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POV Scarlett

Der Test war eigentlich recht leicht.

Jedenfalls habe ich ihn so wahrgenommen.

Ob die Lösungen, die ich hingeschrieben habe, richtig waren ist eine andere Sache.

Nachdenklich sitze ich mit überschlagenen Beinen auf meinem Stuhl und blende die Gespräche meines Bruders und seiner Freunde aus.

Ich sehe einfach aus dem Fenster und sehe auf das leere Schwimmbecken, dass gerade von ein paar Schülern geputzt wird.

Natürlich gibt es hier auch eine Schwimmhalle, aber dieses Becken wird im Sommer immer benutzt.

Jedenfalls habe ich es so in Erinnerung.

Damals auf der anderen Schule bin ich gerne geschwommen.

Sehr gerne sogar.

Definitiv so lange, bis ich es irgendwann nicht mehr konnte.

"Scarlett? Ist Scarlett García hier?", fragt eine Lehrerin an der Tür.

Sofort sehe ich auf, hebe die Hand und schon winkt sie mich zu sich herüber.

Kurz lächle ich Maya zu, stehe auf, streiche meine schwarze Jeans glatt und gehe dann auf den Lehrer zu.

Tief hole ich Luft.

Verdammt war das ein unangenehmes Gefühl, in alten Erinnerungen zu schwelgen.

Als ich aus der Klasse komme, sehe ich, dass Daniel hinter der Lehrerin steht.

Er sieht mich sanft lächelnd an, was ich zögernd erwidere.

Die Lehrerin nickt uns nur kurz zu und verschwindet dann wieder.

"Schön, dich zu sehen, Kleine. Ich wollte schnell den Schlüssel abholen", sagt er.

Sofort fällt mir wieder ein, dass ich ihn gestern in meinem Handschuhfach liegen lassen habe.

Ich nicke und mache eine kleine Handbewegung, um ihm zu signalisieren, dass er mir folgen soll, was er natürlich auch sofort tut.

An meinem Auto angekommen, öffne ich sofort die Beifahrertür und krame in meinem Handschuhfach danach.

Ich gebe ihm schnell den Schlüssel und will gerade zurück in mein Klassenzimmer gehen, da spricht er mich wieder an.

"Morgen kommen meine Frau und ich mit der Kleinen zum Essen. Vielleicht willst du ja mal mit ihr reden, wenn nicht mit uns", sagt er sanft und lächelt mich warm an.

Wahrscheinlich hat Mom ihm erzählt, dass ich mich distanziere und weil er meinen Blick eben gesehen hat, hat er mir dann dieses Angebot gemacht.

Ich lächle ihm ebenfalls kurz zu, da es ein wirklich nettes und zuvorkommendes Angebot ist.

"Mir geht es gut, Daniel. Mach dir keine Sorgen", versichere ich ihm lächelnd und winke ihm kurz zu, ehe ich zurück ins Gebäude und dann in die Klasse gehe.

Das war die größte Lüge, die ich seit Monaten immer wieder von mir gebe.

Nur bei ihm konnte ich ehrlich sein, doch durch meine Taten, habe ich ihn sicherlich verloren.

Wieder setze ich mich zurück auf meinen Platz, blende die Gespräche der Jungs aus und ignoriere sogar, dass Kilian mich die gesamte Zeit durch seine nervigen Bewegungen anschubst.

Wenn Daniel und seine Frau morgen vorbeikommen, werde ich bestimmt nicht drumherum kommen, mit ihnen reden zu müssen.

Ob es um meine Gefühle oder irgendetwas anderes geht.

Ich bin schon lange nicht mehr gut darin, einfachen Smalltalk zu halten.

Nachdenklich zücke ich mein Handy und sehe auf den Kontakt, den ich so gerne wieder entsperren würde.

Wenn ich das jedoch tun würde, müsste ich ihm erklären, warum ich einfach gegangen bin, ohne mich von ihm zu verabschieden und warum ich all die Zeit nicht erreichbar war.

Alleine das würde ich nicht ertragen.

Er wird schon klarkommen.

Er ist ein gutaussehender und starker Kerl, also wird er das schon schaffen.

Ich bin wirklich eine schreckliche Freundin.

**

Der gestrige Tag ging schneller um als angenommen.

Auch der heutige Schultag.

Ich bin gerade von einem einstündigen Lauf zurück und betrete in dieser Sekunde das Haus.

Schon kommen mir mehrere Stimmen entgegen, was mich sofort bereuen lässt, dass ich die Tür laut zufallen lasse.

Ich hätte es mir denken können, doch gewünscht habe ich es mir nicht.

Mom ruft mich nämlich direkt ins Wohnzimmer.

Langsam betrete ich den Raum und sehe die drei Erwachsenen zögerlich an.

Die drei hingegen sehen mich schockiert an.

Um genau zu sein, auf meinen Bauch.

"Was ist denn mit dir passiert?!", fragt Mom laut.

Unwissend sehe ich an mir herab und erkenne erst jetzt, dass meine Wunde aufgerissen ist.

Muss wohl passiert sein, als ich vorhin ausgerutscht und hingefallen bin.

Ich lächle leicht und zeige ihr meine aufgeschürften Hände.

"Bin ausgerutscht", lache ich leicht und stelle mich dumm, in der Hoffnung, dass sie es mir abkaufen.

Sofort scheinen sie erleichtert zu sein.

Als ob diese unglaublich dumme Lüge wirklich geholfen hat?

Immerhin ist der Fleck auf meinem Shirt ganz anders als die aufgeschürfte Haut an meinen Handflächen.

"Scarlett. Das ist Darla. Daniels Ehefrau seit zwei Jahren", erklärt Mom und zeigt in die Richtung der schönen jungen Frau.

Sie hat helles Haar und braune Augen.

Sofort lächle ich freundlich.

"Ich würde ihnen ja die Hand reichen, aber", sage ich und hebe meine blutigen Handflächen.

Sie lacht auf.

"Ach bitte. Nenn mich einfach Darla", kommt es höflich und lachend von ihr zurück.

Ich nicke sanft.

"Freut mich dich kennenzulernen Darla", entgegen nun auch ich und sehe kurz in die Runde.

"Ich möchte jetzt wirklich nicht unhöflich wirken..."

"Nein schon gut. Geh nur nach oben", lächelt Mom sanft, was mich beinahe schon erleichtert ausatmen lässt, hätte ich es nicht in letzter Sekunde noch zurückgehalten.

Ich nicke kurz und nicke den beiden dann auch zu, ehe ich nach oben laufe.

Wie konnte ich nur so dumm sein und nicht bemerken, dass meine Wunde wieder aufgerissen ist?

Immerhin ist ein riesiges Stück einer Frontscheibe, direkt in meinem Bauch gelandet.

Sowas kann man eigentlich nicht mit einer einfachen 'Ich bin hingefallen' Lüge wieder wettmachen.

Gott sei Dank hat es keine inneren Verletzungen hinterlassen, doch gefährlich war diese Wunde trotzdem.

My BullyWhere stories live. Discover now