46. Kapitel

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Aus Joanas Perspektive

Auch wenn die Überwindung riesig war, tut es doch so unglaublich gut jemanden von den Geschehnissen erzählen zu können. Vor allem jemand so empathischen wie Jan. Ich warte angespannt, bis Jan, mit dem obligatorischen schwarzen Täschchen wieder ins Zimmer kommt. Er packt die Dinge aus und legt sie auf dem kleinen Tisch der Sitzecke ab. Ich stehe auf, um mir die Hände mit warmen Wasser zu waschen. Jan betrachtet mich dabei aufmerksam. Ich atme tief durch, bevor ich mich hinsetze und die Dinge in die Hand nehme. Ich weiß nicht wie oft ich schon bei anderen Menschen den Blutzucker gemessen habe. Ich betrachte für einen Moment meine Hände. Sie sind ruhig und zittern nicht. Entschlossen nehme ich die Stechhilfe und setze sie auf meinem Ringfinger an. Ich betätige den Knopf und spüre kurz darauf den stechenden Schmerz. Wieder atme ich tief durch und visualisiere ein Bild von Pablo vor meinem inneren Auge. Das gibt mir die Kraft die Stechhilfe zu lösen und den ersten Tropfen Blut abzuwischen. Ich schlucke trocken und spüre Jans Präsenz überdeutlich hinter mir. Ich nehme den Messstreifen, drücke noch etwas Blut aus meiner Fingerbeere und nehme das Blut auf. Dann drücke ich einen Tupfer auf die Stelle und schiebe den Messstreifen in das Messgerät. Geschafft! Ich fühle mich wie nach einem Marathon und schließe die Augen. Jans Finger umfassen zart meine Schultern.

"Das hast du toll gemacht! Ich bin stolz auf dich." Ich öffne meine Augen wieder und lese das Ergebnis ab. Nun erfüllt auch mich der Stolz. Mit nun doch etwas zittrigen Händen trage ich das Ergebnis in die App ein, die die Daten direkt an Alex übermittelt. So kann er die Dosis der Medikamente besser einstellen. Auch im Ausland. Ich selbst habe auch vorher mit einem Kollegen telefoniert, der als Diabetologe auch direkt Zuhause auf Madeira den Einstellungsprozess überwachen wird.

Ich drehe mich zu Jan herum und fasse ihn an den Händen. Sie sind warm, weich und angenehm. Der Blickkontakt ist intensiv zwischen uns. 

"Jan. Ich danke dir von ganzem Herzen. Ohne dich hätte ich das hier nie und nimmer geschafft!" Ich lächle ihn an. "Das ist ein großes Geschenk!" 

"Die anderen haben ja auch mitgeholfen!" 

"Ja, das haben sie. Aber sie haben sich nicht so reingefuchst wie du."

"Gern geschehen! Aber tust du mir noch einen Gefallen?"

"Hm?", fragend schaue ich ihn an. 

"Wie fühlt sich in dir drin der Bereich von deiner Narbe an?"

"Unterschiedlich. Je nach Tagesform. Das kann von heftigen Brennen, bis völlig taub alles sein.", ich weiche Jans Blick aus. Ich habe da so eine Ahnung, wohin er möchte. 

"Da kann man etwas dagegen tun. Vielleicht versuchst du es mal niedrigschwellig mit einem Heilstein? Ansonsten ist Nathan dafür sehr gut ausgebildet. Es muss ja nicht sofort sein, aber denke drüber nach, ja?"

"Das mache ich!" Ich lächle ihn an. 

"Sehr gut. Dann werde ich mich mal auf den Weg machen. Falls du mal Lust auf Urlaub in einem schönen Retreathotel hast, bist du herzlich eingeladen!", Jan lächelt fröhlich zurück. 

"Man sieht sich ja bekanntlicherweise immer 2 Mal im Leben!", gebe ich zurück. "Und ich freue mich bei dir ganz besonders drauf!"

Ich ziehe Jan in eine intensive Umarmung, genieße nochmal kurz seine Wärme, die er ausstrahlt, bevor er das Zimmer verlässt. 

Ich hänge noch etwas meinen Gedanken nach, als Sophie das Zimmer wieder betritt. 

"Na du?", sie knufft mich leicht in die Seite. "Jan hat erzählt, dass du es mit dem BZ messen probieren möchtest. Das ist ja großartig!", sie lächelt mich an. 

"Ja, das ist es und es hat geklappt!!! So könnt ihr mich mit ruhigem Gewissen morgen wieder nach Hause fliegen lassen!" ich schaue Sophie fest an. 

"Denkst du wirklich, dass das so eine gute Idee ist, Joana?"

"Sophie, ich muss. Ich habe Verpflichtungen."

"Du bist nicht davon abzubringen, oder?"

"Nein. Bin ich nicht! Auch wenn ich dich sehr, sehr vermissen werde und Leon natürlich noch mehr. Aber ich glaube, dass es wirklich das Beste für mich und für meine Familie ist. Ich sehe an Sophies Blick, dass sie sich ziemliche Sorgen macht. Aber sie wird mich nicht aufhalten können. 

HerzensflügeWhere stories live. Discover now