben so im Nestbautrieb macht, als ich gespürt habe, dass ich Fruchtwasser verliere. Ich habe gleich einen Test gemacht. Dann war klar, dass es ein Blasensprung war. Dann habe ich Luan angerufen und ihm erzählt was Sache ist - Er war natürlich dafür, sofort ins Krankenhaus zu fahren. Eine Hausgeburt, was ich gerne gehabt hätte, kam für ihn überhaupt nicht in Frage. Er ist ja deutlich älter als ich und erfahrener Mediziner. Dementsprechend habe ich meinem Bauchgefühl nicht vertraut und mich von in die Klinik bringen lassen. Die bis dahin regelmäßigen Wehen waren in der Klinik natürlich wie weggeblasen. Trotzdem hat Luan darauf plädiert, dass ich sofort in den Kreißsaal komme und da ans Dauer CTG gelegt werde. Er wollte kein Risiko eingehen. Meinen Drang mich zu bewegen und die Geburt wieder in Schwung zu bekommen, war damit natürlich nicht geholfen. Nach nicht allzu langer Zeit kamen dann die ersten Eingriffe - Zugang, Wehentropf und so weiter. Der Wehensturm war nicht auszuhalten. Also PDA. Ich habe es gehasst. Ich war nur noch umgeben von Maschinen, Schläuchen und Dingen, die mich und mein Baby überwachten. Ich spürte, wie Pablo in mir reagierte, er trat mich, bewegte sich wie wild. Ich versuchte ihn zu beruhigen...mein Muttermund öffnete sich sehr langsam. Auch hier wurde gearbeitet. Eipollösung, Massage und so weiter. Ich glaube es gibt kaum eine Intervention, die nicht gemacht wurde. Dabei wollte ich doch nur nach Hause. Schließlich ging mir die Kraft aus. Die Herztöne von Pablo wurden schlechter. Schneller, als ich gucken konnte war der Raum voll mit Ärzten und anderem medizinischen Personal. Meine Beine wurden festgeschnallt". 

Joanas Stimme brich für einen Moment. Ich setze noch eine weiteren kleinen Reiz an ihrem Handgelenk.

"Ich spürte, wie sie mir die Instrumente einführten. Es war einfach so schmerzhaft. Ich schrie und wandte mich. 2 Frauen warfen sich auf meinen Bauch. Trotzdem habe ich es irgendwie geschafft, mein Bein aus der Stütze zu lösen. Durch die Bewegung ist die Zange abgerutscht und hat diesen tiefen Riss in mir verursacht. Der Schmerz war heftig. Zumal sie ja gerade auch Pablo aus mir gezogen haben." 

Joana zittert. Ich nehme sie nun fest in den Arm. Ihre Atmung ist gehetzt. Sie ist voll im Traumaspace.

 "Dir kann nichts passieren. Ich bin hier!", flüstere ich leise.

"Dann legten sie mir Pablo auf die Brust. Ich war geschockt und unfähig mich zu bewegen. Ich spürte, wie Flüssigkeit aus mir rinnt. Viel Flüssigkeit. Ich schaute nach unten. Rot. Es war einfach alles rot. Ich weiß ja, dass die Schleimhaut heftig bluten kann, dass so zu sehen, gemeinsam mit dieser Gewalt, die sie mir angetan haben, natürlich um Pablo zu retten, hat mir den Rest gegeben. Ich bin ohnmächtig geworden. Ich war weder in der Lage mein Kind selbst auf die Welt zu bringen, mich gegen den Vater und das ganze andere Personal durchzusetzen und mein Recht auf eine selbstbestimmte Geburt durchzusetzen noch dann nach der Geburt für mein Kind da zu sein. Die nächsten Tage verbrachte ich wie in Trance. Ich nahm kein Essen zu mir, konnte nicht stillen. Luan musste sich alleine um Pablo kümmern. Sobald ich mein eigenes Blut gesehen habe, bin ich erneut ohnmächtig geworden. Bis gestern...." 

Joana öffnet die Augen und schaut mich nun ganz klar an. 

"Ich will das jetzt probieren!" 

"Was?", frage ich sie etwas perplex

"Na Blutzucker messen!", antwortet sie und ein Lächeln stiehlt sich in ihr blasses Gesicht. 

HerzensflügeWhere stories live. Discover now